Die Kirchen könnten noch mehr

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C. Kästner, Thomas Lohnes, Paul Jeffrey/Lwf

Mit Postkarten macht die Initiative „Waking the Giant“ des Lutherischen Weltbundes auf sich aufmerksam: Sie stützt die UN-Nachhaltigkeitsziele mit Zitaten aus der Bibel. 
 

UN-Nachhaltigkeitsziele
Sie betreiben Krankenhäuser und Schulen oder helfen bei der Friedenssicherung: Gerade im Süden tragen Kirchen zur Verwirklichung der Agenda 2030 bei. Dieses Potenzial sollen sie nun noch besser nutzen. 

Den Riesen wecken: Die Initiative „Waking the Giant“ des Lutherischen Weltbundes hat sich zum Ziel gesetzt, Kirchen und Organisationen mit religiösem Hintergrund (faith-based organizations, FBOs), also nicht nur Christen, auf der ganzen Welt für die Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele zu mobilisieren und deren Engagement für alle sichtbar zu machen. „Es geht darum, den Vereinten Nationen und auch der Öffentlichkeit zu zeigen, wie viel Kirchen und kirchliche Organisationen jetzt schon für die SDGs leisten. Aber auch darum, sie zu motivieren, noch mehr zu tun“, erklärt die Finnin Leena Luukkonen. Sie ist die globale Koordinatorin der Initiative mit Sitz in Genf. 

Vor knapp zwei Jahren, am 10. Oktober 2018, ist „Waking the Giant“ gestartet – auch um zu zeigen, dass Kirchen und FBOs bei der Umsetzung der UN-Agenda 2030 mitwirken wollen. Gefördert wird die globale Initiative von einem breiten Netzwerk aus kirchlichen und säkularen Partnern. Eine enge Zusammenarbeit besteht zudem mit ACT Alliance, einem Zusammenschluss christlicher Kirchen und Werke weltweit. Die Initiative sei die größte dieser Art und „einzigartig“, denn sie sei global vernetzt und  arbeite in lokalen, ökumenischen Strukturen. Dabei entstehen neue Partnerschaften zwischen Kirchen, Zivilgesellschaft, UN- und Regierungsvertretern. 

In vier Ländern – den USA, Kolumbien, Tansania und Liberia – wird das „Waking the Giant“-Programm bereits praktisch umgesetzt. In Kolumbien habe sich seitdem ein interreligiöses Netzwerk gegründet, das sich in Zusammenarbeit mit der Regierung vor allem mit dem SDG 16 (Frieden) befasse. In den USA lernten Kinder in Bibelschulen über die globalen Ziele der nachhaltigen Entwicklung, berichtet Luukkonen. Man kann viele der heutigen SDGs aus der Bibel herauslesen: Es geht darum, die Schöpfung zu bewahren (SDG 13, 14, 15), dass Männer und Frauen vor Gott gleich sind (SDG 5), dass Menschen keinen Hunger und Durst leiden sollten (SDG 2) und dass eine Nation nicht das Schwert gegenüber einer anderen Nation erheben sollte (SDG 16). 

Den Riesen wecken – auch in den USA

Die USA als Projektland überraschten zunächst, aber „auch in westlichen Ländern stehen wir vor vielen Herausforderungen“, sagt die Koordinatorin. Weitere Projektländer, etwa in Asien, sollen folgen. Momentan sei man aber noch in der „Pilotphase“, sagt Luukkonen. Als nächstes gehe es darum, kirchlichen Akteuren die UN-Nachhaltigkeitsziele zu vermitteln. Denn Angehörige vieler Kirchen und FBOs wüssten – genau wie viele Bürger – nichts oder nur wenig über die Agenda 2030. Das haben Umfragen aus dem Jahr 2019 in Liberia und Tansania zur Arbeit von Kirchen und FBOs gezeigt. In Liberia gab etwa ein Drittel der 35 befragten FBOs an, noch nie etwas von den UN-Nachhaltigkeitszielen gehört zu haben. 

Zugleich haben diese Untersuchungen ergeben, dass sich die Arbeit von Kirchen und religiösen Organisationen schon in großen Teilen mit den Zielen der SDGs deckt – wenn auch nicht unter dieser Bezeichnung. So werden allein 42 Prozent der Krankenhäuser in Tansania von Kirchen geführt, und auch im Bildungswesen spielen die Kirchen und FBOs eine sehr wichtige Rolle – ob nun in der Kinderbetreuung, bei Sonntagsschulen oder dabei, junge Erwachsene aufs Berufsleben vorzubereiten. Auch in Liberia hat sich gezeigt, dass mehr als die Hälfte der FBOs mit ihrem sozialen Engagement viele SDG-Unterziele abdecken. 

Autorin

Melanie Kräuter

ist Redakteurin bei "Welt-Sichten".
Das zeigt, warum Organisationen mit religiösem Hintergrund vor allem im globalen Süden so wichtig für die Umsetzung der SDGs sind. „Die Kirchen sind für die Gemeinschaft da und sie bleiben da“, erklärt Luukkonen. Sie seien keine Organisation von außen, die irgendwann wieder verschwinden. „Eigentlich sind die Menschen selbst die Kirchen.“ Nicht nur, aber gerade in Krisenzeiten sind die im kleinsten Dorf unterwegs, um zu helfen. So hätten Vertreter christlicher und muslimischer Organisationen maßgeblich zum Ende der Ebola-Epidemie in Liberia beigetragen, heißt es in der Studie. Sie kamen zu Gemeinschaften, die weder von der Regierung noch von NGOs erreicht wurden, um dort für Gesundheitspflege und Hygiene zu werben sowie über das Virus aufzuklären.  

Für jedes angekreuzte Ja gibt es einen Punkt

„Waking the Giant“ schult auch kirchliche Initiativen, wegen der Corona-Pandemie ist das aber momentan verschoben. Und es gibt Kirchen und FBOs die Möglichkeit, selbst zu prüfen, inwiefern ihre Arbeit schon zu den UN-Nachhaltigkeitszielen passt: Seit 2019 gibt es auf der Webseite von „Waking the Giant“ Fragebögen, die die jeweiligen SDGs in ihre Unterziele und Indikatoren aufgliedern.

So wird etwa im Fragebogen zum SDG 5 (Geschlechtergleichheit) gefragt, ob die Organisation oder Kirche dafür wirbt, dass Mädchen und Jungen den gleichen Zugang zu Bildungseinrichtungen haben; ob sie Paare oder Familien über Familienplanung und reproduktive Gesundheit aufklären; und ob sie die Ansicht verbreiten, dass Männer und Frauen von Gott als gleich erschaffen wurden und damit den gleichen Anspruch auf Würde und Rechte haben. Aufgebaut ist der Fragebogen ein wenig wie ein Psychotest: Für jedes angekreuzte Ja gibt es einen Punkt und das Lob: „Gute Arbeit! Du trägst schon etwas zu den SDGs bei“; pro Punkt bekommt man am Ende ein Kästchen auf einer Art SDG-Barometer. Bis jetzt hätten Kirchen, ökumenische und kirchliche Organisationen von allen Kontinenten die Fragebögen genutzt, sagt Luukkonen. Und es sollen mehr werden.

„Wir wollen ihnen helfen, in diesem Dschungel von all den Zielen und Indikatoren durchzublicken“, erklärt die globale Koordinatorin. Es gehe darum, die teils komplizierte SDG-Sprache in „Kirchensprache“ zu übersetzen und für jeden verständlich zu machen. „Und wir wollen ihnen bewusst machen, dass vieles ihrer Arbeit schon mit den SDGs verbunden ist.“ Auch Veränderungen will „Walking the Giant“ anstoßen. So sollen mehrere Mitglieder einer Kirche oder FBO die Fragebogen ausfüllen und anschließend über die Ergebnisse diskutieren. Wenn gewünscht, würden die Auswertungen veröffentlicht, damit andere Kirchen und FBOs sehen, was wo gemacht wird. Das könne dazu führen, dass man sich untereinander besser vernetzt oder der eine vom anderen lernen kann. 

In den knapp zwei Jahren seit dem Start der Initiative habe sich schon einiges bewegt, meint Luuk­konen: Es seien neue Koalitionen entstanden und etwa in Liberia sei es sechs kirchlichen und ökumenischen Akteuren gelungen, für ihre Arbeit an den SDGs Unterstützung und Geld von externen Gebern zu mobilisieren. Immer wieder betont Luukkonen auch, dass „Waking the Giant“ jeden willkommen heißt. So arbeite man auch mit muslimischen oder katholischen Organisationen zusammen. „Jeder, der feststellt: ,Das ist etwas für mich‘, soll mitmachen“, sagt sie.

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erschienen in Ausgabe 7 / 2020: Der Plan für die Zukunft?
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