Homestay ohne Gäste

Bettina Meier

Beliebt bei ausländischen Touristen: Übernachtungen in Bauernhäusern in der Provinz Lao Cai im Nordwesten Vietnams.

Vietnam
Überall leidet der Tourismus unter Reisebeschränkungen infolge der Pandemie. Im Norden Vietnams trifft das arme Bauernfamilien, die Besucher aus dem Ausland beherbergen. Einheimische Touristen haben kaum Interesse an den Angeboten.

Der Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in Vietnam. Die Branche beschäftigt sechs Millionen Menschen und erwirtschaftete 2019 acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts. 15 Millionen Touristen aus dem Ausland haben das ostasiatische Land im vergangenen Jahr besucht.

Eine Nische besetzt der gemeindebasierte Tourismus. Er soll dafür sorgen, dass auch benachteiligte Bevölkerungsgruppe vom Tourismusboom profitieren wie arme Bauernfamilien auf dem Land und ethnische Minderheiten, die 15 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Staatliche und ausländische Entwicklungsprogramme fördern „Homestays“ (Unterkünfte in Privathäusern), die Ausbildung von Fremdenführern und die Fertigung traditionellen Kunsthandwerks. Bekannt sind vor allem die farbenfrohen Textilien der Hmong-Ethnie, deren Angehörige in entlegenen Bergtälern im Nordwesten Vietnams leben.

Der Bauer Phan Nan May lebt mit seiner Frau, drei kleinen Kindern und seinem Vieh in der Provinz Lào Cai. Sein traditionelles Holzhaus steht abseits der Straße inmitten von Reisfeldern. Vor zwölf Jahren begann er, einen Verschlag an der Seite seines Hauses an Rucksacktouristen zu vermieten. Doch damit ist vorerst Schluss. „Seit Februar hatten wir keine Besucher mehr. Das Homestay ist unsere wichtigste Einnahmequelle“, klagt er gegenüber dem Center for Social Initiatives Promotion. Auch die Taschen und Accessoires, die er aus alten Hmong-Trachten näht, kaufe ihm nun niemand mehr ab.

Die Gäste bleiben aus: Bauer Phan Nan May mit Frau und Kindern.
Vor zwei Jahren hat die Familie einen Kredit über 50 Millionen Dong (rund 2000 Euro) aufgenommen, um einen Anbau mit Terrasse, Toilette und Dusche als Unterkunft für die Touristen zu finanzieren. „Wie sollen wir nun den Kredit abzahlen?“, fragt Phan Nan May. Der lokale Reiseveranstalter, der ihnen normalerweise Gäste vermittelt, sei pleite. Die Agentur schulde ihm noch Geld für die Vormonate. Phan glaubt nicht, dass er es bekommen wird. 

Die Gegend um die Stadt Sapa hat sich in den vergangenen Jahren zu einem Touristenmagneten entwickelt. Die in der Region einheimischen Volksgruppen Hmong, Tai und Dao profitieren davon aber kaum. Viele Hotels und Geschäfte gehören ethnischen Vietnamesen. Die Organisation Center for Social Initiatives Promotion (CSIP), ein Partner von Brot für die Welt, hat Familien wie den Phans geholfen, ihr Einkommen durch das Beherbergen von Touristen und das Nähen von Souvenirs zu diversifizieren. „Die Familien, mit denen wir arbeiten, verdienen drei- bis vierhundert US-Dollar pro Monat mit der Zimmervermietung. Diese Einkommen sind nun weg. Der nachhaltige Tourismus ist in Sapa komplett eingebrochen“, erklärt CSIP-Mitarbeiter Phan Quang.

Kaum Coronafälle, aber strikte Einreisebestimmungen

Vietnam hat früh auf die Covid-19-Pandemie reagiert und bereits Ende Januar Maßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen, Schulschließungen und Gesundheitschecks verordnet. Seit Mitte März ist die Einreise ins Land untersagt. Derzeit dürfen nur Ausländer mit Arbeitsverträgen nach Vietnam einreisen, die sich zudem in eine 14-tägige Quarantäne begeben müssen. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO wurden in Vietnam bis zum 26. Mai 326 Corona-Infizierte gezählt. Einen Todesfall, der auf Covid-19 zurückzuführen ist, gab es bislang nicht. Am 23. April hob die Regierung die landesweiten Ausgangsbeschränkungen teilweise auf. Doch der inländische Tourismus, der allmählich wieder in Gang kommt, hilft den Homestays und den nachhaltigen Tourismusprojekten nicht.

„Covid-19 hat uns schwer getroffen“, erzählt Tan Thi Shu am Telefon. Sie gehört der Hmong-Volksgruppe an und leitet die Reiseagentur Sapa O’Chau, die Treckingtouren organisiert und Übernachtungen in Homestays vermittelt. Mit den Gewinnen ihres Reiseunternehmens finanziert Tan Thi Shu den Besuch weiterführender Schulen für Angehörige ethnischer Minderheiten. In ihrem Pensionat haben die Schüler einen sicheren Schlafplatz, erhalten Essen und Kleidung. Außerdem bildet Sapa O’Chau Fremdenführer aus und bietet Auszubildenden Kost und Logis sowie Englischunterricht. 

Vietnamesische Touristen haben kein Interesse an Homestays

Nun sei das Reisebüro geschlossen, die Mitarbeiter habe sie in ihre Dörfer zurückschicken müssen, erzählt Shu Tan. Das Pensionat für die Schüler sei wieder geöffnet, seit die staatliche Schule Anfang Mai den Unterricht aufgenommen hat. „Aber ich habe keine Mittel, die Schüler mit Essen zu versorgen“, sagt Shu Tan.

Wie viele Reiseagenturen, die gemeindebasierten Tourismus anbieten, macht Sapa O’Chau sein Geschäft fast ausschließlich mit ausländischen Treckingtouristen. „Unsere Kunden suchen das Naturerlebnis und möchten die Kultur der Hmong, der Tai und der Dao kennenlernen“, sagt Shu Tan. Diese Spezialisierung wird ihr nun zum Verhängnis. Denn vietnamesische Touristen, die seit Ende April wieder an den Wochenenden nach Sapa strömen, interessieren sich nicht für Homestays und lokale Kultur. Sie steigen lieber in modernen Hotels in Sapa-Stadt ab, gehen in das Spielkasino und fahren in der neuen Seilbahn auf den Fansipan, den höchsten Berg Vietnams.

Shu Tan will nun eine Crowdfunding-Initiative starten, um zumindest das Pensionat weiterbetreiben zu können. Und sie wartet auf die Ankündigung der Regierung, wann ausländische Touristen wieder einreisen dürfen. „Aber selbst wenn die Grenzen wieder auf sind, weiß man ja nicht, ob die Leute genug Geld haben, um nach Vietnam zu reisen“, meint Shu Tan.

Versuche, den lokalen Markt zu erschließen

So wie Sapa O’Chau geht es derzeit vielen Sozialunternehmen in Vietnam. Eine CSIP-Umfrage zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Einschränkungen kommt zu dem Ergebnis: „Der Verlust der Einnahmen aus den Sozialunternehmen in ländlichen Gegenden hat direkte Auswirkungen auf das Leben der betroffenen Familien und Gemeinden“. 77 Prozent der befragten Betriebe geben an, dass die Maßnahmen zur Einschränkung der Pandemie ihr Geschäft schwer oder sehr schwer beeinträchtigen, zehn Prozent sagen, sie stünden vor dem Bankrott. Eine Belastung sei zudem die Rückzahlung der Kredite, die viele für die Entwicklung ihrer Betriebe aufgenommen haben.

850 Kilometer südlich von Sapa liegt die Hafenstadt Da Nang, ein beliebter Ausgangspunkt für touristische Ziele in Zentralvietnam. Das hier ansässige Sozialunternehmen Healthy Farm fördert neben Biolandwirtschaft auch gemeindebasierten Tourismus.

„Besonders die erfolgreichen Projekte, die vor Covid-19 viel Geld mit ausländischen Gästen verdient haben, leiden sehr“, berichtet Geschäftsführer Jan Zellmann, der seit fünf Jahren in Vietnam lebt.  „Healthy Farm hat vor Covid-19 80 Prozent seines Umsatzes im Gastgewerbe gemacht. Als während des Lockdowns Restaurants und Läden geschlossen waren, hatten wir keine Einnahmen mehr.“ Deshalb habe das Unternehmen sein Konzept geändert und setze nun verstärkt auf Direktvermarktung und neue Produkte wie Nudeln und Tees, die auf vietnamesische Kundschaft ausgerichtet sind. 

CSIP-Mitarbeiter Phan Quang teilt diese Einschätzung. „Homestays müssen für vietnamesische Reisende attraktiver werden“, sagt Phan. Er rechnet nicht damit, dass so bald wieder ausländische Touristen nach Sapa kommen.

Bettina Meier ist Beraterin Ökonomisches Empowerment bei Brot für die Welt. In ihrem Blog berichtet sie über die Folgen der Corona-Pandemie in asiatischen und afrikanischen Ländern.

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