Mitarbeiter einer Hilfsorganisation untersuchen Bewohner des Armenviertels Kibera in Nairobi, Kenia. Abstand halten ist hier schwierig.
Viele afrikanische Länder haben sehr früh reagiert. Sie haben Schulen und Universitäten geschlossen und den Flugverkehr eingeschränkt. In Sierra Leone hat die Regierung bereits ab Ende Januar alle Einreisenden aus China für zwei Wochen in Quarantäne geschickt. Das hat offenbar dazu beigetragen, dass das Land hat bis heute keinen einzigen Corona-Fall gemeldet hat. Man kann hoffen, dass diese Maßnahmen die Ausbreitung etwas verlangsamen.
Die Zahl der Infizierten ist jüngst aber auch in vielen afrikanischen Ländern angestiegen. Erwarten Sie einen ähnlichen Verlauf wie in Europa?
Es ist davon auszugehen, dass sich das Virus ausbreitet. Aber es wird sich anders auswirken als in Europa, weil die Bevölkerung in Afrika jünger ist. Rund 50 Prozent der Afrikaner sind unter 25, nur rund sechs Prozent sind über 65 Jahre alt. Die Risikogruppe der älteren Menschen ist im Verhältnis viel kleiner. Und die Älteren leben nicht wie bei uns Zimmer an Zimmer in Seniorenheimen, sondern meist in ihrem familiären Umfeld, das sie auch schützen kann. Ich glaube deshalb, dass es in Afrika kein zweites Italien geben wird.
Sind die Maßnahmen, die jetzt in Europa zur Eindämmung des Virus verordnet werden, auch für afrikanische Länder sinnvoll?
Social distancing ist schwierig. In den Slums in Nairobi oder Lagos leben die Menschen eng zusammen. Da funktioniert das mit den zwei Meter Abstand halten nicht. Das Wichtigste ist, dass sich die Menschen die Hände waschen können. Man kann Handwaschanlagen bereitstellen oder Brunnen bohren, um die Wasserversorgung zu verbessern. Damit hat man schon viel gewonnen.
Können Infizierte, die schwer an Covid 19 erkranken, überhaupt versorgt werden?
Solange keine Beatmung nötig ist, können Patienten teilweise mit Sauerstoff versorgt werden. Das Problem ist, dass es nur in ganz wenigen Kliniken Beatmungsgeräte gibt. Patienten mit einem schweren Krankheitsverlauf können also nicht wie in Europa zwei Wochen lang beatmet werden, bis eine Lungenentzündung ausgeheilt ist. Es werden Menschen sterben, auch Jüngere. Aber in Afrika ist das leider Alltag. Dort sterben viele Menschen in mittlerem Alter weil sie nach einem akuten Nierenversagen keine Dialyse bekommen oder weil kaum eine Klinik einen Herzinfarkt behandeln kann. Man sollte sich deshalb nicht nur auf den Kampf gegen das Coronavirus konzentrieren, sondern das gesamte Gesundheitssystem stärken. Sonst machen wir die gleichen Fehler wie zuvor bei anderen Epidemien auch.
Der Generalsekretär der Weltgesundheitsorganisation, Tedros Adhanom Ghebreyesus, warnt, Afrika müsse sich wegen Corona auf das Schlimmste einstellen. Diese Einschätzung teilen Sie also nicht?
Natürlich muss sich der Kontinent auf die Pandemie einstellen. Aber die Menschen haben schon so viel erlebt und bewältigt: die Ausbreitung von HIV in den 1990ern, später die Ebola-Epidemie in Westafrika. Sie haben die Fähigkeit entwickelt, auch mit solchen schweren Krisen umzugehen. Das müssen wir gerade erst lernen.
Was können wir in Europa denn von den Afrikanern im Umgang mit solchen Seuchen lernen?
Als das hier alles vor einigen Tagen richtig losging, hat man eine starke Panikreaktion erlebt, die sich zum Beispiel in egoistischen Hamsterkäufen gezeigt hat. Als ich vor einigen Jahren während der Ebola-Krise in Westafrika war, wurden komplette Dörfer unter Quarantäne gestellt. Da haben sich die Menschen gegenseitig geholfen und füreinander gekocht. Auch die Spiritualität ist dort eine große Ressource, aus der viele Hoffnung schöpfen.
Wie reagieren Ihre afrikanischen Partnerorganisationen auf die Krise?
Unsere Partner aus Liberia und der Demokratischen Republik Kongo haben uns geschrieben, dass sie wissen, was wir gerade durchmachen, und dass sie an uns denken. Mit Blick auf ihre eigene Lage reagieren sie eher besonnen. Viele sagen, wir haben Ebola überstanden, jetzt überstehen wir auch Corona, bei dem die Sterblichkeit ja viel geringer ist als bei Ebola. Unsere Partner machen sich aber Sorgen über die Versorgung mit Medikamenten.
Warum das?
Die Reisebeschränkungen und vor allem die Einstellung des Flugverkehrs sind ein großes Problem. Ein Großteil der Medikamente für den afrikanischen Markt kommt aus China und Indien. Diese Versorgung ist jetzt gefährdet. Selbst während der Ebola-Epidemie 2014 wurde der Flugverkehr nach Liberia nicht komplett eingeschränkt, weil sonst keine Helfer oder Medikamente ins Land gekommen wären. Man muss sich sehr gut überlegen, welche Maßnahmen sinnvoll sind und wie lange man sie aufrecht halten kann. Sonst werden in Afrika viel mehr Menschen an den Kollateralschäden der Krise sterben als an dem Virus selbst.
Das Gespräch führte Sebastian Drescher.
Mehr Berichte zu den Auswirkungen der Pandemie in verschiedenen Ländern finden Sie in unserem Corona-Dossier.
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