„Europa macht Afrikanern ohne vernünftigen Grund das Reisen schwer“

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Von Süd- nach Nordamerika
Joe Penney/Reuters

Migranten außerhalb von Agadez im Niger auf dem Weg nach Norden Richtung Libyen.
 

Migranten in der Sahara
Auf dem Weg durch die Sahara kommen wahrscheinlich viel mehr Menschen ums Leben als im Mittelmeer. Moctar Dan Yayé und seine Mitstreiter bei Alarm Phone Sahara (APS) versuchen, Migranten in der Wüste zu helfen. Doch das ist mit schärferen Grenzkontrollen schwieriger geworden, sagt er.

Warum haben Sie 2017 Alarm Phone Sahara (APS) mit gegründet?
Erstens wollten wir bekannt machen, was sich auf den Migrationsrouten in der Sahara abspielt. In den internationalen Medien ist viel die Rede vom Leid, dem Sterben und den Menschenrechtsverletzungen im Mittelmeer. Aber was in der Sahara passiert, war kaum bekannt. Zweitens reise ich gern und bin überzeugt, dass Migrieren ein universelles Recht aller Menschen ist. Dieses grundlegende Recht wird offensichtlich in der Sahara verletzt.

Was kann APS für Migranten tun?
Wir beraten sie in den Städten wie hier in Agadez, welche Vorbereitungen sie treffen sollten, um in der Sahara Unglücke zu vermeiden – zum Beispiel, was sie mitnehmen sollen und was sie tun sollen, wenn sie in Not geraten. Wir haben eine Notfallnummer, die sie anrufen können, wenn unterwegs Probleme auftreten. Allerdings haben Mobiltelefone in der Wüste oft kein Netz, aber wir haben an verschiedenen Orten entlang der Wege Alarmposten, die uns informieren, wenn Migranten in Not kommen. Dann können wir ihnen mitteilen, wo sie die nächsten Orte finden, an denen man ihnen helfen kann. Oder wir alarmieren die Behörden oder Organisationen, die das Mandat haben, Migranten in der Wüste zu helfen.

Welche sind das?
In erster Linie die Internationale Organisation für Migration (IOM). Es gibt auch internationale nichtstaatliche Organisationen, die Migranten in der Sahara helfen. Medizinische Hilfe leistet zum Beispiel Ärzte ohne Grenzen.

Woher kommen die Menschen, die Hilfe in der Wüste brauchen?
Zum einen sind es Migranten, die durch den Niger nach Norden reisen. Auch einige Nigrer machen sich auf den Weg Richtung Algerien oder Libyen. Zum anderen schiebt Algerien in großem Stil Migranten einfach zurück – zurzeit jede Woche mindestens 450, manchmal auch 600 Menschen. Seitdem geraten viele, die im Norden des Nigers abgeladen werden, in der Sahara in Gefahr. Wir fragen aber nicht nach der Nationalität der Menschen. Wir fragen auch nicht, wo sie hinwollen. Für uns sind alle, die in der Sahara reisen, Migranten, die in Not geraten können.

Was bringt sie am häufigsten in Not?
Für die, die nach Norden aufbrechen, sind die größten Gefahren nach unserer Erfahrungen Pannen am Fahrzeug oder dass der Treibstoff ausgeht. Seit dem Jahr 2016 ist das Geschäft der Fahrer kriminalisiert worden, und seitdem kommt es öfter vor, dass die Fahrer flüchten und die Migranten zurücklassen, wenn sie denken, auf dem Weg sind Sicherheitskräfte. Für die aus Algerien Zurückgeschobenen ist die größte Gefahr, dass sie vom sogenannten Punkt null, wo man sie meist in der Nacht aussetzt, zu Fuß 15 bis 18 Kilometer bis zur nächsten Siedlung gehen müssen.

Können Sie ein Beispiel schildern, wie die Hilfe abläuft?
Unser Alarmposten in Assamaka hat vor kurzem in der Wüste nach Migranten gesucht, die aus Algerien zurückgeschoben werden. Die APS-Mitglieder haben dort eine Frau gefunden, die außer sich war und am Ende ihrer Kräfte, weil sie sich verirrt hatte. Sie haben sie in ihrem Auto nach Assamaka mitgenommen. Wir selbst in Agadez haben vor kurzem in der Wüste ein Auto mit Menschen gefunden, die dort die Nacht verbracht hatten, weil sie eine Panne hatten. Wir haben ihnen etwas zu Essen gegeben und ihnen gesagt, wie weit sie noch bis zum nächsten Ort fahren mussten. Dann haben wir dort nachgefragt und man hat uns versichert, dass sie am folgenden Morgen andere Fahrzeuge treffen und Hilfe für die Reparatur der Panne bekommen würden.

Haben sich die Verhältnisse an den Routen in den vergangenen Jahren verändert?
Sie sind sehr schwierig geworden. Die Grenzkontrollen sind verschärft worden mit dem Ziel, Menschen aufzuhalten – die Außengrenze Europas befindet sich jetzt in Afrika. Das macht es Migranten deutlich schwerer, sich zu bewegen. Unser Einsatz als Verteidiger der Menschenrechte ist schwieriger geworden. Auch die Bevölkerung hier, die traditionell mit Migration lebt, ist betroffen. Agadez ist ein Knotenpunkt für Reisende, und mit dem Versuch, den Strom an Migranten zu verkleinern, ist die Wirtschaft der Region eingebrochen. Betroffen sind Transporteure, Ausrüstungshändler, Frauen, die Essen verkaufen, und Leute, die Quartiere vermieten. Auch Reisen innerhalb der Region sind mit den schärferen Grenzkontrollen komplizierter und schwieriger geworden – selbst für Menschen, die gar nicht nach Europa wollen.

Hat die Zahl derjenigen, die nach Norden aufbrechen, zu- oder abgenommen?
Laut den Zahlen von Organisationen wie der IOM wollen heute weniger Menschen die Sahara durchqueren. Aber wir denken, das stimmt nicht. Man sieht sie nur nicht mehr, weil die Fahrer sich jetzt verbergen. Die früher üblichen Wege werden nicht mehr benutzt und die Sammelpunkte sind nicht mehr offen sichtbar. Aber die große Zahl der Menschen, die Algerien zwangsweise zurückschickt, zeigt, dass noch immer viele nach Norden aufbrechen. Wenn wir mit den Abgeschobenen sprechen, sagen viele, dass sie es noch mal versuchen werden. Die Maßnahmen, mit denen man Leute abhalten will aufzubrechen, schrecken sie tatsächlich nicht ab. An einen Rückgang der Zahlen glauben wir deshalb nicht.

Raten Sie von der Reise ab?
Nein. Unsere Linie ist: Weder ermutigen wir Migranten, aufzubrechen, noch versuchen wir, sie davon abzuhalten. Wir versuchen, ihnen möglichst genaue und aktuelle Informationen über Gefahren und Risiken der Reise zu geben. Die sammeln wir aus Berichten von Migranten, mit denen wir sprechen. Außerdem informieren wir sie über ihre Rechte. Auch für sie gelten die Menschenrechte. Und wir erklären ihnen, welche Organisationen die Aufgabe haben, ihnen im Notfall zu helfen.

Wer trägt und unterstützt APS?
Getragen wird APS von Organisationen und Aktivisten aus vielen Ländern der Sahelregion: Mali, Niger, Burkina Faso, Togo, Marokko. Wir haben auch Mitglieder in Deutschland, Frankreich und Österreich. Die Aktivisten hier im Niger sind Freiwillige. Natürlich können sie sich nicht in Vollzeit als Freiwillige engagieren wie in Europa; bei uns muss man sich ständig um den Lebensunterhalt sorgen. Das Geld von APS stammt aus Spenden, vieles aus Europa. Wir bekommen zum Beispiel Unterstützung von Brot für die Welt und von medico international. Aus Afrika bekommen wir unseres Wissens nicht direkt Spenden, aber man kann uns anonym auf ein Konto Geld überweisen, und unter den Eingängen dort können Spenden aus Afrika sein, etwa aus dem Maghreb.

Haben Sie selbst schon einmal überlegt, nach Europa zu gehen?
Auf Dauer auswandern wollte ich nie. Aber ich schließe nicht aus, für Studien oder zur Ausbildung eine Zeitlang nach Europa zu gehen oder um für Solidarität mit dem Niger zu werben. Im Oktober und November 2019 war ich für Vorträge und einige Treffen dort. Leider war es sehr schwierig, das Visum zu bekommen. Selbst wenn Afrikaner gute und einsichtige Gründe haben, macht man uns das Reisen schwer. Dafür gibt es keinen vernünftigen Grund. Afrikaner wollen nicht einfach wegen eines Traums nach Europa, sondern um etwas zu tun. Wenn sie leicht hin und wieder zurück reisen könnten, würden nur wenige auf Dauer bleiben. Doch wer von Süd nach Nord reist, wird Migrant genannt, wer von Nord nach Süd geht, hingegen „im Ausland lebend“ oder Tourist.

Das Gespräch führte Bernd Ludermann.

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erschienen in Ausgabe 4 / 2020: Willkommen – oder nicht?
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