„Wenn Betrug gut geplant ist, kann er jahrelang unbemerkt bleiben“

Patrick Pleul/DPA

Sind die fair? Banane und Ananas mit dem Siegel der Rainforest Alliance. Die Einhaltung von Siegel-Standards ist schwer zu überwachen.
 

Zertifizierung
Von Bio- und Nachhaltigkeits­siegeln erhoffen sich Verbraucher Gewissheit über die Herkunft ihrer Einkäufe. Einer der Geschäftsführer des Zertifizierungsunternehmens CERES, Albrecht Benzing, erklärt, wie er bei der Zertifizierung von Landwirten im Süden vorgeht und warum Verbraucher sich nicht zu hundert Prozent auf die Siegel verlassen sollten.

Herr Benzing, Nachhaltigkeitssiegel sollen sicherstellen, dass zum Beispiel beim Anbau von Kaffee, Kakao oder Tee grundlegende Arbeits- und Menschenrechte eingehalten werden. Wenn ich ein Pfund Kaffee aus Äthiopien kaufe, das von Ihrem Unternehmen mit dem Siegel der Rainforest Alliance ausgezeichnet wurde: Kann ich mich darauf verlassen, dass diese Bedingungen erfüllt sind?
Normalerweise ja, aber solche Systeme funktionieren natürlich nie zu 100 Prozent.

Warum?
Unsere Inspektoren sind gut geschult und entdecken Verstöße gegen die Siegel-Standards – selbst wenn zum Beispiel die Plantagenbesitzer diese vertuschen wollen. Aber wenn der Betrug gut geplant ist, kann es Jahre dauern, bis wir das merken. Wie hoch der Betrugsanteil bei zertifizierten Produkten insgesamt ist, kann ich nicht beziffern. Das schwankt mit Sicherheit auch stark zwischen den einzelnen Standards sowie den Ländern und Zertifizierungsunternehmen.

Wie gehen Sie bei einer Zertifizierung von Agrarbetrieben vor?
Zunächst muss der Betrieb verschiedene Unterlagen einreichen, darunter einen Plan, wie die Einhaltung des Standards sichergestellt werden soll. Wenn alle Dokumente vorhanden sind, besuchen Mitarbeiter des jeweiligen Länderbüros den Betrieb.

Was genau überprüfen Ihre Mitarbeiter vor Ort?
Das hängt davon ab, welche Zertifizierung der Kunde beantragt hat. Bei Bio-Siegeln geht es ausschließlich um die Anbaumethoden, sowie um die Rückverfolgbarkeit und die Trennung von nicht zertifizierten Produkten. Bei den Nachhaltigkeitssiegeln kontrollieren wir auch, ob grundlegende Arbeitsrechte eingehalten werden. Der Inspektor überlegt sich schon vorher, worauf er achten muss: Gibt es Anzeichen für den Einsatz von Herbiziden? In welchen Gebäuden könnten verbotene Dünger versteckt werden? Passen die geernteten Mengen zu den Flächen, oder wird da vielleicht etwas zugemischt? Im Bio-Bereich entnehmen wir zudem häufig Proben von den Feldern, die wir im Labor untersuchen.

Sprechen Sie auch mit den Arbeiterinnen und Arbeitern?
Ja. Oft wollen die Geschäftsführer dabei sein und zuhören. Aber unsere Mitarbeiter haben die Anweisung, dass solche Gespräche vertraulich sein müssen. Die Chefs loszuwerden, ist gar nicht so leicht; manchmal muss man da richtig unhöflich werden.

Wie können Sie verhindern, dass Ihnen bei der Kontrolle etwas vorgemacht wird?
Unsere Inspektoren lernen, verschiedene Dokumente, ihre Beobachtungen vor Ort und die Aussagen aus verschiedenen Gesprächen miteinander zu vergleichen und auf Widersprüche zu prüfen. Fallen ihnen Ungereimtheiten auf, müssen sie tiefer graben.

Wer entscheidet am Ende, ob der Betrieb zertifiziert wird?
Die Inspektoren schreiben einen Bericht und reichen ihn bei uns in der Zentrale in Deutschland ein. Hier prüft eine zweite Person, ob alles vollständig und plausibel ist, und stellt gegebenenfalls nochmal Rückfragen. In den meisten Fällen muss der Betrieb dann noch Korrekturmaßnahmen erfüllen. Die zweite Person entscheidet dann, ob der Betrieb zertifiziert wird – dieses Vier-Augen-Prinzip ist in allen Zertifizierungssystemen vorgeschrieben.

In welchen Abständen müssen die Zertifikate erneuert werden?
Die meisten Standards schreiben einmal pro Jahr eine Kontrolle vor Ort vor.
Wie stellen Sie sicher, dass sich die Produzenten in der Zwischenzeit an die Vorgaben halten?
Bei einem Großteil der Standards ist vorgeschrieben, dass wir zehn Prozent unserer Kunden unangekündigt besuchen. Doch was bei den anderen in der Zwischenzeit passiert, können wir nicht wirklich kontrollieren.

Was sind die Schwachstellen des Zertifizierungssystems?
Ein Problem ist, dass die meisten Inspektionen angekündigt werden. Wenn die Leitung einer Plantage weiß, dass wir auch Kinderarbeit überprüfen, kann sie dafür sorgen, dass die Kinder an diesem Tag zu Hause bleiben. So etwas können gut ausgebildete Inspektoren aber merken, wenn sie die Geburtsurkunden aller Angestellten prüfen, sich die Zahlungsbelege für die Pflücker anschauen, oder die Plantagenarbeiter befragen. Eine weitere Schwachstelle ist manchmal ein gewisses Machtgefälle zwischen dem Inspektor und dem Management.

Inwiefern?
Gerade bei großen Betrieben sitzt der Inspektor manchmal einer Phalanx wichtiger Persönlichkeiten gegenüber. Wenn die ihn davon überzeugen wollen, dass die Bezahlung der Überstunden den Anforderungen entspricht, obwohl die Gespräche mit den Arbeitern das Gegenteil beweisen, erfordert es schon eine starke Persönlichkeit, an seinem Befund festzuhalten. In undemokratischen Ländern verschärft sich das Problem: Die Manager haben möglicherweise auch politisch großen Einfluss – und ein einheimischer Inspektor kann nicht einschätzen, welche persönlichen Konsequenzen ein negativer Befund für ihn möglicherweise haben könnte.

Verbraucher erhoffen sich von Siegeln Gewissheit über die Herkunft ihrer Einkäufe. Für Ihr Unternehmen ist die Zertifizierung ein Geschäft: Wenn Sie einem Betrieb die Zertifizierung verweigern, verlieren Sie einen Kunden. Drückt man da nicht mal ein Auge zu?
Das private Zertifizierungssystem ist von einem nicht lösbaren Interessenskonflikt durchzogen: Unser wirtschaftlicher Erfolg hängt davon ab, dass die Betriebe, die wir kontrollieren, unsere Kunden bleiben und zahlen. Das führt naturgemäß dazu, dass manche Zertifizierungsunternehmen die Augen zudrücken – selbst bei Tricksereien, die eigentlich relativ offensichtlich sind. Man kann diesen Interessenskonflikt nicht auflösen, sondern nur minimieren.

Wie?
Die Siegel-Organisationen bei den privaten Standards und die europäischen Behörden bei der Bio-Zertifizierung müssen die Arbeit der Zertifizierungsunternehmen strenger überwachen. Die EU-Kommission fordert von uns zwar einen jährlichen Bericht und kontrolliert stichprobenartig die Arbeit in einzelnen Ländern, aber das reicht nicht aus.

Sie haben 2004 Ihr Unternehmen CERES mitgegründet. Essen Sie nach all den Jahren in der Branche noch Bio?
Zu Hause essen wir überwiegend Bio-Produkte. Noch habe ich die Hoffnung nicht verloren, dass das System verbesserungsfähig ist.

Das Gespräch führte Moritz Elliesen.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2020: Schuften für den Weltmarkt
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