Besser als ein Boykott

Sebastian Meyer/Corbis News/Getty images

Nachschub fürs E-Auto: Ein elfjähriger Junge trägt in Kolwezi im Südosten der DR Kongo einen Sack Kobalt ins Depot.
 

Kobalt
Einer der größten Rohstoffhändler der Welt will im Kongo die Situation von Kleinschürferinnen verbessern. Wer profitiert davon?

Acht Kilogramm Kobalt stecken in jeder Elek­troautobatterie. Die im Zuge der Klimapolitik stark zunehmende E-Mobilität dürfte dafür sorgen, dass sich die Nachfrage nach dem Metall in den nächsten zehn Jahren verdoppelt. Derzeit werden über 70 Prozent des weltweit verwendeten Kobalts im Südosten der Demokratischen Republik Kongo (DRK) abgebaut.

Doch die meisten Arbeiterinnen und Arbeiter – rund 80 Prozent – sind nicht bei einem Minenunternehmen angestellt, sondern verdingen sich als Kleinschürfer: Etwa 250.000 Kongolesinnen und Kongolesen, darunter viele Kinder, bauen mit bloßen Händen oder bestenfalls mit primitiven Hilfsmitteln das Gestein ab. Sie sorgen für rund ein Drittel des Kobalt-Angebots der DRK, das größtenteils über chinesische Kleinhändler in die Batterieproduktion nach China verschifft wird.

Doch es gibt kaum Gelände, auf dem Kleinschürfer legal und einigermaßen sicher arbeiten könnten. So sehen sich heute Tausende Kleinschürfer und Kleinschürferinnen gezwungen, in die Konzessionen der privaten Minenbetreiber einzudringen. Dabei kommt es immer wieder zu Gewalt und beim Abbau mit der Hand zu tödlichen Unfällen.

Sammelklage gegen Apple und Co.

Ende Dezember 2019 hat die Anwaltskanzlei International Rights Advocates im Namen von 13 kongolesischen Familien bei einem Gericht in Washington D.C. eine Sammelklage gegen Apple, Alphabet, Dell, Microsoft und Tesla eingereicht. Die US-Tech-Unternehmen würden Kobalt aus der DRK verwenden, das wissentlich durch „erzwungene Kinderarbeit“ gewonnen werde, lautet der Hauptvorwurf.

Autor

Markus Spörndli

ist Journalist in Nairobi, Kenia, und auf Entwicklungsfragen spezialisiert. Er schreibt regelmäßig für die „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ), „Die Wochenzeitung“ (WOZ) und „der Freitag“.
Ob die Klage juristische Konsequenzen haben wird, ist fraglich. Aber sie könnte den Trend verstärken, dass Rohstoffhändler wie auch Tech-Unternehmen ganz auf Kobalt aus informellen Minen zu verzichten versuchen, um keinesfalls mit Kinderarbeit in Verbindung gebracht zu werden. Der schweizerisch-britische Rohstoffmulti Glencore, der den Kobaltmarkt dominiert, beteuert, nur noch Material aus den eigenen, industriell betriebenen Minen zu verkaufen.

Doch wenn Händler und Endabnehmer die Kleinschürfer aus der Lieferkette ausschließen, würde das die Situation vor Ort nur noch verschlimmern – darin sind sich verschiedene NGOs einig. „Für die Menschen in Kolwezi gibt es kaum Alternativen zum Bergbau“, sagt Emmanuel Umpula Nkumba, der Direktor der kongolesischen Organisation African Resources Watch (AfreWatch). „Es ist klar, dass ein Unternehmen wie Glencore nicht die Kapazität hat, all diese Leute anzustellen; deshalb müssen die Minenbetreiber zusammen mit dem Staat die Situation für die Kleinschürfer verbessern.“

In eine nachhaltige Lieferkette investieren

Und Chantal Peyer von der schweizerischen Organisation Brot für alle, die schon seit Jahren über die Tätigkeiten der Rohstoffmultis in der DRK recherchiert, sagt: „Boykott ist immer eine schlechte Antwort. Unternehmen, die Material aus kleinen, informellen Minen generell ablehnen, stehlen sich aus der Verantwortung. Sie müssen in eine saubere, nachhaltige Lieferkette investieren.“Als ein Versuch, unternehmerische Verantwortung wahrzunehmen, nennt Peyer ein Pilotprojekt von Trafigura. Der große Rohstoffhändler mit Hauptsitzen in Singapur und Genf hat 2018 in einem Dreijahresvertrag vereinbart, das gesamte Kobalt zu kaufen, das der Minenbetreiber Chemaf in der DRK abbaut. Das von Dubai aus kontrollierte Unternehmen betreibt in der Nähe von Kolwezi die Mutoshi-Mine – und Trafigura stand vor dem Problem, wie es mit den mehr als 5000 informellen Bergarbeitern umgehen sollte, die illegal in einem Teil des Geländes arbeiteten. Regelmäßig starben dort Menschen, weil Tunnel einstürzten.

Heute ist das Gebiet eingezäunt, der Zutritt wird nur erwachsenen Mitgliedern einer bestimmten Kooperative gewährt. Mit Baggern ist die oberste Erdschicht abgetragen worden, um gefährliche Schächte zu vermeiden. Die Arbeiter sind mit Schutzhelmen und Overalls ausgestattet; es gibt sanitäre und medizinische Einrichtungen. Die Kooperative hat sich verpflichtet, das gesamte Kobalt zu einem regelmäßig auszuhandelnden Preis an Chemaf zu verkaufen.

Eine von Trafigura in Auftrag gegebene externe Studie stellte dem Projekt kürzlich ein gutes Zeugnis aus. Die Arbeiter und Arbeiterinnen profitierten von mehr Sicherheit, Gesundheit und Produktivität, heißt es darin. Besonders Frauen verdienten in der geschützten Situation mehr als früher.

Auch Kritik an Chemaf

In der Studie wird aber auch kritisiert, dass Chemaf im Laufe des vergangenen Jahres einige vereinbarte Leistungen aus wirtschaftlichen Gründen ausgesetzt habe: Zumindest zeitweise habe das Unternehmen die oberen Gesteinsschichten nicht mehr abgetragen, zerschlissene Sicherheitsausrüstung nicht mehr ersetzt und die Arbeiter verspätet bezahlt. Alles in allem aber, so die Schlussfolgerung der Studie, sei das Pilotprojekt ein gutes Modell dafür, wie die ansonsten vollkommen ungeregelten Arbeitsbedingungen von Kleinschürfern ein Stück weit formalisiert werden können.

Emmanuel Umpula Nkumba von AfreWatch widerspricht: „Die Sicherheitslage hat sich zwar verbessert, aber ich sehe weder wirtschaftliche noch soziale Vorteile für die Arbeiter.“ Die Kooperative sei stark mit Chemaf verbandelt und das Unternehmen könne den Preis als Monopolist willkürlich festlegen. „Wenn jemand aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten kann, nützt ihm dieses Projekt auch nichts“, sagt Nkumba. „Chemaf profitiert einseitig davon.“

James Nicholson, der Leiter „Unternehmensverantwortung“ von Trafigura, findet Nkumbas Kritik unfair: „Aus wirtschaftlicher Sicht ist es logisch, dass Chemaf das Material zu einem etwas tieferen Preis kauft. Letztlich investiert das Unternehmen viel Geld in die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeiter, die in seiner Konzession schürfen.“ Es sei eine Win-Win-Situation, wodurch das Modell nicht nur sozial, sondern auch wirtschaftlich nachhaltig werde. Chemaf könne einen Teil der Konzession produktiv nutzen, der sich derzeit nicht für den industriellen Abbau eigne, weil der Kobaltgehalt im Gestein niedrig ist. Doch die Arbeiter profitierten noch mehr, weil sie nicht mehr um ihr Leben fürchten müssen, so Nicholson: „Seit Projektbeginn sind zwei Millionen Arbeitsstunden geleistet worden, ohne dass es zu einem Unfall kam, der einen Arbeitsausfall zur Folge gehabt hätte.“

Ein faires Einkommen ist wichtig für die Arbeiter

Nicholson bezeichnet das Projekt als einen Erfolg für alle Beteiligten. Dennoch ist unklar, ob es weitergeführt oder gar ausgeweitet wird. „Die Entscheidung liegt in den Händen von Chemaf“, sagt er. Würde Trafigura den Abnahmevertrag mit Chemaf auch verlängern, falls der Minenbetreiber das Projekt abbricht? Dazu will die Unternehmenskommunikation keinen Kommentar abgeben.

Chantal Peyer von Brot für alle teilt die Fundamentalkritik von AfreWatch nicht: „Trafigura versucht zumindest, das Richtige zu tun und in eine nachhaltige Lieferkette zu investieren.“ Doch auch sie findet es unverständlich, dass die Kleinschürfer in der Mutoshi-Mine weniger Geld für das Kobalt erhalten als anderswo: „Für die Arbeiter und ihre Familien ist ein faires Einkommen zentral. Die Unternehmen würden so oder so weiterhin Profit machen.“

Peyer und Nkumba sind sich einig: Am besten wäre es, Minenbetreiber wie Glencore oder Chemaf gäben die Gebiete, die sich nicht oder nicht mehr für einen industriellen Abbau eignen, an die Allgemeinheit ab. Doch dann müsse auch der kongolesische Staat viel mehr Verantwortung übernehmen. Politiker und Behörden versprechen zwar immer wieder, die Situation der Kleinschürferinnen zu verbessern. Der Staat fördert den Kleinhandel von kobalthaltigem Gestein und erhebt darauf Steuern. Doch aus Sicht von Peyer und Nkumba tut er nichts, um den Kleinschürfern geeignete Gelände zur Verfügung zu stellen oder ihnen eine alternative Einkommensquelle zu bieten.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2020: Schuften für den Weltmarkt
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