Afghanistan: „Ich habe von vielen Geschichten die Finger gelassen“
Ich habe vor fünf Jahren mit dem Journalismus angefangen, als ich noch zur High School ging. Ich war jung und naiv und dachte, wenn es auch sonst an Vielem fehlt in Afghanistan, es herrscht immerhin Meinungsfreiheit. Aber die Arbeit in den vergangenen Jahren hat mir klar gemacht, dass Journalisten hier mit Angst, Drohungen und Gefahren fertigwerden müssen.
Die Aufstände sind eine der wichtigsten Gefahrenquellen. Die Kämpfe zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung gehen praktisch überall weiter. Das hat zur Folge, dass ich nicht überall hinfahren kann, um zu schreiben. Eine weitere Gefahr für mich und andere Journalisten ist, dass Recht und Gesetz nicht viel zählen.
In Afghanistan wurden im Jahr 2018 laut Reporter ohne Grenzen 15 Journalisten getötet. Die Regierung hat zwar die besten Gesetze zum Schutz von Journalisten beschlossen, aber tatsächlich tut sie nichts für unsere Sicherheit. Ich fühle mich nicht sicher, wenn ich in einem Korruptionsfall recherchiere. Ich habe von vielen Geschichten die Finger gelassen, einfach weil mir das Risiko zu groß war. Ezzatullah Mehrdad
Indien: „Es gibt einigen Grund zur Sorge“
Indien gilt als größte Demokratie der Welt. Aber eine wachsende Welle an Nationalismus und eine zunehmend autokratische Führung gefährden die Meinungs- und Pressefreiheit. Die Regierung versperrt ausländischen Reportern den Zugang zu Kaschmir, der am stärksten militarisierten Zone der Welt, und als Folge einer andauernden Internetblockade dort dringen nur wenige Geschichten nach draußen. Die Regierung macht es ausländischen Journalistinnen außerdem sehr schwer, nach Assam zu reisen, den Bundesstaat im Nordosten, wo gerade zwei Millionen Menschen die Staatsbürgerschaft entzogen werden soll. Ich bin während meiner Arbeit einige Male belästigt worden, meistens über Twitter. Aber als amerikanische Staatsbürgerin, die für westliche Medien schreibt, konnte ich meistens ohne Störung über die Themen berichten, die mich interessieren. Viel düsterer ist die Lage für einheimische Journalisten vor allem auf dem Land, die in lokalen Sprachen berichten und eine sehr wichtige Arbeit machen. Sechs wurden im Jahr 2018 laut Reporter ohne Grenzen in Indien getötet.
Insgesamt fühle ich mich sicher, aber unlängst wurde ich daran erinnert, dass auch ausländische Journalistinnen von der Regierung für ihre Arbeit abgestraft werden können: Im vergangenen November wurde einem Reporter des „Time Magazine“ das Dauervisum entzogen, nachdem er in einer Titelgeschichte den Premierminister kritisiert hatte. Es gibt einigen Grund zur Sorge, wie Indien mit den Medien umgeht. Und schaut man sich an, wohin das Land sich entwickelt, braucht es mehr denn je eine faire und akkurate Berichterstattung. Namrata Kolachalam
Nigeria: „Wiedersehen vor Gericht“
Nigeria steht in punkto Pressefreiheit schlecht da. Mord, Überfälle, Belästigungen und Verhaftungen sind einige der Gefahren, denen Journalisten während ihrer Arbeit hier ausgesetzt sind. Als ich vor Jahren in Lagos für das inzwischen eingestellte Magazin „Newswatch“ arbeitete, gab es im Büro einen Witz: Wenn kritische Artikel über die Regierung erscheinen sollten, hieß es, die Autoren sollten schon mal die Zahnbürste einpacken, da sie sicher demnächst verhaftet würden.
Einmal habe ich an einer Story über eine korrupte Richterin am Obersten Gerichtshof mitgearbeitet; es war unsere Titelgeschichte der Woche. Die Richterin ließ sofort alle sieben namentlich genannten Autoren verhaften. Einige Tage später wurden wir vom Gefängnis vor die Kammer der Richterin aus unserer Geschichte gebracht. Wir hatten ziemlich viele Anwälte dabei, und was eigentlich ein Gerichtsverfahren werden sollte, artete schnell in einen lauten Schlagabtausch zwischen ihnen und der Richterin aus. Die Anwälte argumentierten, die Richterin könne nicht über ihren eigenen Fall urteilen. Es waren auch viele Reporter da, und es war klar, dass die Geschichte Schlagzeilen machen würde. Die Richterin hat wohl gespürt, dass sie noch schlechter in den Medien wegkommen könnte als ohnehin schon, und beendete die Sitzung plötzlich. Damit war der Fall erledigt.
Für mich als Journalist war das ein Moment des Sieges über die Straffreiheit für Staatsbedienstete. Aber die Atmosphäre, in der ich hier arbeite, hat sich seitdem nicht verändert. Es ist heikel, über Offizielle zu berichten, die Millionen Euro an Staatsgeldern veruntreut haben. Wenn man so etwas schreibt, besteht das Risiko, verhaftet zu werden – wegen strafbarer Verleumdung, wie die Polizei das nennt. Wenn ich meine Arbeit mache, besteht immer die Gefahr, dass wütende Staatsangestellte oder Sicherheitskräfte meine Kameras oder Aufnahmegeräte zerstören. Und als wäre das nicht schon genug, plant die Regierung strengere Gesetze, von denen eines ursprünglich sogar die Todesstrafe für Hassreden vorsah. Sam Olukoya
Brasilien: „Der Präsident beschimpft die Presse“
Brasiliens Verfassung verbietet jede Form von Zensur. In der Praxis allerdings war ich in den zehn Jahren meiner Arbeit als Reporterin mit einigen Hürden konfrontiert. Seit dem Jahr 2011 gilt ein Gesetz, das den Staat verpflichtet, sämtliche von Journalisten angefragte Informationen herauszugeben. Das war ein Durchbruch, aber viele meiner Anfragen wurden ignoriert oder ohne Angabe von Gründen zurückgewiesen. Ein Magazin, für das ich schreibe, durfte sogar nach einem Gerichtsbeschluss nicht mehr verkauft werden, weil eine politische Partei klagte, ihr Gegner schneide darin besser ab.
Ein anderes Problem ist die Gewalt in Brasilien. Journalistinnen sollten sich nicht in Gegenden bewegen, in denen die organisierte Kriminalität das Sagen hat. Während der Recherche für eine Artikelserie in São Paulo, der größten Stadt des Landes, wurde ich von solchen Leuten gestoppt.
Seit Präsident Jair Bolsonaro im Amt ist, haben sich die Angriffe auf die Presse verschlimmert. Bolsonaro hat der Presse die Legitimation abgesprochen, er hat sie sogar als „Feind“ bezeichnet und einzelne Journalisten beschimpft. Nach Angaben der brasilianischen Journalistenvereinigung hat der Präsident die Medien im vergangenen Jahr zwischen Januar und Oktober in 99 Äußerungen attackiert. Sarah Fernandes
El Salvador: „Gar nicht cool“
In El Salvador wird die Informationsfreiheit zunehmend eingeschränkt. Nayib Bukele, ein Unternehmer, der mit 38 Jahren im Juni 2019 Präsident wurde, orientiert sich an Donald Trump: Er geht Journalisten und Journalistinnen aus dem Weg und regiert mit der Plauder-Plattform Twitter. Sein erster Monat im Amt war geprägt von nächtlichen Tweet-Orgien, in denen er die Entlassung von Staatsangestellten anordnete. Seine Faszination für solche Netzwerke geht so weit, dass er am Rednerpult der UN-Generalversammlung erst ein Selfie von sich aufnahm, bevor er sprach. „Dieses Selfie werden mehr Leute sehen, als diese Rede hören“, sagte er.
Er liebt Facebook und Twitter, weil seine Monologe dort von niemandem in Frage gestellt werden. Journalisten, die für kritische Fragen bekannt sind, bekommen keine Interviews und werden sogar – wie die Kollegen der Internetzeitungen „El Faro“ und „Factum“ – von Pressekonferenzen ausgeschlossen. Dafür wurde Bukele von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission gerüffelt. Seine Pressestelle antwortete, die Fragen der Journalisten hätten Respekt vermissen lassen. Die gesetzlich vorgeschriebenen Internetseiten, auf denen die Regierung Gehälter, Verträge und Reisekosten veröffentlichen muss, sind schon lange nicht mehr auf dem aktuellen Stand. Anfragen nach an sich öffentlicher Information bleiben meist unbeantwortet. Bukele nennt sich selbst den „bestaussehendsten und coolsten Präsidenten der Welt“. Sein Verhältnis zu Journalisten ist alles andere als cool. Cecibel Romero
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