Alle Menschen sind gleich“ heißt es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Das bedeutet jedoch noch lange nicht, dass auch alle die gleichen Chancen haben. Gajanand Darwei aus Indien hat das am eigenen Leib erfahren. Der heutige Chef eines Biobauernhofs hatte als Kind Polio und wurde wegen seines gelähmten Beines jahrelang gehänselt und ausgegrenzt. So wie es ihm erging, geht es den meisten der eine Milliarde Menschen mit Behinderungen weltweit. Sie verfügen nicht über die gleichen Lebenschancen wie Menschen ohne Behinderungen. Die Folgen: mangelnder Zugang zu Bildung und Erwerbstätigkeit, Armut, keine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben.
Diese Ungleichheit wollen die Vereinten Nationen beenden oder zumindest reduzieren. Dafür haben sie vor vier Jahren die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung verabschiedet, die unter anderem soziale, wirtschaftliche und politische Inklusion zum Ziel hat. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Im September dieses Jahres trafen sich die Staats- und Regierungschefs der Vereinten Nationen zum Nachhaltigkeitsgipfel in New York, um zu überprüfen, ob die Staatengemeinschaft bei der Umsetzung der Agenda auf einem guten Weg ist. Das Ergebnis ist für einige der gesteckten Ziele ernüchternd. Beim Thema Hunger sieht es heute schlechter aus als 2015. Nach Angaben der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) ist die Zahl der Hungernden seit 2015 wieder signifikant gestiegen. Auch die Ungleichheit ist nach wie vor groß.
Die Vereinten Nationen müssen daraus Konsequenzen ziehen, zum Beispiel indem sie mehr Programme für Menschen auflegen, die besonders benachteiligt sind. Zu ihnen zählen Mädchen und Jungen mit Behinderungen, die nicht zur Schule gehen können. Aber auch Erwachsene, die wegen ihrer Behinderung vom Arbeitsmarkt ausgegrenzt werden und daher kein eigenes Geld verdienen können.
Zu ihnen gehörte auch der eingangs zitierte 39-jährige Gajanand Darwei aus dem indischen Bundesstaat Madhya Pradesh. Er war drei Jahre alt, als er an Kinderlähmung erkrankte. Innerhalb von drei Wochen verkümmerte sein rechtes Bein. Es wurde so dünn, dass er kaum noch stehen und sich nur humpelnd fortbewegen konnte. Als Kind wurde er häufig benachteiligt. Auch seine Eltern trauten ihrem Sohn kaum etwas zu. Obwohl er zur Schule und anschließend zur Universität ging, wurde er anschließend von potenziellen Arbeitgebern schlicht ignoriert. Niemand wollte einen behinderten Menschen einstellen.
Unermüdliches Engagement für sich und andere
Gajanand Darweis Leben wendete sich erst zum Besseren, als er einen Gemeindehelfer des CBM-Partners „Naman Seva Samiti“ traf. Wie dieser behinderte Menschen über ihre Rechte aufklärte sowie Hilfsmittel und Vergünstigungen organisierte, beeindruckte den jungen Mann. Er fing an, sich ebenfalls zu engagieren und eine Selbsthilfegruppe zu gründen. Es folgten weitere Gruppen, und Gajanand Darwei übernahm die Koordinierung. Sein Selbstbewusstsein wuchs und er begann, mehr zu wollen. Mit Hilfe eines Kleinkredits eröffnete er eine eigene Fahrradwerkstatt. Abends beaufsichtigte er noch eine Gewürzfabrik, die eine seiner Selbsthilfegruppen gegründet hatte. Nach nur einem halben Jahr hatte er seinen Kredit zurückgezahlt.
Mittlerweile hat Gaja-nand seine Werkstatt verkauft und arbeitet Vollzeit für die Organisation „Naman“. Er ist einer von vier Direktoren eines landwirtschaftlichen Betriebs für Bioprodukte. Neben Gewürzen wie Chili und Kurkuma gedeihen auch Mais und Getreide auf den Feldern. Viele behinderte Menschen arbeiten dort und erwirtschaften ihr eigenes Einkommen, mit dem sie sich und ihre Familien ernähren können. Sein unermüdliches Engagement für sich und andere erklärt Gajanand so: „Gott gab mir zwei Hände – eine, um mir selbst zu helfen, und eine, um anderen zu helfen.“
Diese Geschichte aus Indien hat mich sehr beeindruckt. Sie zeigt, was Menschen mit Behinderungen alles leisten können, wenn man ihnen die Chance gibt, ihr Leben selbstbestimmt in die Hand zu nehmen. Ein Leben in Armut, wie viele behinderte Menschen es heute immer noch führen, ist nicht zwangsläufig. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie weiter abgehängt werden. Geben wir ihnen stattdessen die Möglichkeit, ihre Potenziale zu nutzen und uneingeschränkt am Leben teilzuhaben. Nur so können wir die Ungleichheit auf der Welt reduzieren.
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