Gaunerei mit CO2

Bislang wurde der Handel mit Emissionsrechten vor allem von Umweltgruppen kritisiert, die ihn für ein ungeeignetes Mittel gegen den Klimawandel halten. Jetzt ist der EU-Emissionshandel durch einen großen Betrugsfall in Misskredit geraten: Scheinfirmen haben mit CO2-Zertifikaten gehandelt und dabei EU-Regierungen um Mehrwertsteuereinnahmen in Millionenhöhe geprellt.

Ende August hob die britischen Polizei einen internationalen Betrugsring von Emissionsrechte-Händlern aus: Neun wurden festgenommen, Durchsuchungen im Großraum London sowie in Paris und Amsterdam brachten offenbar reiche Beute, die laut den Behörden den Verdacht auf Steuerhinterziehung in Höhe eines zweistelligen Millionenbetrags belegen. Es ging um einen klassischen Fall von „Karussell-Betrug“ mit der Mehrwertsteuer: Beim Handel zwischen mehrwertsteuerpflichtigen Firmen innerhalb der EU muss nach dem so genannten Bestimmungslandprinzip ein Verkäufer X keine Mehrwertsteuer an den Fiskus abführen, sondern nur der Käufer Y im Einfuhrland. Der kann den Betrag aber beim Finanzamt als Vorsteuer geltend machen und erhält ihn zurück. Beim Karussell-Betrug verkauft der Käufer Y die Ware im eigenen Land an die Firma Z weiter, führt aber nicht die Mehrwertsteuer ab, die er Z berechnet. Z macht den Betrag trotzdem als Vorsteuer geltend und verkauft die Ware anschließend zurück an den ursprünglichen Verkäufer X. Der Zwischenhändler Y ist inzwischen vom Markt „verschwunden“, so dass der Fiskus die fällige Mehrwertsteuer nicht eintreiben kann. Der Gewinn des Scheinfirmentrios X, Y und Z besteht im Vorsteuerbetrag, den Z vom Staat nach dem Geschäft mit Y erstattet bekommen hat.

Derlei Scheingeschäfte auf Kosten der Steuerbehörden gibt es schon lange in der EU. Doch nun haben sie erstmals in großem Stil im Handel mit Emissionsrechten stattgefunden. Emissionsrechte im Rahmen des Emission Trading System (ETS) der EU werden über Börsen in London, Paris, Oslo und Leipzig sowie zu einem guten Teil auch direkt zwischen Brokern gehandelt („over the counter“, OTC). Dabei gehen mitunter große Pakete an Emissionsrechten im Minutentakt über Dutzende von Zwischenhändlern an die Endkunden. Diesen Umstand machen sich die Karussell-Betrüger zunutze, indem sie sich in solche Handelsketten einklinken, ohne dass die ehrlichen Händler das merken.

Der jetzt aufgedeckte Fall sei „nur die Spitze des Eisbergs“, kommentierte ein Broker an der Pariser BlueNEXT, einer der vier ETS-Börsen. Dort war auch der erste Verdacht entstanden, als die Umsätze zwischen Oktober 2008 und April dieses Jahres von 27 Millionen Emissionskrediten (je eine Tonne CO2) auf 186 Millionen auffällig in die Höhe geschossen waren. Dieses Wachstum konnte nur teilweise mit dem alljährlichen Anstieg im Frühjahr erklärt werden, wenn Unternehmen benötigte Zertifikate zukaufen oder überschüssige verkaufen.

Der Betrug wird sowohl vom Mangel an Transparenz zwischen den nationalen Steuerbehörden in der EU als auch vom Umstand begünstigt, dass der elektronische ETS-Handel mit dem „unsichtbaren Gut“ der Emissionsrechte nur schwer zu kontrollieren ist. Allein im Fall der Großfahndung im August ging es um rund 24 Millionen Tonnen CO2 im Wert von 293 Millionen Euro – fast zehn Prozent der gesamten britischen Emissionsrechtequote.

Der spekulative Handel mit Emissionsrechten – und damit auch die Möglichkeiten für Betrüger – ist seit 2008 kräftig gewachsen, seitdem einmal erworbene Rechte nicht mehr wie in der ersten Phase des ETS jährlich verfallen, sondern beliebig lange weiterverkauft werden können. Im vergangenen Jahr wurden 92 Milliarden Euro an den ETS-Börsen umgesetzt; für OTC-Geschäfte gibt es keine offiziellen Daten, sie werden aber auf ein Fünftel bis zu einem Drittel des Börsenumsatzes geschätzt. Legt man den Durchschnittpreis des vergangenen Jahres für eine Tonne CO2 in Höhe von 15 Euro zugrunde, entspricht das Handelsvolumen fast dem Dreifachen der europaweit zugeteilten Emissionsrechte über 2,1 Milliarden Tonnen. Und von dieser Gesamtmenge kommt der größte Teil nicht einmal auf den Markt, weil die Unternehmen sie tatsächlich verbrauchen.

Angesichts der zunehmenden Spekulation mit Emissionsrechten befürchten Organisationen wie Friends of the Earth und die konservative Heritage Foundation aus den USA das Entstehen einer neuen Finanzblase ähnlich der auf den internationalen Immobilienmärkten (siehe welt-sichten 7/2009, S. 18). Sie warnen deshalb vor einer weltweiten Ausdehnung des Emissionshandels nach dem Vorbild des ETS. Freilich ist genau das die Idee der EU-Kommission: Auf der Weltklimakonferenz Ende des Jahres in Kopenhagen will sie die Einrichtung eines „Global Climate Finance Mechanism“ vorschlagen, der auf dem EU-Emissionshandel fußen würde.

Im September will Brüssel aber zunächst einmal eine neue Vorlage zur Harmonisierung der Mehrwertsteuerregeln für den CO2-Handel innerhalb der Europäischen Union vorlegen. Sie soll wenigstens einige der Hintertüren für schmutzige Geschäfte im ETS schließen.

 

erschienen in Ausgabe 10 / 2009: Homosexualität: Akzeptiert, verdrängt, verboten

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