Kostenlose Arbeit oder unverzichtbarer Beitrag?

Wie können die Nutznießer von Entwicklungsprojekten zu diesen beitragen? Darüber streitet die im hessischen Bensheim ansässige Karl Kübel Stiftung derzeit mit der Europäischen Kommission. Die Kommission erkennt den Eigenbeitrag von Bauern für ein Projekt in Indien nicht an und fordert von der Stiftung einen sechsstelligen Euro-Betrag zurück.

Das von der Stiftung in den Jahren 2001 bis 2006 geförderte Projekt im Hinterland von Mumbai diente der Regeneration von Wasserressourcen und wurde von der EU-Kommission mitfinanziert.  Erdarbeiten etwa zum Erosionsschutz führte die örtliche Bevölkerung selbst aus und wurde dafür aus Projektmitteln nach ortsüblichen Tagessätzen bezahlt.

Die Männer und Frauen verzichteten auf 20 Prozent ihres Lohnes und führten den Betrag als Eigenleistung ins Projekt zurück. Diesen Betrag in Höhe von gut 127.000 Euro erkennt die EU-Kommission als Projektkosten nicht an und fordert ihn deshalb von der Karl Kübel Stiftung zurück. Die Wirtschaftsprüfgesellschaft Ernst & Young, die das Vorhaben im Auftrag der Kommission untersucht hat, wertet die Eigenleistung der Bevölkerung als „freiwilligen Beitrag  in Form von kostenloser Arbeit“.

Laut den Regeln für die EU-Kofinanzierung müssen Projektkosten, um als solche anerkannt zu werden, einerseits „tatsächlich entstanden“ sein und dürfen andererseits nicht aus Sachleistungen wie der Bereitstellung von Gebäuden, Grundstücken und Fahrzeugen oder eben unentgeltlicher Arbeit bestehen. Brüssel will auf diesem Weg verhindern, dass solchen Leistungen ein willkürlicher Wert zugeschrieben wird und auf diese Weise die Projektkosten und damit auch der Kofinanzierungsanteil in die Höhe getrieben werden.

Die Karl Kübel Stiftung und ihre indische Partnerorganisation argumentieren in ihrer Antwort auf das Gutachten der Wirtschaftsprüfer, mit dem aus dem Lohnverzicht der Bevölkerung stammenden Geld seien Projektaufgaben bezahlt worden, die ohne diesen Beitrag nicht hätten finanziert werden können. Insofern handele es sich nicht lediglich um eine in Geld umgewandelte Sachleistung, sondern um tatsächliche Kosten im Sinne der EU-Regeln. Ralf Tepel vom Vorstand der Karl Kübel Stiftung sagt, es lasse sich klar belegen, welche Kosten mit der fraglichen Summe finanziert wurden.

Laut Kennern der Materie ist es in von der EU kofinanzierten Projekten immer riskant, Arbeitsleistungen als Eigenbeiträge der Zielgruppe ins Projektbudget aufzunehmen. Im vorliegenden Fall sei die Karl Kübel Stiftung aber im Recht, sagt Barnim Raspe von bengo, der Beratungstelle für nichtstaatliche Hilfsorganisationen. Denn die Stiftung könne belegen, dass die Gesamtkosten für die Arbeiten der Bevölkerung tatsächlich entstanden sind – und allein das zähle. Was die Männer und Frauen nach ihrer Bezahlung mit einem Teil ihres Lohnes gemacht haben, sei völlig irrelevant.

Die Stiftung hat den Fall zur Prüfung an den EU-Ombudsmann weitergeleitet. Ob sie die Rückzahlung noch abwenden kann, ist aber fraglich, sagt Tepel. Unterdessen hat sich die christdemokratische EU-Abgeordnete und Haushaltsexpertin Inge Gräßle in einem Brief an die zuständigen EU-Kommissare „erstaunt“ gezeigt „über das Verhalten, welches der Karl Kübel Stiftung entgegengebracht wurde“, und eine Prüfung erbeten. Das Projekt in Indien scheine „ein Musterfall“ für nachhaltige Entwicklungsförderung unter Beteiligung der Begünstigten zu sein.

erschienen in Ausgabe 10 / 2009: Homosexualität: Akzeptiert, verdrängt, verboten
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