#NoWhiteSaviors. Keine weißen Retter. Unter diesem Hashtag bieten die Uganderin Olivia Alaso und die US-Amerikanerin Kelsey Nielsen all jenen eine digitale Plattform, die sich über ein noch immer weit verbreitetes Klischeebild ärgern: das des hilflosen Schwarzen im Süden, der von weißen Helfern aus dem Norden gerettet werden muss. Die beiden Frauen treffen damit bei vielen einen Nerv. Mehr als 190.000 Follower haben sie auf Instagram und verleihen mit ihrer Aktion einer jahrzehntealten Debatte viralen Auftrieb, die unter anderem unter dem Stichwort „Postkolonialismus“ Kritik am Begriff und der ganzen Idee von „Entwicklung“ und somit auch an der Entwicklungszusammenarbeit übt.
Der Vorwurf: Entwicklungszusammenarbeit sei weit entfernt von der postulierten Begegnung auf Augenhöhe, denn sie sei grundlegend von Hierarchie geprägt. Geber stünden über Empfängern, vermeintlich universal gültige (westliche) Lebens- und Produktionsmodelle über örtlichen Modellen, Werten und Kulturen. Autoren wie der kolumbianische Ethnologe Arturo Escobar haben dargelegt, dass die sogenannte „Dritte Welt“ im Ursprung ein Konstrukt des Westens ist. Geschaffen aus (geo-)politischem Machtinteresse: um unter dem Deckmantel der Hilfe zu legitimieren, dass der Westen – als „erste Welt“– dort weiter im eigenen Interesse intervenieren konnte. Demnach wurde der Kolonialismus fortgeschrieben, auch unter der neuen Überschrift der Entwicklungshilfe.
Und er nimmt längst neue Formen an: In Amazonien etwa, jenem einzigartigen Gebiet mit einem Fünftel der globalen Süßwasserreserven, werden wir Zeugen brutaler Ausbeutung im Namen von Fortschritt und Entwicklung. Die industrielle Landwirtschaft vernichtet Regenwald, Menschen werden vertrieben, indigene Gesellschaften zerfallen, während Soja oder Rindfleisch aus ihrer Heimat auf unseren Tellern landen. Ähnlich läuft es mit Eisenerz und seltenen Erden, die in unseren Autos und Handys verbaut werden. Die Kosten einer Lebensweise, die auf hohen Konsum und Ressourcenausbeutung setzt, tragen immer öfter Menschen im globalen Süden.
Alle Länder sind Entwicklungsländer
In der globalen Ökonomie scheinen wir von Augenhöhe weiter entfernt denn je. Dabei müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass koloniales Erbe in den Ländern des Südens, aber gerade auch in unserer tief verwurzelten Sicht auf diese Länder als „Entwicklungsländer“ fortwirkt – auch in der Entwicklungszusammenarbeit. Deshalb müssen wir uns die Praxis von Partnerschaft kritisch ansehen und sie auch verändern. Sie sollte stärker durch geteilte Werte geprägt sein als durch einseitig verteiltes Geld, das dem Geber eventuell mehr nützt als dem Empfänger. Für eine Begegnung auf Augenhöhe ist ständiger Dialog entscheidend, die Bereitschaft, voneinander zu lernen und dem anderen keine Modelle überzustülpen. Entwicklung muss vom Machtdenken befreit werden.
Und wir müssen uns noch mehr bewusst machen und danach handeln, dass Entwicklung in allen Ländern notwendig ist. Die große Errungenschaft der 2015 verabschiedeten Entwicklungsziele war ja, dass sie Entwicklung global definiert und somit alle Länder Entwicklungsländer sind. Das ist ein Entwicklungsbegriff, mit dem sich (zusammen-)leben lässt. Er verlangt, dass mit der äußeren eine innere Entwicklung einhergeht. Eine Haltungsänderung. Ein Bewusstseinswandel. Dazu sind wir bei Misereror im Gespräch mit unseren Projektpartnern. Augenhöhe als Selbstverständlichkeit, in Anerkennung dessen, dass unsere Modelle eben nicht global tragfähig sind und gerade der globale Norden lernen und sich ändern muss. Dann können auch die Klischees verschwinden, wie es Aktivistinnen wie Olivia Alaso und Kelsey Nielsen zu Recht fordern.
Die Zukunft der Entwicklungszusammenarbeit? Sie muss Motor sein für den anstehenden Wandel und mit ihrer jahrzehntelangen Erfahrung von ungleicher Augenhöhe auch ein Gewissen dieses Wandels. Papst Franziskus formuliert in der Enzyklika Laudato si: „Wir müssen das Modell globaler Entwicklung in eine andere Richtung lenken.“ Weg von einem System von Wachstumszwang und Ausbeutung, hin zu einer sozialökologisch basierten Gesellschaft. Es geht um Befreiung – von einem System, das Macht und Ungleichheit perpetuiert, uns in den Abgrund treibt und schon zu lange behauptet, „Entwicklung“ zu sein.
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