Gemeinsam fürs Klima streiken

Klimawandel
Am 20. September sind in vielen Ländern Menschen nicht zur Arbeit oder in die Schule, sondern auf die Straße gegangen und haben die Politiker zu einem wirksamen Klimaschutz aufgefordert. Weltweit waren über 4000 Streiks angekündigt. Auch in Afrika und Lateinamerika, berichten unsere Korrespondenten.

Südafrika: Beste Voraussetzungen für eine Energiewende

„Der Kampf um soziale und ökologische Gerechtigkeit ist ein und derselbe Kampf. Ohne einen bewohnbaren Planten lassen sich auch keine sozialen Probleme lösen.“ So lautet das Kredo der African Climate Alliance (ACA). Die Jugendorganisation hat sich im März in Südafrika formiert, mittlerweile hat sie knapp 200 Mitglieder in neun afrikanischen Ländern. Am 20. September, dem Klimastreik-Freitag, wollen die jungen Aktivisten zu Südafrikas Parlament in Kapstadt marschieren, um der Regierung von Präsident Cyril Ramaphosa ihren Forderungskatalog zu überreichen. Sie verlangen nicht nur den Ausruf eines nationalen Klimanotstands, sondern darüber hinaus den kompletten Umstieg auf erneuerbare Energien bis zum Jahr 2030, die Aufnahme des Klimawandels als Thema in den Schulunterricht sowie den für Südafrika bedeutendsten Schritt: einen Stopp aller neuen Kohle-, Gas- und Ölförderungen.

Südafrika rangiert beim Ausstoß von Treibhausgasen weltweit auf Platz 14, noch vor Großbritannien und Frankreich. Schon jetzt sind die Auswirkungen des Klimawandels in dem Schwellenland spürbar: Im Jahr 2017 erlebte Kapstadt einen Wassernotstand, bei dem das städtische Versorgungssystem auszutrocknen drohte. In Durban starben im April dieses Jahres mehr als 80 Menschen bei Überflutungen.

Derzeit stillt Südafrika 77 Prozent seines Energiehungers mithilfe von Kohlekraftwerken. Einen Ausstieg aus der fossilen Energieproduktion lehnt Ramaphosas Regierung ab. Zu viele Jobs hingen in der jungen Demokratie mit 27 Prozent Arbeitslosigkeit daran, lautet das Argument. Zudem scheint die Industrie schlicht zu mächtig, auch Korruption rund um den staatlichen Energiekonzern ESKOM spielt eine Rolle. Die südafrikanische Online-Zeitung „Daily Maverick“, die seit kurzem eine Umweltredaktion hat, unterstellt der Regierung in Pretoria eine „religiöse Hingabe an eine aussterbende Technologie“.

Dabei brächte das Land die besten Voraussetzungen für eine Energiewende mit: In einem Mitte August veröffentlichten Wirtschaftsfahrplan empfiehlt Südafrikas Finanzministerium den Umstieg auf Wind- und Solarkraft – nicht nur weil diese günstiger sei als neue Kohlekraftwerke und Jobs schaffe, sondern auch weil Südafrika auf Platz sechs der Länder mit dem größten Potenzial für erneuerbare Energien stehe.

In Johannesburg wollen Aktivisten deshalb am Freitag ein Zeichen setzen. Sie verlangen, dass die Regierung eine „Charta für Klimagerechtigkeit“ in die Verfassung aufnimmt. Der Politologe und Klimaaktivist Vishwas Satgar sagt: „Es wird immer klarer, dass wir dafür eine Bewegung brauchen, die noch größer ist als die Anti-Apartheid-Bewegung war.“ Markus Schönherr

Senegal: Die Jugend übernimmt das Steuer

„Mit dem Klimastreik wollen wir Druck auf unsere Regierung machen. Sie hat alle Konventionen zum Klimaschutz unterzeichnet, etwa das Paris-Abkommen von 2015. Sie soll daran erinnert werden, denn wir beklagen ihre Untätigkeit“, sagt Ibra Seck Cassis, ein bekannter Umweltaktivist im Senegal. In dem westafrikanischen Land haben Umweltorganisationen zum Klimastreik am 20. September aufgerufen und planen Diskussionsrunden, Demonstrationen und Aufforstungsaktionen in einigen Städten des Landes. Theaterstücke werden aufgeführt, um die Menschen für die Klimafragen zu sensibilisieren. Das Motto der Aktionen: Die Jugend übernimmt das Steuer.

„Wir haben Themen für die Mobilisierung ausgesucht, die die Menschen direkt betreffen, wie etwa die Küstenerosion“, erklärt Ibra Seck Cassis. Durch den Anstieg des Meeresspiegels ist die Erosion zu einer realen Bedrohung für viele Städte an der Atlantikküste geworden. In ihnen lebt die Mehrheit der 16 Millionen Einwohner des Landes. Der Staat tut sich schwer, die benötigten Mittel zum Bau von Schutzdämmen bereitzustellen, und die Umsiedlung der Betroffenen ist chaotisch und unzureichend.

Am Beispiel der Aufforstung, die einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz bringen könnte, kritisiert Cassis die Arbeit des senegalesischen Staates. „Aufforstung ist populär. Der Staat unterstützt lokale Initiativen. Gleichzeitig aber werden geschützte Wälder zur Nutzung freigegeben. Unsere Politiker sind weit davon entfernt, die Klimafrage ernst zu nehmen.“

Die Veranstalter des Klimastreiks haben unter anderem das Thema Kohlekraft auf die Tagessordnung gestellt. Das einzige Kohlekraftwerk des Senegal befindet sich in Bargny, einer Stadt im Großraum Dakar. Die Anlage ist seit einem Jahr in Betrieb. Vor Ort gibt es Proteste der Bevölkerung gegen das Kraftwerk. „Wir wollen die Diskussion um das Kohlekraftwerk im ganzen Land bekannt machen und zeigen, dass in Sachen Energietransition die Regierung keine klare Politik macht“, sagt Cassis.

Der Umweltaktivist weist den Hinweis zurück, im Senegal sei die Mobilisierung für die Schülerstreiks von Fridays for Future eher schwach. Im Gegenteil: Die Mobilisierung sei stark, sagt er: „Es ist aber nicht wie anderswo, dass die Menschen einfach auf die Straßen gehen. Im vergangenen März gab es Schülerstreiks, aber die Schüler blieben in den Schulen und haben Aktionen zur Sensibilisierung durchgeführt.“ Im Senegal geht man als Mitglied einer Organisation auf die Straße; einzelne Bürger gehen kaum auf eine Demonstration.Bei der Schlussveranstaltung zur Klimaschutzwoche in Dakar am 27. September werden vermutlich keine Massen von Menschen auf die Straße gehen. Das bedeutet aber nicht, dass die Senegalesen der Klimaerwärmung gleichgültig gegenüberstehen. Dafür sind zu viele schon zu sehr betroffen. Odile Jolys

Peru: Noch wenig öffentliches Interesse

Als Brenda Vargas in Lima vor knapp einem Jahr vom Aufruf Greta Thunbergs las, klickte sie nicht bloß auf „Gefällt mir“ und vergaß das Ganze schnell wieder. Die 21-jährige angehende Umweltingenieurin begann über den Klimawandel zu lesen und spürte die Dringlichkeit, etwas zu tun: „Ich habe jüngere Geschwister; mir vorzustellen, dass sie vielleicht irgendwann kein Wasser mehr haben, ist schrecklich.“ Zusammen mit zwei Kommilitoninnen der Agraruniversität in Lima gründete sie den peruanischen Ableger von Fridays for Future – Viernes por el Futuro. Bei ihrem ersten öffentlichen Protest am 15. März dieses Jahres in der peruanischen Hauptstadt nahmen immerhin rund 500 Personen teil, in ganz Peru seien es 2000 gewesen. Seitdem protestieren die jungen Menschen alle zwei Wochen dafür, dass ihr Land die Abmachungen zum Klimaschutz einhält.

Zwar hat Peru alle internationalen Klimaabkommen unterzeichnet und auch bereits Dutzende Maßnahmen zum Klimaschutz bekanntgegeben. „ Aber bisher gibt es weder Fristen noch ein Budget dafür“, sagt Richard O‘Diana, der bei der peruanischen Bürgerinitiative für den Klimaschutz MOCICC arbeitet und Viernes por el Futuro unterstützt. Besonders wichtig ist den jungen Menschen, dass die Regierung erneuerbare Energien wesentlich stärker fördert als bisher.

Perus Wirtschaft ist in den vergangenen zwanzig Jahren stark gewachsen – und damit auch der CO2-Ausstoß aus Verkehr, Bergbauprojekten und der Abholzung des Regenwaldes. „Viele Menschen glauben, dass Peru vom Bergbau und der Erdölförderung leben muss. Es herrscht breite Unkenntnis über die Zusammenhänge des Klimawandels“, sagt O‘Diana.

Brenda Vargas erklärt sich das mangelnde Interesse der breiten Bevölkerung damit, dass die städtische Bevölkerung den Klimawandel bisher nicht spürt und deswegen meint, das sei alles übertrieben. „Aber die Bauern im Regenwald und in den Anden sagen uns, dass sie gar nicht mehr wissen, was sie wann anbauen sollen, weil das Klima so verrückt spielt“, sagt Brenda Vargas.

Auch wenn die große Mehrheit der Peruaner beim Thema Klimaschutz noch mit den Achseln zuckt: Am 20. September, dem Klimastreik-Freitag, werden die Jugendlichen von Viernes por el Futuro und viele andere Organisationen in zwölf Städten Perus ihr Anliegen hörbar machen. In Lima werden die Demonstranten den Abgeordneten im Kongress eine Erklärung übergeben und sie auffordern, den Klimanotstand auszurufen. Viele Gruppen der peruanischen Zivilgesellschaft haben sich dem Aufruf für diesen Freitag angeschlossen. „Alleine in Lima erwarten wir rund 3000 Personen“, sagt Brenda Vargas. Hildegard Willer

Nigeria: Feuerbälle über dem Nigerdelta

Nigeria ist Afrikas größter Ölproduzent; der Brennstoff trägt 90 Prozent der Exporteinnahmen des Landes bei. Für nigerianische Umweltschützer ist die Ausbeutung der riesigen Öl- und Gasreserven im Nigerdelta das wichtigste Thema mit Blick auf den Klimaschutz. Am Klimastreik-Freitag am 20. September in Port Harcourt, der größten Stadt im Nigerdelta, wird deshalb die Forderung an die Regierung und an die Ölkonzerne im Mittelpunkt stehen, mehr für den Umweltschutz zu tun.

Smith Nwokocha von der internationalen Klimaschutzbewegung 350.org organisiert den Streik in Port Harcourt. „Wenn du hier deine Wäsche oder dein Auto wäschst, dann sind sie nach wenigen Minuten schon wieder rußverschmiert“, sagt er. Die Regierung und die Konzerne seien eingeladen worden, am Streik teilzunehmen. Wenn sie dabei wären, sagt Nwokocha, könnten sie sich der Öffentlichkeit stellen und erklären, wie sie die Verschmutzung stoppen wollen.

Die Ölförderung trägt direkt zum Klimawandel bei. Denn Nigeria gehört zu den Förderländern, die das zusammen mit dem Öl austretende Gas fast vollständig abfackeln. An vielen Stellen im Nigerdelta sieht man die riesigen Feuerbälle, die dabei entstehen. Dabei werden große Mengen vom Treibhausgas Kohlendioxid freigesetzt.

Die Organisation Environmental Rights Action (ERA), der nigerianische Zweig der Umweltorganisation Friends of the Earth International, kritisiert die Ölkonzerne für diese Praxis. ERA-Mitarbeiter Moses Alagoa sagt, die nigerianische Regierung und die multinationalen Ölkonzerne wie Shell seien nicht bereit, die Ölförderung im Nigerdelta herunterzufahren. „Es wird weiterhin in großem Stil Öl gefördert, überall hier. Sogar bewohntes Land wird konfisziert, um nach Öl zu bohren“, sagt er.

Nicht nur die Gasfackeln setzen Treibhausgase frei. Oft reißen die Pipelines und Öl fließt tagelang heraus, ohne dass sich jemand darum kümmert. Dieses Öl entzündet sich oft und brennt ab, wobei Treibhausgase freigesetzt werden. Noch schlimmer ist die Verschmutzung aus den hunderten illegalen Ölraffinerien, die junge Leute überall im Nigerdelta betreiben. Sie stehlen das Öl aus geborstenen Pipelines und raffinieren es, indem sie es mit brennenden Ölresten oder über Holzfeuer erhitzen. Dabei entstehen große Rauch- und Rußwolken, die ganze Landstriche verpesten. Sam Olukoya

Mexiko: Bei Smogalarm wird digital protestiert

Smog, Wassermangel, Müllberge, Verkehrskollaps – eigentlich gäbe es genügend Gründe dafür, dass die Einwohner von Mexiko-Stadt sich den Protesten von Fridays for Future anschließen. Seit März haben Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace immer wieder einmal zu Kundgebungen aufgerufen, und auch in den sozialen Netzwerken ist die Bewegung sehr aktiv. „Hört uns zu, wir wollen keine fossilen Brennstoffe“, „Kein Grad Celsius mehr, keine Tierart weniger“ und „Wir kämpfen für unsere Zukunft“ sind die Slogans der Umweltschützer. Doch selbst wenn Menschen mobilisiert werden, verlieren sich die Demonstranten meist in dieser 20-Millionen-Einwohner-Stadt, in der nahezu täglich irgendwelche Bürgerbewegungen protestieren. Statt des Klimaschutzes stehen die Bekämpfung von Kriminalität und Arbeitslosigkeit auf der Prioritätenliste der Bürger ganz oben.

Umweltschutz ist in Mexiko ein Nischenthema geblieben, das vor allem die jüngere Generation beschäftigt. Mehr als ein paar Tausend Schüler und Studenten kamen bei den Demonstrationen bislang nicht zusammen. Anders als in Europa hat auch der Streik während der Unterrichtsstunden nicht funktioniert – zum ersten Streiktag kamen die meisten erst nach Schulschluss. Die Behörden das Schwänzen auch nicht: Wer in Mexiko ein Fünftel des Unterrichts im Jahr verpasst, bleibt sitzen – egal wie er die Abwesenheit begründet. Einmal musste die Demonstration sogar abgesagt und zu einem „Protesttag in sozialen Netzwerken“ umfunktioniert werden – ironischerweise deshalb, weil die Behörden wegen der schlechten Luftqualität einen Umweltnotstand verhängt und die Einwohner aufgefordert hatten, zuhause zu bleiben.

Am 20. September, dem Klimastreik-Freitag kurz vor Beginn der UN-Vollversammlung, hoffen die Veranstalter auf größeren Zuspruch. „Wir sind von Mal zu Mal mehr geworden“, sagt Jerónimo Zarco, einer der Sprecher der Bewegung. Für die Jugendlichen haben die Demonstrationen vor allem symbolischen Charakter. Um etwas zu ändern, müsse man hinter den Kulissen aktiv werden, hat Zarco erkannt. Treffen mit Parlamentariern und das Einbringen von Gesetzesvorschlägen gehören für die mexikanische Bewegung Fridays for Future deshalb zu ihrer Arbeit dazu. „Das Wichtigste ist, die Regierung und die Unternehmen auf klare Umweltschutzziele festzulegen“, sagt der 30-jährige Guillermo. „Und die Gesellschaft muss endlich aus ihrer Apathie erwachen und ihr Konsumverhalten ändern.“ Sandra Weiss

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