Kakaobauern gegen Palmölkonzern: In der Gemeinde El Castillo, am Rande von Nicaraguas riesigem Urwaldreservat Indio Maíz, spielt sich der typische Agrarkonflikt eines Entwicklungslandes ab. Er bliebe wohl unbeachtet, wäre da nicht die widersprüchliche deutsche Entwicklungshilfe. Denn sie unterstützt beide Seiten. Auf der einen steht die Plantagengesellschaft Palcasa. Dank einem 2006 gewährten Kredit der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG) über sieben Millionen US-Dollar konnte Palcasa den Anbau von Palmöl in El Castillo wiederbeleben. Sie setzte eine Ölmühle wieder in Betrieb und weitete die Plantagen auf heute mehr als 4000 Hektar aus. Die DEG gehört zur staatlichen KfW-Bankengruppe und ist der privatwirtschaftliche Arm der deutschen Entwicklungshilfe. Sie gewährt Unternehmen in Entwicklungsländern Kredite und verpflichtet sie, internationale Umwelt- und Sozialstandards einzuhalten.
Autor
Matthias Knecht
arbeitet als Auslandskorrespondent in Lateinamerika für die Nachrichtenagentur epd, die „Neue Zürcher Zeitung“ und die „Financial Times Deutschland“.Auf der anderen Seite stehen die lokalen Kakaobauern. Die COOPROCAFUC, eine von acht Kakaogenossenschaften der Region, wirft Palcasa vor, einen „riesigen Umweltschaden“ in dem ökologisch sensiblen Gebiet im Südwesten Nicaraguas zu verursachen. Zudem sieht sie ihren Verdienst aus dem Anbau von Bio-Kakao gefährdet. „Sie konterkarieren unsere Anstrengungen zum Umweltschutz und sie gefährden die soziale Stabilität unserer Familien“, sagt die Präsidentin der Genossenschaft, Jamileth Jarquín. Auch die Kleinbauern werden von der deutschen Entwicklungshilfe unterstützt: Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) fördert über die Genossenschaft COSEMUCRIM mehr als hundert von ihnen. COSEMUCRIM, COOPROCAFUC und weitere Kooperativen arbeiten zudem mit dem deutschen Schokoladekonzern Ritter Sport zusammen. Das schwäbische Unternehmen profiliert sich in Nicaragua seit Jahren mit ökofairem Kakao.
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Der nicaraguanische Umweltschützer Saúl Obregón kann über die deutsche Entwicklungshilfe nur den Kopf schütteln. Es sei für ihn unbegreiflich, dass Deutschland in derselben Gemeinde „zwei völlig entgegengesetzte Konzepte“ der Entwicklung finanziere. „Auf der einen Seite werden Kooperativen unterstützt. Damit können die Kleinbauern neue Einnahmequellen erschließen. Auf der anderen Seite wird ein riesiges Unternehmen unterstützt. Es häuft Land an und macht die Bauern zu Lohnarbeitern“, kritisiert das Vorstandsmitglied der seit 32 Jahren in der Region aktiven Umweltstiftung „Fundación del Río“.
Die DEG hat auf die seit Jahren anhaltende Kritik von Kakaobauern und Umweltschützern reagiert. 2010 schickte sie Experten des deutschen Beratungsunternehmens Unique Forests Consultants nach El Castillo. Deren Studie listet Dutzende von Vorwürfen auf – wie Wasserverschnutzung, illegale Abholzungen und Unterdrückung der Gewerkschaften. Die Ergebnisse wurden Anfang 2011 auf Workshops mit den Kritikern in Nicaragua vorgestellt und diskutiert. Laut dem Sprecher der DEG-Geschäftsführer, Bruno Wenn, wurde seither vieles verbessert. „Das Unternehmen hat ein umfassendes Umwelt- und Sozialmanagementsystem entwickelt“, betont er und nennt Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen, beim Umgang mit Chemikalien und ein absolutes Abholzungsverbot. Weitere Schritte würden in den kommenden Monaten folgen, erklärt Wenn.
Ein Besuch vor Ort lässt jedoch Zweifel aufkommen. „Sie machen schöne Workshops und Papiere für die Geldgeber in Deutschland. Aber bei uns ist nichts angekommen“, sagt Julian Hernández, der die Wasserversorgung in El Castillos Ortsteil Las Colinas organisiert. Vor sechs Jahren holzte Palcasa dort einen ganzen Berg mit Urwald ab. Seither ist das Trinkwasser knapp. Doch beim Palmöl-Unternehmen läuft Hernández gegen die Wand: „Sie nehmen uns nicht ernst“.
Vorgehen nach Gutsherrenart
Ähnliches ist von Kakaobauern, der Gewerkschaft, der Kommunalverwaltung und der Fundación del Río zu hören. Sie zeichnen das Bild eines Unternehmens, das nach lateinamerikanischer Gutsherrenart rücksichtslos vorgeht. Kritisch zeigt sich selbst der Bürgermeister von El Castillo, Francisco Díaz. Als Mitglied der in Nicaragua oppositionellen liberalen Partei sollte er sich eigentlich für das freie Unternehmertum und damit Palcasa aussprechen. Doch sein Fazit ist vernichtend. „Die Rechnung geht für uns nicht auf. Sie bringen Arbeit, sorgen sich aber nicht um die sozialen Aspekte.“ Díaz will keinesfalls grundlegende Kritik äußern: „Wir sagen nicht, sie sollen gehen. Wir wollen vielmehr, dass sie ihre unternehmerische Verantwortung übernehmen.“
Laut Bürgermeister Díaz zahlt Palcasa seine Steuern immer noch nicht vollständig und zudem nur sehr widerwillig. Was schließlich in der klammen Gemeindekasse eintrudelt, reiche nicht einmal, um die Schäden zu beheben, die das Unternehmen mit seinen Maschinen auf den kommunalen Straßen anrichtet. Der DEG-Chef Wenn bittet angesichts der Kritik um Geduld. Die Umsetzung der geforderten Umwelt- und Sozialstandards sei in Entwicklungsländern nicht einfach. „Das geht nicht von heute auf morgen“, erläutert Wenn. Zugleich verteidigt er das Engagement der DEG bei Palcasa: „Die Palme ist eine intelligente Landnutzungsform.“ Konkurrenz mit den Kakaobauern bestreitet er unter Verweis auf das Ergebnis der Studie: „Es besteht keine unmittelbare Konkurrenzsituation zu anderen Landnutzungsformen“.
Die DEG und die GIZ verfolgen in El Castillo ähnliche Ziele. Die DEG erhofft sich von den Ölpalmen „nachhaltiges Wachstum und bessere Lebensbedingungen“. Auch die GIZ betont den ökonomischen Aspekt ihres Engagements. Die Kakaobauern sollen über die traditionelle Selbstversorgung hinaus eine wirtschaftliche Perspektive erhalten, erläutert Christoph Klinnert, der GIZ-Leiter in Nicaragua. Auf diese Weise werde nicht nur die Armut reduziert, sondern auch der angrenzende Urwald geschützt. „Man muss den Menschen die Perspektive geben, von ihrer Produktion leben zu können, ohne weiter Land zu roden“.
Für GIZ-Mann Klinnert stellt sich in Castillo damit die Kernfrage nach dem besseren Weg aus der Armut – über die Förderung kleinbäuerlicher Strukturen oder über Großbetriebe wie Palcasa. Und die sieht er trotz der DEG-Studie und den Workshops bisher unbeantwortet. „Dazu bedarf es einer vertieften sozio-ökonomischen Studie“, meint Klinnert. Palcasa ist mit rund 500 Beschäftigten und Aufträgen für 150 Dienstleister der größte Arbeitgeber der armen Gemeinde. Doch der Mindestlohn von umgerechnet drei Euro täglich reicht gerade einmal für zwei Mahlzeiten. So nehmen in El Castillo auch die Lebensmitteldiebstähle zu, klagen die Kleinbauern.
Ruben Torres ist mit seinen 56 Jahren zu alt, um noch in den Plantagen angestellt zu werden. Darum ist er jetzt froh, dass er sein Land nicht verkauft hat. Palcasa habe seinen Nachbarn ihr Land billig abgekauft und sie zu einem geringen Lohn eingestellt, erzählt er. Doch wer für die schwere Plantagenarbeit nicht mehr tauge, werde gefeuert. „Jetzt haben sie aber kein Land mehr, um Bananen und Mais anzubauen. Also gehen sie stehlen, bei mir und bei anderen“, sagt er. Sein Fazit: „Die Ölpalmen verursachen nur eine riesige soziale Last.“ Für El Castillos Bürgermeister Díaz ist die Frage nach der besseren Entwicklungsstrategie damit eindeutig beantwortet: „Der Kakao ist der bessere Weg“, sagt Díaz ohne Zögern. „Das schafft stabile Einkommen und die Leute sind motiviert, weil sie ihr eigenes Land bearbeiten“.
Gut möglich, dass Deutschland bald wieder Experten nach El Castillo sendet, um die Frage wissenschaftlich zu untersuchen. Der grüne Bundestagsabgeordnete Thilo Hoppe möchte den Fall in den Entwicklungsausschuss des Parlaments bringen. Für Druck will auch die Organisation „Rettet den Regenwald“ (www.regenwald.org ) sorgen. Sie hat eine Kampagne gegen die Palmölfinanzierung in El Castillo angekündigt.
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