Glaube kann Entwicklung fördern

Religion muss kein Hindernis für Entwicklung sein. Das ist das Fazit eines Forschungsprojekts in den Anden, das sich dem Verhältnis von Religion und Entwicklung gewidmet hat. Im Gegenteil: Wenn Entwicklungszusammenarbeit traditionelle Vorstellungen und Praktiken ignoriert, ist sie zum Scheitern verurteilt.

Was tut ein Pfarrer, wenn die Frau eines Alkoholikers bei ihm Rat sucht? In den Anden segnet er unter Umständen eine Flasche Bier. Der Alkoholiker soll das Bier trinken – ohne zu ahnen, dass es gesegnet wurde. Der Glaube, dies könnte helfen, ist in der Region tief verwurzelt: Traditionelle Heiler setzen bei Krankheiten auf Heilpflanzen, die Angehörige dem Patienten ohne dessen Wissen verabreichen.

Im Andenraum haben sowohl die dominierende katholische als auch die evangelische Kirche die traditionellen Vorstellungen und spirituellen Praktiken der Bevölkerung in ihre theologische Arbeit integriert. „Die Vermischung von Christentum und Volksreligion durchdringt alle Lebensbereiche“, sagt Abraham Colque, der Leiter des Ökumenischen Instituts für Andine Theologie (ISEAT) in La Paz (Bolivien). Aus diesem Grund dürfe Religion auch in der Entwicklungszusammenarbeit nicht ausgeklammert werden.

Das theologische Institut hat mit Unterstützung von Brot für alle und Misereor sowie dem evangelischen Missionswerk Mission 21 das Verhältnis von Religion und Entwicklung im Andenraum untersucht. In der Entwicklungszusammenarbeit dominiert laut der Untersuchung eine skeptische Haltung gegenüber Religiösem. Weil Religion in der Kolonialzeit ein Mittel der Unterdrückung war, werde sie heute oft als Hindernis für Entwicklung betrachtet. „Religion steht für das Antiquierte und Feudale, Entwicklung für Modernisierung und Wirtschaftswachstum“, sagt Beat Dietschy, der Zentralsekretär von Brot für alle. Doch dieser Absolutheitsanspruch verkläre die westliche säkulare Sichtweise gewissermassen selbst zu einer Art Religion, gibt Dietschy zu bedenken.

Dass Religiosität und Spiritualität in den Anden nicht rückwärtsgewandt, sondern mit gesellschaftlichen Veränderungsprozessen eng verwoben sind, zeigte sich laut Colque bei den Forschungsarbeiten immer wieder. Untersucht wurde zum Beispiel die Integration von Indigenen, die aus einem Dorf in die Stadt ziehen. Dabei wurde deutlich, dass religiöse Praktiken den Menschen helfen, sich im urbanen Umfeld zurechtzufinden.

Die Theologen, Anthropologinnen und Agronomen kamen in ihren Studien zu dem Schluss, dass Religion Entwicklung fördern kann, sofern letztere in einem ganzheitlichen, dem kulturellen Kontext angemessenen Sinn verstanden wird. Hinderlich könne Religion hingegen dann sein, wenn Entwicklung auf die Verbreitung der Marktwirtschaft reduziert wird. „Religiöse Traditionen enthalten Elemente, die für die Kritik an der westlichen Entwicklungsvernunft hilfreich sind“, sagt Beat Dietschy.

Was solche Erkenntnisse für die Entwicklungszusammenarbeit bedeuten könnten, zeigt die Diskussion über Gesundheitsprojekte. Die Behandlung von Patientinnen und Patienten gelinge nur, wenn die vorherrschenden Vorstellungen zu Gesundheit und Krankheit berücksichtigt würden, hält Abraham Colque fest. Dazu zählten die zentrale Bedeutung der Ahnen und die Vorstellung, dass zu einer Person mehr gehöre als der einzelne Mensch. In der Entwicklungszusammenarbeit würden solche Dinge zu oft vernachlässigt, kritisieren die Theologen aus den Anden.

Allerdings zeigten die Forschungsarbeiten auch, dass nicht alle Formen der Religiosität hilfreich seien. Bei den neupfingstlerischen Kirchen, die sich im Andenraum stark verbreiten, sehen die Forschenden eher eine Tendenz zur Verstärkung der westlichen Wertvorstellungen. Die Ausrichtung dieser Freikirchen auf die individuelle Erlösung führe dazu, dass funktionierende Bauerngemeinschaften auseinander gerissen würden, schreibt Josef Estermann, der Koordinator des Projekts, in seiner Bilanz. Der sogenannte Volkskatholizismus sei besser in der Lage, eine Entwicklung zu fördern, die der einheimischen Kultur angemessen sei. (Charlotte Walser, InfoSüd)

erschienen in Ausgabe 8 / 2009: Kaukasus: Kleine Völker, große Mächte
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