„Kein Wettbewerb auf Kosten von Mensch und Umwelt“

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Faire Löhne in Lieferketten
Tchibo setzt sich für eine strengere Regulierung internationaler Lieferketten ein. Managerin Nanda Bergstein erklärt, warum ein Gesetz ihrem Unternehmen helfen würde – und warum sie trotzdem nicht mehr Kontrollen will.

Ihr Unternehmen setzt sich für existenzsichernde Löhne ein. Wie viel verdienen die Arbeiterinnen, die für Sie Kleidung nähen, etwa in Myanmar oder Kambodscha? 
Sie erhalten mindestens den örtlichen Mindestlohn und häufig auch einen monatlichen Aufschlag. Aber das sind eben keine existenzsichernden Löhne. Deshalb setzen wir uns für industrieweite Tarifverträge in den Produktionsländern ein, um diese Lücke zu schließen.

Wieso kann Tchibo nicht dafür sorgen, dass die Menschen in den Zulieferbetrieben fair bezahlt werden?
Wir könnten das vielleicht in einzelnen Fabriken sicherstellen, wenn wir alleiniger Einkäufer der Fabriken wären. So funktioniert der Markt aber nicht. Es wäre aus Sicht der Produzenten auch nicht sinnvoll, nur für einen Abnehmer zu arbeiten. Es arbeiten immer mehr Einkäufer mit einer Fabrik, und diese können wir nicht quersubventionieren. Deshalb müssen wir andere Einkäufer mit ins Boot holen.

Tchibo ist Mitglied der Initiative ACT, einem Zusammenschluss von Markenfirmen, Händlern und Gewerkschaften, die für höhere Löhne sorgen wollen. Wie wollen sie das schaffen?
Industrieweite Tarifverhandlungen sollen zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften in den jeweiligen Produktionsländern stattfinden. Die Markenunternehmen können Druck ausüben und sich verpflichten, dass sich die Tarifabschlüsse auch in der Einkaufspraxis niederschlagen, sie also höhere Preise zahlen.

Bislang gab es aber noch keine Abschlüsse. Woran liegt das?
In Kambodscha sind wir schon recht weit gekommen, dort sind Regierung und Arbeitgeber offen für industrieweite Tarifverhandlungen. Ihre Sorge ist aber, dass Marken und Händler, die nicht bei ACT dabei sind, höhere Löhne nicht mittragen und abwandern könnten. Das sind in Kambodscha immerhin rund die Hälfte aller Einkäufer. Deshalb fordern wir, dass mehr Marken und Händler bei ACT mitmachen.

Wie kann man sie dazu bewegen?
Wir haben die Politik darum gebeten, für verbindliche Regeln zu sorgen. Markenfirmen, die in Europa ihre Produkte vertreiben, sollten verpflichtet werden, sich an dem ACT-Prozess und ähnlichen Initiativen zu beteiligen.

Sie unterstützten den Vorstoß, Unternehmen gesetzlich zur Einhaltung von Menschenrechten in ihren globalen Lieferketten zu verpflichten. Die Präsidentin des Gesamtverbands Textil und Mode, Ingeborg Neumann, sagt, ein solches Gesetz gefährde die Existenz der Branche. Die von Tchibo nicht?  
Nein, im Gegenteil. Das unterstützt uns eher. Tchibo investiert seit 13 Jahren in nachhaltigere Lieferketten, sowohl was Umweltstandards als auch was die Einhaltung der Menschenrechte angeht. Wir sind ein Familienunternehmen und unseren Werten verpflichtet. Aber wir haben Wettbewerbsnachteile, wenn andere das nicht tun. Wir sind der Meinung, dass Wettbewerb nicht auf Kosten von Mensch und Umwelt gehen darf und deshalb reguliert werden muss.

Wer sollte kontrollieren, ob die Unternehmen ihre Verpflichtungen einhalten?
Uns ist wichtig, dass ein Gesetz nicht dazu führt, dass wir als Branche noch mehr auditieren und zertifizieren müssen. Sinnvoller wäre, dass die Unternehmen verpflichtet werden, sich an bestehenden Initiativen wie dem Bangladesh Accord oder den Abkommen internationaler Gewerkschaften aktiv zu beteiligen. Da gibt es bereits Kontroll- und Transparenzmechanismen. Zusätzliche Audits helfen nicht, die Arbeitsbedingungen zu verbessern.

Auch nicht, wenn vor Ort in den Betrieben kontrolliert wird?   
Eine Näherin, die sexuell belästigt oder diskriminiert wurde, wird das nicht einem externen Prüfer erzählen. Der kann die Bücher einsehen und prüfen, ob der Arbeits- und Gesundheitsschutz eingehalten werden. Aber wie es den Menschen geht, ist schwer zu kontrollieren. Wir bei Tchibo haben ein komplett anderes System und arbeiten auf Fabrikebene mit lokalen Partnern und Trainern zusammen. Sie schulen die Beschäftigten und das Management mit Blick auf Löhne, Arbeitsschutz, Mitbestimmung, Antidiskriminierung, aber auch wirtschaftliche Effizienz. Zudem entwickeln die Beteiligten in den Fabriken – Beschäftigte und das Management - gemeinsam Aktionspläne, bei denen geschaut wird, wo Probleme bestehen und wie diese behoben werden können. So kann man wirklich etwas verändern. Das ist ein komplexer Prozess, der viel Zeit braucht und Geld kostet. Aber Veränderung bedeutet, bereit zu sein zu investieren.

Auch das Textilbündnis des Entwicklungsministeriums, an dem sich Tchibo beteiligt, soll dafür sorgen, dass sich die Arbeitsbedingungen in den Fabriken verbessern. Welche Ergebnisse können Sie nach fünf Jahren erkennen?
Das Bündnis hat erreicht, dass in Deutschland jetzt mehr über Menschenrechte in Lieferketten diskutiert wird. Wirkliche Auswirkungen in den Produktionsländern hat es noch nicht. Es gibt aktuell zwei Initiativen von Bündnismittgliedern, die auf Verbesserungen der Arbeitsbedingungen und Schutz der Umwelt vor Ort abzielen. Gerade weil gemeinsames Vorgehen so viel mehr Wirkung entfalten kann, wünschen wir uns mehr Programme dieser Art.  

Kann das Textilsiegel „Grüner Knopf“, das Entwicklungsminister Gerd Müller auf den Weg bringen will, daran etwas ändern?
Der Grüne Knopf ist ein Meta-Siegel, das bestehende Zertifizierungen zusammenfasst. Vor Ort wird der Grüne Knopf deshalb kaum zusätzliche Wirkung entfalten können. Aber vielleicht kann ein solches Siegel, das von der Bundesregierung kommt, Verbraucher stärker für nachhaltige Textilien sensibilisieren. Das wäre ein wichtiger Schritt und sollte getestet werden. Wir können uns vorstellen, uns an einer solchen Testphase zu beteiligen.  

Das Gespräch führte Sebastian Drescher

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erschienen in Ausgabe 6 / 2019: Arznei und Geschäft
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