Die Geschichte des 13-jährigen Amrit zeigt, welche Veränderungskraft Teilhabe entfesseln kann. Der Junge gehört einer ethnischen Minderheit im Süden Indiens an. Seine Eltern arbeiten als Tagelöhner auf dem Feld und ziehen während der Erntezeit von einem Ort zum anderen. Amrits sehnlichster Wunsch war es, zur Schule gehen zu können. Das schien für ihn und seine Freunde unerreichbar, denn die Erntezeiten kollidierten mit den Schulzeiten.
Im Rahmen des Projekts einer Kindernothilfe-Partnerorganisation hatte Amrit eines Tages die Gelegenheit, mit Vertretern des Bildungsministeriums reden. Nachdem er ihnen das Problem geschildert hatte, gründete die örtliche indische Bildungsbehörde tatsächlich Schulen, die unter anderem mit flexibleren Schulzeiten auf die besonderen Bedingungen der Kinder dieser Familien eingehen. Seither besuchen Amrit und seine Freundinnnen und Freunde wieder die Schule und bald, so hofft er, wird er seinen Abschluss machen.
Was bei Amrit im Kleinen funktioniert hat, scheint im Großen unerreichbar. Denn recht haben und recht bekommen sind bekanntlich zweierlei Dinge. Auch wenn Möglichkeiten der Teilhabe seit Jahrzehnten in der Entwicklungszusammenarbeit diskutiert werden, dürfen Kinder und Jugendliche nur selten an Entscheidungen mitwirken, die sie betreffen. Zwar gilt es mittlerweile als unumstritten, dass jeder Mensch von klein auf ein Recht darauf hat, im größtmöglichen Umfang am kulturellen, sozialen, ökonomischen und politischen Leben teilzuhaben. Aber Kinder und Jugendliche werden häufig von strukturellen Mängeln wie beispielsweise extrem langen Schulwegen oder fehlenden Schulbussen daran gehindert, ihre Rechte wahrzunehmen, oder auch durch Diskriminierung aufgrund ihrer Religion, Ethnie oder einer Behinderung.
Gleichberechtigte Teilhabe aller Kinder an der Gesellschaft kann nur gelingen, wenn neben den Eltern auch die Kinder ihre Rechte kennen und wissen, wie sie diese einfordern können. Werden ihre Anliegen berücksichtigt, wird die Gesellschaft nicht nur kindgerechter, sie wird auch zukunftsfähiger. Menschen, die von klein auf erfahren haben, dass sie ein wichtiger Teil der Gesellschaft sind, dass ihre Meinung zählt und sie ihr persönliches Umfeld mitgestalten können, werden sich auch später im Erwachsenenalter aktiv einbringen.
Kinder sind keine kleinen Erwachsenen
Damit Kinder und Jugendliche aktiv an Projekten teilhaben können, braucht es eine gute Programmplanung mit entsprechenden Ressourcen. Das ist für viele Gemeinschaften völlig neu und herausfordernd, vor allem wenn es darum geht, jüngere Kinder einzubeziehen. Auf keinen Fall sollten Kinder nur zu Öffentlichkeitsterminen oder Vorführungen von Theaterstücken, Tänzen oder Liedern und für Fotos eingeladen, aber nicht in den tatsächlichen Prozess einbezogen werden.
Damit echte Teilhabe von Kindern gelingt und nicht lediglich für Zwecke und Anliegen von Erwachsenen instrumentalisiert wird, ist es wichtig, ihre besonderen Ansprüche zu berücksichtigen. Sie sind keine kleinen Erwachsenen. Es braucht eine kindgerechte Sprache und eine sichere Umgebung, um ihnen zu ermöglichen, im Alltag gehört und an Entscheidungen beteiligt zu werden, die sie betreffen.
Darauf sollten auch nichtstaatliche Organisationen stärker bei der Entwicklung und Planung neuer Projekte oder Programme Rücksicht nehmen – und dafür neben finanziellen Mitteln, entsprechendem Know-how, Erfahrung und qualifizierten Mitarbeitenden vor allem Zeit aufbringen, um sich mit Kindern und ihren Ideen zu beschäftigen.
Das kann mit Hilfe örtlicher Strukturen wie Kinderkomitees geschehen oder auch durch Zusammenarbeit mit Kinderrechte-Clubs. Hilfreich sind altersgerechte Methoden wie beispielsweise das „Bodymapping“, bei dem Kinder ein Bild benutzen und ihre Bedürfnisse und Nöte aufmalen oder aufzeigen, gemeinsam über ihre Lebenssituation nachdenken und passende Projekte und Programme planen. Um Kinder einzubeziehen, brauchen auch Entwicklungsorganisationen mehr Ideenreichtum, Flexibilität und Beharrlichkeit.
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