Geschönte Statistik

Österreich schönt seine Entwicklungszusammenarbeit. Was zivilgesellschaftliche Organisationen und sogar manche Mitarbeiter der zuständigen Sektion im Außenministerium schon seit Jahren kritisieren, hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) jetzt bestätigt. In ihrem jüngsten Gutachten (Peer Review) zur staatlichen Entwicklungszusammenarbeit Österreichs rügt sie die Art und Weise, wie die Regierung Schuldenerlasse in die Entwicklungshilfe einrechnet.

In Österreich ist die Entwicklungshilfe (ODA) von 2007 auf 2008 um 14 Prozent zurückgegangen – so stark wie in keinem anderen westlichen Land. Zwar liegt Österreich mit einer Entwicklungshilfequote von 0,42 Prozent des Bruttoinlandprodukts im OECD-Durchschnitt. Doch jeder zweite Euro aus Wien steht den Empfängerländern nicht als frisches Geld zur Verfügung, sondern ist eine reine Buchgröße: Mehr als die Hälfte der ausgewiesenen Leistungen entfallen auf den Erlass von Schulden. Es ist zwar zulässig, Schuldenerlasse in die Statistik einzurechnen. Die OECD hält ihre Mitglieder aber dazu an, Entschuldungen im selben Jahr als Entwicklungshilfe zu verrechnen, in dem die Gläubiger im so genannten Pariser Klub der Gläubigerländer den Erlass beschließen. Das soll die jährliche Vergleichbarkeit der ODA-Leistungen gewährleisten.

Autor

Ralf Leonhard

war bis zu seinem plötzlichen Tod im Mai 2023 freier Journalist in Wien und ständiger Korrespondent von "welt-sichten".

An diese Vorgabe hat sich Österreich laut dem OECD-Bericht in der Vergangenheit wiederholt nicht gehalten. 2005 beschloss der Pariser Klub die Entschuldung Nigerias, Österreich verrechnete das aber erst 2007, weil in diesem Jahr andernfalls seine ODA-Quote in den Keller gerutscht wäre. Die zehn Millionen Euro, die das Finanzministerium dem westafrikanischen Togo erlassen muss, hätten eigentlich 2008 in den Büchern auftauchen müssen, werden aber erst dieses Jahr abgeschrieben.

Die federführende Autorin der OECD-Studie Karen Jorgensen sprach gegenüber der Wiener Tageszeitung „Der Standard“ von einem „Schönen der Statistik“. In Österreich, aber auch in Italien und Griechenland hätten die ODA-Leistungen 2008 ohne Schuldenerlasse „weit unter der Hälfte der Zielvorgaben für 2010“ gelegen. Die OECD forderte Österreich auf, seine Entwicklungshilfe „bedeutend“ anzuheben, um 2010 das angepeilte Ziel von 0,51 Prozent des Bruttonationaleinkommens zu erreichen. In diesem Jahr ist allerdings mit einem weiteren Rückgang zu rechnen (siehe welt-sichten 5/2009, S. 50).

Judith Schwentner, die entwicklungspolitische Sprecherin der österreichischen Grünen, forderte anlässlich der OECD-Rüge mehr Ehrlichkeit: „Entschuldungen, Studienplatzkosten und Flüchtlingshilfe sollten nicht mehr in die österreichische ODA-Statistik aufgenommen werden.“ Ebenso kritisch äußerte sich die AG Globale Verantwortung, der Dachverband entwicklungspolitischer NGOs. „Jetzt ist die Katze aus dem Sack: Österreich droht zum Schlusslicht in Sachen Entwicklungspolitik zu werden“, heißt es in einer Pressemitteilung. Geschäftsführerin Ruth Picker sagte: „Seit Jahren ist bekannt, dass der österreichische Beitrag zur internationalen Armutsbekämpfung auf tönernen Füssen steht, da Schuldenerlasse den Löwenanteil ausmachen und großteils abgeschlossen sind. Ohne Erhöhung der Entwicklungshilfe aus dem Budget droht daher die Lücke in den nächsten Jahren noch viel weiter aufzuklaffen.“

Der OECD-Bericht beanstandet auch die geringe öffentliche Unterstützung in Österreich für Entwicklungshilfe, was auf die unzureichende politische Debatte in Politik und Gesellschaft zurückzuführen sei. Wenn Österreich seine internationalen Verpflichtungen erfüllen und zu den UN-Millenniumszielen beitragen wolle, bedürfe es eines starken politischen Rückhalts und einer interessierten Öffentlichkeit. Das Außenministerium und die österreichische Entwicklungsagentur (Austrian Development Agency, ADA) sollten mehr in die Öffentlichkeitsarbeit investieren und die Erfolge der Entwicklungszusammenarbeit sichtbar machen, empfiehlt der Bericht. Kritisiert wird auch, dass sich lediglich Außen- und Finanzministerium entwicklungspolitisch untereinander abstimmen, Kohärenz in den anderen Ministerien aber offenbar kein Thema sei.

Auf der Homepage des Außenministeriums bleibt die OECD-Kritik unkommentiert. Stattdessen wird das Lob in den Vordergrund gestellt, das der Bericht bereithält: „Positiv anzumerken ist, dass die Austrian Development Agency 2008 rund 10 Millionen Euro mehr für konkrete Programme und Projekte in den Partnerländern ausgab als noch im Jahr zuvor. Aus den multilateralen Budgets des Finanzministeriums und des Außenministeriums wurden ebenfalls erhöhte Mittel an Programme und Fonds in den Partnerländern ausgezahlt.“

Die Mitglieder im OECD-Entwicklungsausschuss (DAC) begutachten regelmäßig gegenseitig ihre Entwicklungspolitik. Für den diesjährigen Bericht zu Österreich zeichnen Luxemburg und Norwegen verantwortlich.

 

erschienen in Ausgabe 7 / 2009: Finanzordnung: Was die Krise lehrt
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