Wie sieht ein typischer Kunde einer Mikroversicherung aus?
Mikroversicherungen richten sich nicht an die extrem Armen. Die könnten auch geringe Beiträge nicht bezahlen. Es geht darum, Menschen, die knapp an der Armutslinie leben, vor dem Abgleiten in die Armut zu schützen, wenn sie krank werden oder der Hauptverdiener stirbt.
Sind das die Risiken, bei denen Mikroversicherungen bevorzugt abgeschlossen werden?
Das hängt vom Anbieter ab: Ist es eine Genossenschaft, eine gemeindebasierte Versicherung oder ein kommerzieller Versicherer? Bei letzteren liegt auf der Hand, dass sie Geld verdienen möchten, auch wenn die Gewinnspannen nicht riesengroß sein müssen. Sie bieten deshalb eher einfach strukturierte Produkte an.
Zum Beispiel?
Ein Klassiker ist die Lebensversicherung, die an einen Mikrokredit gebunden ist. Damit sind beim Tod eines Kreditnehmers die Schulden abgegolten und werden nicht an seinen Haushalt vererbt. Der Schadensfall, der Tod des Versicherungsnehmers, tritt nur einmal oder auch gar nicht ein, die Leistung wird damit nur einmal fällig. Eine Mikro-Krankenversicherung ist dagegen viel komplexer. Es fallen mehrere Auszahlungen an – bei jeder Krankheit – und der Versicherer muss dafür sorgen, dass seine Kunden qualitativ hochwertige Gesundheitsdienste in Anspruch nehmen können. Er muss also selbst für Ärzte oder Krankenhäuser sorgen oder mit solchen Anbietern kooperieren, indem er sie refinanziert. Deshalb wagen sich viele Versicherungskonzerne nur zögerlich an Mikro-Krankenversicherungen heran. In vielen afrikanischen Ländern überwiegen dafür genossenschaftliche oder gemeindebasierte Modelle.
Wie funktioniert eine gemeindebasierte Krankenversicherung?
Nehmen wir Ruanda: Rund um jedes Krankenhaus oder jeden Gesundheitsposten gibt es eine solche Versicherung, bei der man auch seine Beiträge einzahlt. Als Mitglied zahlt man etwa zwei Euro pro Jahr und kann die Gesundheitsdienste ohne weitere Zuzahlung nutzen. In Ruanda sind inzwischen mehr als 90 Prozent der Bevölkerung auf diese Art krankenversichert. Finanziert wird das aus den Beiträgen sowie aus staatlichen Zuschüssen, die aus Steuern stammen oder auch von Gebern.
Bei Versicherungen muss man Geld bezahlen, um für einen Schadensfall vorzusorgen, der möglicherweise nie eintritt. Ist es schwierig, Menschen, die wenig Geld haben, von dem Prinzip zu überzeugen?
Es gibt eine klare Nachfrage nach Mechanismen zur Risikobewältigung. Das heißt aber noch nicht, dass das Versicherungsprinzip jedem einleuchtet. In manchen Fällen möchten die Leute tatsächlich ihr Geld wiederhaben, nachdem sie ein Jahr lang eingezahlt haben und der Schaden nicht eingetreten ist.
Was macht man dann?
Wir setzen auf Aufklärung, auch bei unseren privat-öffentlichen Partnerschaften (PPP) mit kommerziellen Versicherern wie der Allianz oder der Münchner Rück. Das kann über Comics laufen oder in Indien über Bollywood-Filme. Je nach Land und Kultur ist das unterschiedlich. Aber es ist kein Selbstläufer, das Versicherungsprinzip muss vermittelt werden. Genauso muss man im Sinne des Kundenschutzes dafür sorgen, dass wirklich alle Vertragsbestandteile bekannt sind. Bei den Lebensversicherungen, die Mikrofinanzierer obligatorisch in Kombination mit Mikrokrediten angeboten haben, wussten viele Versicherte in der Anfangszeit gar nicht, dass sie diese Versicherung hatten. Damit kann man das Misstrauen gegen Versicherungen schüren und einen enormen Schaden anrichten.
Wie können Kunden überhaupt die „guten“ Versicherer von den schwarzen Schafen unterscheiden?
Es gibt noch keine globalen Qualitätssiegel. Aber das Bewusstsein über die Bedeutung des Kundenschutzes wächst.
Nur drei Prozent der Menschen in den hundert ärmsten Ländern haben Zugang zu Versicherungen. Der Spielraum für unlautere Geschäftemacher ist groß.
Das stimmt. Deshalb beraten wir Regierungen, wie sie den Mikroversicherungsmarkt regulieren und kontrollieren können. Vor allem im asiatischen Raum rennen wir damit offene Türen ein. Auf den Philippinen haben wir vor vier Jahren damit angefangen, und jetzt sehen wir, dass sich der Markt gut entwickelt. Für die Überwachung ist die Versicherungskommission innerhalb des Finanzministeriums zuständig und in den Provinzen gibt es ebenfalls verantwortliche Stellen.
Wie schafft man es, dass die Leute regelmäßig ihre Beiträge bezahlen? Ihr Einkommen schwankt ja zum Teil stark.
Mit angepassten Lösungen – etwa, dass der Beitrag zu einer Zeit im Jahr anfällt, in der die Zielgruppe Geld hat, also nach der Ernte, oder dass Ratenzahlungen vereinbart werden.
Das heißt, die Versicherungen werden speziell auf die Zielgruppe zugeschnitten.
Ja, und das kann man gleichzeitig für den Vertrieb nutzen. In Kenia beispielsweise sind die Taxifahrer in einer Gewerkschaft organisiert. Die kann man als Gruppe ansprechen und ihnen gemeinsam oder individuell eine Versicherung anbieten, in der man die Leistungen und die Art der Beitragszahlung auf ihren Bedarf zuschneidet.
In Zeiten des Klimawandels werden Versicherungen gegen die Folgen immer wichtiger. Wie läuft da die Schadensabwicklung?
Wir haben vor einiger Zeit mit der Münchner Rück und ihren lokalen Partnern in Indonesien eine Versicherung gegen Überflutungen entwickelt. Die Auszahlung im Schadensfall ist an die Fluthöhe an einem Flutmesspunkt in der Hauptstadt Jakarta geknüpft. Wenn dort die Marke von 9,50 Meter überschritten ist, wird jeder Haushalt, der eine Police gekauft hat, ausgezahlt. Es findet also keine individuelle Schadensprüfung statt. Man geht davon aus, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Schaden eingetreten ist, wenn die Flut die 9,50-Meter-Marke überschritten hat.
Gibt es Risiken, die sich nicht versichern lassen, etwa Schäden nach Naturkatastrophen?
Der Versicherungs-Ansatz hat seine Grenzen bei schweren Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Überschwemmungen, die eine ganze Bevölkerungsgruppe in einer Region treffen. Hier wäre ein lokaler Anbieter überfordert. Es müssen größere Risikopools gebildet werden, die eine ganze Provinz oder ein ganzes Land abdecken. Wenn Sie nur eine Genossenschaft gegen Ernteausfall versichern, sind Sie unter Umständen nach dem nächsten Taifun pleite. Sie müssen einige hundert oder tausend Genossenschaften erfassen, damit Sie einen entsprechenden Beitragsfluss haben und nicht alles auszahlen müssen, wenn in einer Gegend ein Wirbelsturm durchjagt.
Das Gespräch führte Gesine Kauffmann.
Matthias Rompel
ist Experte für Soziale Sicherung bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ).
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