Protestaktion erinnert an Fabrikeinsturz in Bangladesch. Auch die ILO geißelt Missstände in asiatischen Textilfabriken an (Archivbild).
Genf (epd). Die Herren in den dunklen Mänteln schauen ernst in die Kamera. Alle tragen Hut oder Militärmütze. Eine Frau steht in der letzten Reihe, ihr Gesicht zeigt Entschlossenheit. So präsentierten sich vor 100 Jahren, Anfang 1919, in Paris die Mitglieder der Kommission für Internationale Arbeitsgesetzgebung.
Auf die Abgesandten aus neun Staaten unter Vorsitz des US-amerikanischen Gewerkschaftsbosses Samuel Gompers wartete eine epochale Aufgabe: Nach dem Schrecken des Ersten Weltkrieges sollten sie im Auftrag der westlichen Siegernationen die internationale Arbeiterschaft für eine neue internationale Ordnung und den Kapitalismus gewinnen. Und sie sollten verhindern, dass die Massen in den Fabriken den Verheißungen des Kommunismus erliegen.
Los der Arbeitnehmer verbessern
Die Kommission übermittelte der Pariser Friedenskonferenz am 24. März 1919 einen Verfassungsentwurf für eine so noch nie dagewesene Institution: die Internationale Arbeitsorganisation (ILO). Die Artikel über die ILO wurden in den Friedensvertrag eingebettet, den die Delegierten am 28. Juni in Versailles unterzeichneten. Damit war die ILO geboren. In der ILO-Präambel hieß es: "Der Weltfriede kann auf die Dauer nur auf sozialer Gerechtigkeit aufgebaut werden."
Heute kämpft die ILO mit Sitz im schweizerischen Genf als Sonderorganisation der Vereinten Nationen für eine gerechte Globalisierung - ein Kampf, der jeden Tag aufs Neue beginnt. "Durch technologischen Fortschritt wurden auf der einen Seite Arbeitsplätze geschaffen, Chancen ermöglicht und die Plackerei gemindert", erklärt der Generaldirektor der ILO, Guy Ryder. "Auf der anderen Seite kämpfen Milliarden Menschen in der informellen Wirtschaft oftmals um ihr Überleben."
In ihrer Geschichte verabschiedete die ILO fast 200 Übereinkommen, um das Los der Arbeitnehmer zu verbessern und die Arbeitsbeziehungen zu regeln. Das Fundament bilden die acht sogenannten Kernarbeitsnormen, die als Menschenrechte universelle Gültigkeit besitzen. Sie reichen von der Beseitigung der Zwangsarbeit über das Recht, Gewerkschaften zu bilden, und eine gleiche Bezahlung für Mann und Frau bis hin zum Verbot der Diskriminierung.
Abkommen zum Schutz von Mädchen und Jungen
Als vorerst letzter großer ILO-Meilenstein gilt das Übereinkommen 182 von 1999, in dem die schlimmsten Formen der Kinderarbeit verboten werden. Fast alle 187 Mitgliedsstaaten haben das Abkommen zum Schutz von Mädchen und Jungen ratifiziert. Viele Länder geloben zwar die Einhaltung der Übereinkommen, doch nach der Ratifizierung tut sich wenig. So müssen noch immer Millionen Kinder, vor allem in den armen Regionen, in Bergwerken, Ziegeleien, Fabriken oder auf Feldern unter brutalen Bedingungen schuften.
"Die ILO setzt auf langfristige Änderungen, die Verbesserungen treten nicht über Nacht ein", sagt ein europäischer Diplomat. Dabei leistet die ILO ihren Mitgliedsländern umfangreiche Hilfe und technische Beratung.
Die schärfste Waffe der ILO ist ein Ausschluss von Mitgliedsländern. Der Rauswurf drohte etwa Südafrika, das unter dem Apartheid-Regime gegen etliche Übereinkommen der ILO verstieß. Die weiße Regierung am Kap hätte einen erzwungenen Abschied aus der UN-Sonderorganisation als Blamage empfunden - sie verstanden sich trotz des institutionalisierten Rassismus als Teil der westlichen Welt.
Brücke zwischen Ost und West
Letztlich kündigte die Apartheid-Regierung 1964 selbst die ILO-Mitgliedschaft. Der südafrikanische Freiheitsheld Nelson Mandela bedankte sich 1990 bei der ILO in Genf für deren "enormen Beitrag" im Kampf gegen das Unrechtsregime: Die Organisation hatte die Apartheid immer wieder angeprangert und geholfen, das Thema auf der globalen Agenda festzuschreiben.
Die ILO geißelte auch Missstände anderswo, etwa die Zwangsarbeit unter dem Militärregime in Birma oder die miserablen Zustände in asiatischen Textilfabriken. Ebenso diente die ILO als Brücke zwischen Ost und West. Europäische Gewerkschafter wie Ursula Engelen-Kefer nutzten die Organisation, um mit sowjetischen Gewerkschaftern in Kontakt zu treten. Ganz frei konnten sich die Russen aber nie äußern. Immer begleiteten KGB-Mitarbeiter die Arbeitnehmervertreter, um die Gespräche zu überwachen. "Ich fand diese Art der Kollegenbespitzelung abartig", erinnert sich Engelen-Kefer.
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