Selbstbestimmt statt arm und ausgegrenzt

Herausgeberkolumne
Um das Versprechen der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung umzusetzen, müssen alle Projekte der Entwicklungszusammenarbeit Menschen mit Behinderungen berücksichtigen.

Die Agenda für nachhaltige Entwicklung wurde nach ihrer Verabschiedung durch die Vereinten Nationen zu Recht als Meilenstein gefeiert. Sie richtet sich gegen jegliche Diskriminierung, und in ihrem Leitsatz verpflichten sich alle Staaten dazu, „niemanden zurückzulassen“. Das ist ein großes Versprechen für alle Menschen, besonders aber für diejenigen, die bisher am stärksten ausgegrenzt sind – 800 Millionen Menschen mit Behinderungen in Entwicklungsländern. Sie können dank der Agenda 2030 in vielen Bereichen auf spezielle Unterstützung hoffen: Bei der Entwicklung einer gerechten Gesellschaft und der Armutsbeseitigung ebenso wie bei Ernährungssicherung, Bildung, Sanitärversorgung, Beschäftigung, Katastrophenvorsorge und der öffentlichen Infrastruktur. Allerdings gibt es noch viel zu tun, um dieses Versprechen in die Praxis umzusetzen.

So wissen wir beispielsweise, dass in ärmeren Regionen dieser Welt nur ein Bruchteil behinderter Menschen medizinisch versorgt wird. Das zieht weitere Beeinträchtigungen nach sich. Einem Großteil der Kinder mit Behinderungen in Entwicklungsländern bleibt der Schulbesuch verwehrt und damit auch die Chance auf eine Ausbildung und einen Beruf.

Die überwiegende Mehrheit behinderter Menschen führt deshalb kein selbstbestimmtes Leben. Die mangelnde Chancengleichheit in vielen Bereichen zeigt sich in Ausgrenzung, Armut, und als letzte Konsequenz in einer verminderten Lebenserwartung. Das zu ändern ist dringend an der Zeit.

Viele Hilfsorganisationen schlie­­ßen in ihrer Arbeit behinderte Menschen ungewollt aus

Die Verantwortung dafür liegt nicht allein bei den Regierungen. Auch zivilgesellschaftliche Organisationen müssen dafür sorgen, dass sich das tägliche Leben von Menschen mit Behinderungen wirklich verbessert. Niemand wehrt sich ausdrücklich gegen Inklusion. Dennoch schließen viele Geber, Hilfswerke und nichtstaatliche Organisationen in ihrer Arbeit behinderte Menschen ungewollt aus: Wenn Sanitäranlagen nicht barrierefrei sind, profitiert nur ein Teil der Bevölkerung von ihrem Bau. Wenn es Schulbücher nicht in Brailleschrift gibt, bleiben die Lerninhalte Kindern mit Sehbehinderungen verschlossen. Wenn nur Sirenen vor einem Tsunami warnen, drohen Menschen mit Hörbehinderungen zu ertrinken. Die Reihe an Negativbeispielen lässt sich beliebig fortsetzen.

Diese Form der Ausgrenzung zu beenden, heißt allerdings nicht, einfach nur eine neue Zielgruppe zum Projektportfolio hinzuzufügen. „Nichts über uns ohne uns“ lautet das Motto von Selbstvertretungsorganisationen: Menschen mit Behinderungen müssen als Akteure in alle Maßnahmen eingebunden werden. Es sind keine teuren Studien und Untersuchungen notwendig, um behinderte Menschen im Projektumfeld ausfindig zu machen. Es gibt sie in jeder Gemeinschaft. Um auf ihre Expertise zurückzugreifen, reicht es oft, sich während eines Feldbesuchs mit Fachleuten vor Ort zu vernetzen und die richtigen Fragen zu stellen. Auch die Maßnahmen selbst müssen nicht zwangsläufig teuer und aufwändig sein. Viel wichtiger ist es, dass Projektverantwortliche und Geber bereit sind, Ausgrenzungen von Menschen mit Behinderungen wahrzunehmen, die Gesellschaft zu sensibilisieren und aufzuklären. All das schafft Zugänge und verbessert die Situation von Menschen mit Behinderungen deutlich. Denn wenn sich Einstellungen ändern, lassen sich Hindernisse leichter überwinden.

Das wissen wir von der Christoffel-Blindenmission aus unserer langjährigen Erfahrung in diesem Bereich. Und wir teilen unsere Expertise gerne mit allen, die nicht länger mitansehen wollen, dass Millionen Frauen, Männer, Mädchen und Jungen mit Behinderungen weltweit zurückgelassen werden. Das gilt für die Politik ebenso wie für die Zivilgesellschaft. Wenn jede Entwicklungsorganisation in ihren Projekten Inklusion mitdenkt, können alle gemeinsam viel mehr für die mit am meisten vernachlässigten Menschen erreichen.

Worauf also noch warten? Wir können nicht viel falsch machen, wenn wir Menschen mit Behinderungen konsequent einbinden. Der größte Fehler ist es, sie weiter außer Acht zu lassen. Denn dann bliebe das Versprechen der 2030-Agenda nur eine leere Worthülse.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2019: Rassismus
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