Der diktatorische Kommunismus sowjetischer Prägung kam 1989 zu Fall, nicht zuletzt aufgrund von inneren Widersprüchen und seiner Unfähigkeit, auf Herausforderungen angemessen zu reagieren. Der neoliberale Kapitalismus kam 2008 zu Fall, nicht zuletzt aufgrund seiner eigenen auf die Spitze getriebenen Deregulierung, womit die internationalen Finanzmärkte jeglicher Kontrolle entglitten. Sogar die Deregulierer anerkennen nun, dass neue und vor allem bessere Spielregeln nötig sind. Die Auseinandersetzung um diese Regeln ist eröffnet und der Ausgang offen. In Verhandlungen zwischen Banken, Regierungen und internationalen Organisationen werden zurzeit laufend Vereinbarungen getroffen und damit zukünftige Regeln gesetzt, weitgehend vorbei an Parlamenten und Gesetzgebern, die diese Fakten nachträglich absegnen werden.
Gefragt ist nun das richtige Maß zwischen starken staatlichen Rahmenbedingungen und einem dynamischen Markt innerhalb dieser Regeln. Nötig ist eine globale Balance – Globalance – zwischen Staaten und Märkten. Freie Märkte können Güter und Dienstleistungen produzieren und Wohlstand erzeugen. Sie können aber eine gerechte Verteilung nicht herstellen. Dazu braucht es gesetzliche Rahmenbedingungen. Die Grundwerte Freiheit und Gerechtigkeit sind zwei Seiten derselben Medaille. Sie bedingen einander und sind beide unerlässlich für eine menschenwürdige Gesellschaftsordnung. Das ist die ethische Begründung für die Zwillinge Markt und Staat.
Autor
Christoph Stückelberger
ist Direktor des internationalen Ethiknetzwerks Globethics.net in Genf (www.globethics.net) und Professor für Ethik an der Universität Basel.Diese Globalance von Staat und Markt gilt nicht nur für einzelne Marktsegmente wie Landwirtschaft, Energie oder Infrastruktur, sondern für alle Wirtschaftsbereiche, gerade auch für die Finanzmärkte: Geld ist ein öffentliches Gut (nur Nationalbanken haben die Legitimität, Geld zu schöpfen), das wie Energie und Straßen für alle Lebensbereiche des öffentlichen und privaten Lebens vital ist. Deshalb ist die Regulierung der Finanzmärkte viel lebenswichtiger als zum Beispiel die Regulierung von Luxusgütern.
Die Aufsicht von Banken muss gestärkt werden
Einige Regeln für Finanzmärkte scheinen mir vordringlich. Im Bereich der Aufsicht von Banken und anderen Finanzintermediären ist es ein Fortschritt, dass dem „Financial Stability Board“ als wichtigem Organ auch Länder des Südens angehören. Ob aber starke Schwellenländer wie Brasilien, Indien oder China auch Interessen der kleineren Entwicklungsländer vertreten, ist eher fraglich. Die nationalen und internationalen Aufsichtsbehörden von Banken müssen gestärkt werden. Zudem sollte eine globale oder wenigstens supranationale Datenbank für Finanztransaktionen, die einen zu definierenden Betrag übersteigen, eingerichtet werden. Staatliche, vom Markt unabhängige Rating-Agenturen sollten die gegenwärtigen privaten, oft von finanziellen Interessen geleiteten Agenturen ersetzen. Außerdem müssen Regeln für eine höhere Eigenkapitalbasis von Banken festgelegt werden – so wie sie bereits bis in die 1990er Jahre bestanden haben. Schließlich müssen neue Finanzprodukte der staatlichen Genehmigung unterstellt werden, wobei die Transparenz und Einfachheit der Produkte die wesentlichen Kriterien sein sollten.
Für Entwicklungs- und Schwellenländer von besonderer Bedeutung sind die Regeln für die Währungspolitik und für Wechselkurse. Ihre Volatilität und die Tatsache, dass sie oft nicht die reale wirtschaftliche Stärke eines Landes spiegeln, ist oft ein großes Entwicklungshemmnis. Deshalb bedarf es einer neuen globalen Weltwährungsordnung („Bretton Woods II“). Es wäre zu prüfen, ob dafür eine ganz neue, globale Bezugsgröße gefunden werden müsste, statt sie an einer Leitwährung wie dem US-Dollar, dem Euro oder dem chinesischen Renminbi zu orientieren.
Der frühere Quästor von Brot für alle, Hans Lüthi, hat einmal den Vorschlag ausgearbeitet, den Wert einer Währung am Hühnerei oder an einem Nahrungskorb zu bemessen, der die Grundbedürfnisse einer Bevölkerung spiegelt. Realistischer ist der Vorschlag, dass die Staaten in Lateinamerika und in Afrika prüfen, ob für sie regionale Währungsunionen (wie in Europa) Sinn machen. Vor allem aber muss die Volatilität erzeugende Währungsspekulation gesetzlich eingedämmt werden.