Wie hat sich die humanitäre Hilfe in den vergangenen Jahrzehnten verändert?
Es hat sich sehr viel verändert. Der Respekt von Konfliktparteien vor Neutralität und Unparteilichkeit nimmt ab. Zivilisten und humanitäre Helfer sind zum Ziel geworden. Heute brauchen wir viel mehr Sicherheitsmaßnahmen, um unsere Arbeit tun zu können. Aber es gibt auch erfreuliche Veränderungen. Heute sind mehr religiöse Akteure auf lokaler Ebene an Konfliktmediation beteiligt und ihr Beitrag wird auch anerkannt. Zudem sind wir viel besser darin geworden, auf Naturkatastrophen wie Dürren oder Überschwemmungen zu reagieren. Auf die Dürre am Horn von Afrika zum Beispiel waren wir sehr gut vorbereitet und konnten eine Hungerkatastrophe verhindern.
Wie geht die ACT Alliance damit um, dass es in Kriegen wie in Syrien so gut wie keine neutralen Partner gibt?
Das ist nicht richtig, dass es keine neutralen Partner gibt. Wir arbeiten in Syrien zum Beispiel mit lokalen Partnern zusammen, die humanitäre Hilfe für jedermann leisten. Wir arbeiten auch mit den Kirchen vor Ort zusammen. Wir wissen, dass die Kirchen schon immer enge Beziehungen zu den Regierungen im Nahen Osten gepflegt haben, um ihren Schutz als Minderheit zu sichern. In Syrien war das auch der Fall. Aber die Kirchen helfen nach wie vor jedem – unabhängig von Religion, ethnischer oder politischer Zugehörigkeit. Auch in ethnischen Konflikten wie im Südsudan kann man humanitäre Hilfe leisten und trotzdem neutral bleiben.
Sie haben gesagt, Sie wollen sich stark für Gendergerechtigkeit einsetzen. Sind Klimagerechtigkeit, Migration oder humanitäreKrisen für eine Organisation wie die ACT Alliance nicht wichtigere Themen?
Gendergerechtigkeit ist ein allumfassendes Thema. Man kann nicht über Klimagerechtigkeit, Migration oder Konflikte reden, ohne über Frauen zu reden. Frauen und Kinder sind diejenigen, die in Konflikten oder bei der Flucht am stärksten gefährdet sind. Frauen spielen zudem eine sehr wichtige Rolle bei der Konfliktlösung oder bei der Suche nach Möglichkeiten, wie mit dem Klimawandel umgegangen werden kann. Laut Schätzungen könnte die landwirtschaftliche Produktion in Afrika um bis zu 30 Prozent steigen, wenn Frauen Land erben dürften. Wir müssen den Beitrag von Frauen für den Wandel anerkennen. Und Kirchen können eine wichtige Rolle spielen, dies bekannt zu machen.
Nicht alle Mitglieder der ACT Alliance finden, dass Gendergerechtigkeit an oberster Stelle der Agenda stehen sollte. Fehlt es der Organisation selbst an einem Bewusstsein dafür?
Der Vorstand hat beschlossen, dass alle 150 Mitglieder in den nächsten drei Jahren eine eigene Genderpolicy haben sollen. Einige Mitglieder tun sich schwer damit. Aber wir unterstützen sie darin.
Kann ein Mitglied ausgeschlossen werden, wenn es nach drei Jahren noch keine Genderpolicy hat?
Wenn ein Mitglied sich weigert, daran zu arbeiten, macht eine Kooperation keinen Sinn mehr. Wer sich der ACT Alliance anschließt, unterschreibt einen Verhaltenskodex, dass er die geltenden Strategien und Grundsätze der Allianz akzeptiert. Ich sehe aber kein Mitglied, das ausgeschlossen werden könnte. Es gab keine Einwände.
Sie sind für vier Jahre gewählt. Was wollen Sie bis 2022 erreicht haben?
Ich hoffe, dass der Beitrag von Frauen zu Entwicklung mehr greifbare Ergebnisse zeigt. Und ganz allgemein wünsche ich mir, dass wir auf lokaler Ebene präsenter sind. Wir sollten weniger diskutieren, dafür mehr handeln. Wir sind keine Universität und keine Studiengruppe. Manchmal sind wir zu sehr damit beschäftigt, einen Konsens zu erreichen, weniger damit, Entscheidungen zu treffen, die den Menschen wirklich helfen. Im Vorstand wird es immer Themen geben, bei denen wir unterschiedliche Sichtweisen haben, etwa zum Umgang mit Homo- und Transsexualität. Aber es gibt Themen, bei denen wir jetzt schon vorwärtskommen, zum Beispiel bei den Frauenrechten. Es ist eine schwierige und gefährliche Zeit. Aber es ist keine finstere Zeit. Es gibt einige helle Streifen am Himmel. Als Christen sind wir aufgefordert, mutig zu sein und daran zu arbeiten, dass diese Streifen heller werden.
Die Fragen stellte Katja Dorothea Buck.
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