Die heimlichen Herrscher

Ghana
Sie verhandeln mit der Polizei oder kümmern sich um den Stromanschluss: Im politischen Alltag in Ghana spielen die traditionellen „Chiefs“ nach wie vor eine wichtige Rolle, zeigt eine neue Studie.

Die Soziologen Joris Tieleman von der Erasmus-Universität in Rotterdam und Justus Uitermark von der Universität Amsterdam haben untersucht, welche Funktion die Chiefs  in der ghanaischen Hauptstadt Accra haben. Rund vier Millionen Menschen leben zurzeit in deren Einzugsgebiet. Viele Viertel wurden auf Flächen gebaut, die wenige Jahre zuvor noch unbesiedelt waren. Schnell etablierten sich auch hier neben den staatlichen Institutionen lokale Herrschaftsstrukturen, an deren Spitze die Chiefs stehen.

In einer der neu entstandenen Nachbarschaften haben Tieleman und  Uitermark das Zusammenspiel zwischen dem Chief und den Behörden erforscht. Zehn Monate haben sie in dem Viertel verbracht, das sie zum Schutz ihrer Quellen Faroma nennen. Während ihres Aufenthalts führten sie rund 100 Interviews: Mit Anwohnern, Polizisten, Beamten sowie dem Chief selbst. Außerdem werteten sie den Schriftverkehr zwischen ihm  und der städtischen Verwaltung aus.

Den Chief in Faroma beschreiben die Autoren als „Gatekeeper“ zwischen Anwohnern und Kommune So fülle er etwa das Formular aus, wenn ein Hausbesitzer einen Wasser- oder Stromanschluss beantragen will. Umgekehrt sei er ein wichtiger Ansprechpartner für die Behörden: Tieleman und Uitermark zitieren aus einem Brief, in dem der Distriktbürgermeister einen Besuch in Faroma beim Chief anmeldet. Die Planungsbehörde und die Polizei arbeiteten ebenfalls eng mit dem Chief zusammen, heißt es in der Studie. 

Eine Hand wäscht die andere

Historisch sei seine herausragende Stellung im 19. Jahrhundert begründet, schreiben die Autoren. Um Konflikte zu vermeiden, hätten die britischen Kolonialherren die Bevölkerung in verschiedene ethnische Gruppen unterteilt und die Chiefs als lokale Herrscher eingesetzt. 

Auch heute noch rechneten viele Behörden damit, einen Chief als Ansprechpartner zu haben und räumten ihm deshalb gewisse Rechte und Privilegien ein. Seine Autorität stehe somit nicht im Widerspruch zu den staatlichen Institutionen. Im Gegenteil: Zwar habe er nicht mehr die uneingeschränkte Gewalt über sein Gebiet, aber das werde durch die institutionelle Einbindung kompensiert.

Das zeigt sich auch in der Verfassung des Landes. Dort sei festgehalten, dass den Chiefs die Verwaltung des brach liegenden Landes obliegt – dabei handelt es sich der Studie zufolge um rund 80 Prozent der Gesamtfläche Ghanas. In Faroma habe der Chief kurzerhand alle offiziell nicht registrierten Flächen als persönliches Eigentum reklamiert und die Vergabe der Grundstücke übernommen. Die Studie wertet nicht; die Autoren plädieren vielmehr dafür, die Chiefs nicht als ein Relikt aus einer vergangenen Zeit zu begreifen, das irgendwann verschwinden wird.

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