Von den vier Mitgliedern der Gemeinschaft der Andenstaaten (CAN) wollen derzeit nur Kolumbien und Peru mit der Europäischen Union über eine Freihandelszone weiterverhandeln. Sollte sich Brüssel mit diesen beiden Ländern einigen, könnte das die Anden-Gemeinschaft zerstören. Während der Verhandlungsrunde in der ersten Maihälfte mobilisierten zivilgesellschaftliche Organisationen aus Europa und den Andenländern gegen das geplante Abkommen. Anschließende Treffen der EU-Spitze mit lateinamerikanischen Regierungen verdeutlichten, wie groß die Kluft zwischen beiden Kontinenten derzeit ist.
Bei den EU-CAN-Verhandlungen in Brüssel in der ersten Maiwoche war zwar noch ein Vertreter Ecuadors zugegen, aber nur als Beobachter und Vorsitzender der Andengemeinschaft aus Bolivien, Ecuador, Kolumbien und Peru. Ecuador hat seine Beteiligung „zeitweilig" ausgesetzt, bis geklärt ist, ob das Abkommen mit der eigenen Verfassung und dem CAN-Vertrag vereinbar ist. Insbesondere die EU-Forderungen zum Schutz von auswärtigen Investitionen und von Patent- und Lizenzrechten sowie zum Zugang zum Geschäft mit Dienstleistungen würden vielen Bestimmungen des Abkommens zwischen den CAN-Mitgliedern zuwiderlaufen.
Am Ende gab es noch nicht einmal die vorgesehene „Gemeinsame Erklärung" der Vertreter von CAN und EU-Kommission. Wenn nun auch Ecuador aussteigt, nachdem Bolivien schon seit dem letzten Herbst nicht mehr mitspielt, dann bleibt von der geplanten regionalen Freihandelszone nicht mehr viel übrig. Sollte die EU sich mit Peru und Kolumbien verständigen, könnte darüber sogar die Anden-Gemeinschaft zerbrechen. Denn die ließe sich mit unterschiedlichen Regeln der einzelnen Länder für den Außenhandel mit der EU kaum noch aufrechterhalten.
Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen veranstalteten am 7. Mai einen Tag der Kritik an den gleichzeitig laufenden Verhandlungen in der EU-Kommission. Allein die Menschenrechtssitutaion in Kolumbien verbiete jeden Vertragsabschluss. Sogar die US-Regierung habe ein bereits fertig ausgehandeltes Freihandelsabkommen aus diesem Grund auf Eis gelegt. Nach Ansicht von EU-Parlamentariern der Linken und der Grünen wäre es eine Schande, wenn die EU in dieser Situation einen Vertrag mit Kolumbien schließen würde.
Ein weiterer Kritikpunkt ist der von der EU verlangte „Schutz des geistigen Eigentums", der weit über die in der Welthandelsorganisation (WTO) derzeit angepeilten zusätzlichen Bestimmungen (TRIPS plus) hinausgehe. Laut Alejandra Alayza aus Peru, die in Brüssel für das Netzwerk von Gesundheitsorganisationen aus der EU und den Andenländern sprach, würden allein auf Peru jährliche Mehrkosten für Medikamente in Höhe von 185 Millionen Euro zukommen, sollte Brüssel sich durchsetzen.
Auch eine lang vorbereitete Serie von Treffen der EU-Troika aus der amtierenden, der vorhergehenden und der nächsten Ratspräsidentschaft sowie Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner mit Ministern aller lateinamerikanischer Länder in Prag am 13. und 14. Mai konnte die wachsende Kluft zwischen den Kontinenten nicht überbrücken. Die Abschlusserklärungen, so sie denn überhaupt zustande kamen, blieben völlig nichtssagend. Minister von sechs eher linksgerichteten Regierungen - darunter die der CAN-Mitglieder Ecuador und Bolivien - gaben nach den Treffen offen zu erkennen, woran es ihnen in der EU-Latainamerika-Strategie mangelt: vom Umbau der weltweiten Finanzarchitektur und speziell des Weltwährungsfonds über den Stopp der EU-Agrarsubventionen bis hin zu einer neuen Migrationspolitik.
Heimo Claasen