„Wir können den Kindern nur Bildung mitgeben“

Von Luise Richard

Uganda ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. Trotz guter klimatischer Voraus-setzungen und relativ stabiler politischer Verhältnisse leidet vor allem die Landbevölkerung unter der Armut. Viele Bauern produzieren nur für den Eigenbedarf und kommen damit kaum über die Runden. Auch Adolf Manyenta und Furigy Nshemereirwe müssen sich zusätzliche Arbeit suchen, um ihre Familie mit acht Kindern zu ernähren.

Die Tage beginnen spätestens um sechs Uhr in der Früh: Furigy Nshemereirwe fegt den Boden rund um ihr Haus, und die Kinder müssen vor der Schule Wasser holen. 20 Minuten dauert der Weg zur Wasserstelle; die Größeren schleppen 20-Liter-Kanister, die der Kleineren wiegen halb so viel. Furigy, ihr Mann Adolf Manyenta und die acht Kinder brauchen mindestens hundert Liter Wasser am Tag. Adolf ist mit Edmund, Prisca und Didas losgezogen, um Feuerholz zu schlagen. In der Zwischenzeit hat die Mutter kalte Reste von Kochbananen vom Vortag in Behälter gepackt, die die Kinder als Mittagessen zur Schule mitnehmen. Gefrühstückt wird meist nicht, bestenfalls gibt es ein wenig gekochten Hirsebrei. Während die 17-jährige Venencia in etwas zu großen Herrenschuhen zur Schule geht, läuft Didas barfuß. „Ich habe keine Schuhe", sagt der 18-Jährige. Außer ihren reichlich zerschlissenen Schuluniformen besitzen die Kinder nur noch eine gute Garnitur für sonntags. Die Armut der Familie, die im Südwesten Ugandas in der Provinz Bushenyi lebt, ist überall greifbar. Oft ist nicht genug Essen da, obwohl eine Bananenplantage die Lebensgrundlage bildet.

Wie Adolf und Furigy geht es Millionen Menschen in Uganda. Das Land zählt trotz Fortschritten bei der Armutsbekämpfung zu den ärmsten Ländern der Welt. Beim Index der menschlichen Entwicklung liegt es auf Rang 154 von 177. Knapp 90 Prozent der 30 Millionen Ugander leben auf dem Land, zwei Drittel von ihnen produzieren lediglich für den Eigenbedarf. Die Produktion von Nahrungsmitteln hat mit dem Bevölkerungswachstum nicht Schritt halten können, pro Kopf ist sie seit 2002 um zwei Prozent pro Jahr gesunken. Ein Fünftel der Menschen leidet an Unterernährung, ein Drittel hat keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser.

„Wir können den Kindern nichts anderes mitgeben als Bildung", sagt Adolf. Er selbst gehört zu den zwei Dritteln Ugandern, die lesen und schreiben können. Die 34-jährige Furigy kann nur ihren Namen schreiben. Englisch, die Amtssprache in Uganda, sprechen beide nicht, nur die örtliche Sprache Rwanyankole. Alle ihre Kinder gehen zur Schule, die eine Dreiviertelstunde zu Fuß entfernt ist. Weil ihre Arbeitskraft aber auch zu Hause gebraucht wird, kommen sie nicht so rasch voran. Venencia und Didas haben die siebte Klasse noch nicht abgeschlossen. Immer wieder gibt es auch Unterbrechungen, weil die Eltern das Schulgeld für einen Term - 5000 Schilling pro Kind in den ersten fünf Schuljahren und 30.000 Schilling in den letzten beiden - nicht bezahlen können. Trotzdem sind der sechsjährige Joseph und die zehnjährige Prisca Klassenbeste: „Ich werde Architekt", sagt Joseph.

Die Plantage von Adolf und Furigy ist 8 Acres (etwa 3,2 Hektar) groß. Die Familie lebt auf 60 Quadratmetern: Wohnzimmer, Elternschlafzimmer mit kleinem Vorraum sowie zwei weitere Schlafkammern für die Mädchen und Jungen haben in ihrem kleinen Haus Platz. Küche, Waschplatz und Toiletten befinden sich außerhalb. Auf ihrem Land bauen sie hauptsächlich Bananen an: Kochbananen (Matoke), wenige süße Bananen sowie eine weitere Sorte für die Herstellung von Bananensaft, fermentiertem „banana brew" sowie „Waragi", einem Schnaps. Den Platz unter den Stauden nutzen sie für Bohnen und Kartoffeln, auf einem kleinen Acker wachsen Bohnen, Erdnüsse, Kürbisse, Kohl und Süßkartoffeln. Hirse für Poshum (eine Art Brot), Tee, Zucker und Milch müssen sie dazu kaufen.

Furigy kocht, wie sie es von ihren Vorfahren gelernt hat: In einer Küchenhütte, in der sich auf gestampftem Lehmboden in einer Ecke eine offene Feuerstelle ohne Abzug im Dach befindet. Ein kleines Fenster lässt etwas Luft und Licht hinein und je nach Windrichtung auch Rauch hinaus. In Afrika kochen rund 90 Prozent der Frauen so. Das Feuerholz ist frisch, es qualmt mächtig in der kleinen Küche. Die Mutter, im Schlepptau der dreijährige Osbert, steht pro Mahlzeit rund zweieinhalb Stunden am Herd. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation sterben jedes Jahr rund zwei Millionen Menschen in Entwicklungsländern an den Folgen des häuslichen Smogs.

Anders als ihr Nachbar Amos Bangizi können Adolf und Furigy noch nicht von einer vielversprechenden technischen Neuerung profitieren: Amos besitzt ein Handy. Die flächendeckende Installation eines Mobilfunknetzes in den vergangenen Jahren war ein großer Fortschritt. Die niedrigen Preise für Mobiltelefone ermöglichen es auch vielen armen Familien, sich auf diese Weise Zugang zu Informationen zu verschaffen. So können sich die Nachbarn schneller erreichen, wenn etwa eine Versammlung einberufen wird. Auch landwirtschaftliche Beratung könnte unkomplizierter ablaufen.

Um über die Runden zu kommen, geht Furigy auf der benachbarten Kaffeeplantage arbeiten. Kaffee ist das wichtigste Exportgut des Landes und auf der Plantage gibt es immer etwas zu tun. „Wer kommt, kann arbeiten", sagt Monica Mugyenyi. Die 33-jährige Umweltingenieurin bewirtschaftet die 23 Acres große Plantage, auf der auch Orangen, Avocados und Passionsfrüchte angebaut werden, für eine verwandte Familie. Sie setzt dabei auf biologischen Anbau. Nach dem Studium in Kampala und einigen Jahren im Handel ist sie nach Bushenyi zurückgekehrt und führt jetzt inKabwohe eine weitere Kaffeeplantage, eine Gärtnerei, ein Gästehaus und ein Schulungszentrum. Sie wolle dazu beitragen, den Menschen eine Zukunftsperspektive zu geben, sagt sie: „Ich arbeite am liebsten mit jungen Leuten und mit Frauen." So könne die Situation der Familien am ehesten verbessert werden.

Monica Mugyenyi hat großen Erfolg mit ihrem Geschäft: Die Erträge beider Kaffeeplantagen vermarktet sie zusammen und direkt an den Exporteur. Aufgrund der größeren Menge und der gleichbleibenden, sehr guten Qualität kann sie zwei- bis dreimal so viel erlösen wie andere. Da die meisten Kleinbauern keinen Zugang zum Markt haben, müssen sie die Waren über Zwischenhändler absetzen, die einen Großteil des Gewinns für sich beanspruchen. Viele von ihnen müssen aus Geldnot oft schon ernten, wenn der beste Zeitpunkt noch nicht erreicht ist, oder schon verkaufen, wenn der Markt gesättigt ist und die Preise sinken. Monica hingegen kann warten, bis die Preise anziehen, es sei denn, sie braucht dringend Geld. „Mit Kaffee kann man nicht scheitern, weil man permanent Einkünfte hat", ist sie überzeugt. Daran hat auch Furigy ihren bescheidenen Anteil. Für ein Bassin (rund zehn Kilogramm) Kaffeekirschen erhält sie 500 Schilling (etwa 17 Eurocent). Am Tag schafft sie ein bis zwei davon. Adolf arbeitet, wenn es die Arbeit auf dem Land zulässt, in einem Fahrradladen in Kishali, dem nächstgelegenen Ort.

Furigy verdient zusätzlich ein wenig Geld mit dem Flechten von bunten Bastmatten. „Das habe ich von meinem Schwiegervater gelernt. Auch Venencia und Prisca können es schon", berichtet sie stolz. Weil sie aber nur lokal verkaufen kann, ist der Gewinn bescheiden. Je nach Material und Größe braucht sie zwischen 60 und 160 Stunden pro Matte, erlöst dafür aber nur zwischen 10.000 und 14.000 Uganda-Schilling, das sind 3,60 bis 5 Euro.

Das tägliche Leben ist trotz der Selbstversorgung teuer geworden. Seit 2008 ist die Inflationsrate sprunghaft gestiegen.

Die Abhängigkeit von den Transportwegen an die kenianische Küste hat Lebensmittel extrem verteuert: Milch kostet pro Liter 400 Uganda-Schilling, ein Kilo Hirse 1000 Schilling, Zucker und Salz 2000 bzw. 1500 Schilling pro Kilogramm. Die Familie braucht täglich etwa 10.000 Schilling (3,30 Euro) zum Leben. Nur Schulungen könnten den Menschen aus ihrer Resignation heraushelfen, meint Monica Mugyenyi. Mit Kooperativen könnten sie beispielsweise ihre kunstvollen Handarbeiten besser verkaufen.

Eine Selbsthilfegruppe hat sich bereits gegründet: Furigy trifft sich einmal pro Monat mit elf Nachbarinnen, jede bringt einen Betrag von 12.000 Schilling mit. Jeweils eine Frau reihum erhält 120.000 Schilling, der Rest bleibt in der Kasse - damit wird eine private Gemeinschaftskasse aufgebaut. Auf diese Weise hat jede Frau einmal im Jahr einen größeren Betrag zu Verfügung, den sie in den Haushalt oder in ihre Farm investieren kann.

Luise Richard ist Diplom-Agraringenieurin und arbeitet als freie Journalistin für verschiedene Fachmedien. Ihr Aufenthalt in Uganda wurde vom Exposure- und Dialogprogramm der Deutschen Kommission Justitia et Pax und der Katholischen Landvolkbewegung in Zusammenarbeit mit ugandischen Partnern organisiert.

erschienen in Ausgabe 6 / 2009: Kleidung – Wer zieht uns an?

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