Das große Krabbeln auf dem Teller

Verena Hölzl

Mai Thitiwat hat eine Mission: „Ich will Käfer auf Kaviarniveau bringen.“

Insekten
Ein thäiländischer Koch will seinen Landsleuten Insekten schmackhaft machen. Jakobsmuschel mit Bambusraupe – das ist nur eines der Gerichte, die Mai Thitiwat den Gästen in seinem Restaurant in Bangkok serviert. Ziemlich gewöhnungsbedürftig.

Die Dorfbewohner waren höchst amüsiert: Der Sternekoch aus der Hauptstadt hatte sie gebeten, mit ihnen auf Käfersuche zu gehen. Mai Thitiwat erinnert sich noch genau. Im thailändischen Nordosten, dem Isan, begann vor mehr als einem Jahr sein Insektenabenteuer. Zusammen mit den Einheimischen fing er im Dschungel ein paar Seidenraupen, Grashüpfer und Taranteln ein. Er kehrte damit nach Bangkok zurück und baute am Stadtrand eine Insektenfarm auf – dort züchtet er das Rohmaterial für sein Restaurant „Insects in the Backyard“ (Insekten im Hinterhof).

Mai Thitiwat will nicht mehr nur Koch sein, er ist zu einem Insekten-Aktivisten geworden. Der 32-Jährige sitzt auf der Terrasse seines Restaurants auf einem Marktgelände mit vielen Hipster-Geschäften am Rande von Bangkok. Der Dunst vom letzten Monsunschauer hängt noch schwer in der Luft und hinter den Wolken verbirgt sich die blaue Stunde. „Käfer sind die Zukunft der Menschheit“, sagt er und grinst. „Die meisten Leute haben das nur noch nicht verstanden.“
Die wachsende Weltbevölkerung führt dazu, dass Fleisch eines Tages zum Luxusgut werden wird. Je mehr Menschen es gibt, desto weniger Platz und Ressourcen werden für die Zucht von Tieren zur Verfügung stehen. „Wir müssen stattdessen alternative Nahrungsquellen ausfindig machen“, erklärt auch Maria Antonia Tuazon von der Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) der Vereinten Nationen. „Insekten sind eine mögliche Alternative.“

Sie sind reich an Eiweiß, ungesättigten Fettsäuren, Vitaminen, Ballaststoffen und Mineralien und damit im Vergleich zu anderen Fleischsorten überdurchschnittlich nahrhaft. Anders als Rinder und Hühner produzieren sie über ihre Ausscheidungen außerdem weniger Treibhausgase und Ammoniak, die schädlich für Umwelt und Klima sind. Darüber hinaus setzten Insekten effektiver ihr Futter in für den Menschen wichtige Nährstoffe um, erläutert Thitiwat. Ein Hühnchen müsse acht Kilogramm Nahrung zu sich nehmen, damit sein Fleisch ein Kilogramm Eiweiß liefert. Bei Insekten reichten für dieselbe Eiweißmenge zwei Kilogramm Nahrung.

Das Grashüpferbeinchen kratzt im Hals

In der Fisch- und Geflügelzucht werden Insekten bereits als Futter eingesetzt. Als Nahrungsmittel für den Menschen seien sie jedoch noch wenig verbreitet, erläutert FAO-Mitarbeiterin Tuazon. So mangele es etwa noch an so grundlegenden Dingen wie Regeln für die Zucht und den sicheren Verzehr von Käfern. Und es mangelt an Akzeptanz. Das hat auch Mai Thitiwat erfahren. Als er seinen Kollegen in einem renommierten Bangkoker Edelrestaurant vor rund zwei Jahren ankündigte, er werde kündigen, um mit Insekten zu experimentieren, erklärten sie ihn für verrückt. „Mir war das egal“, sagt er. „Ich habe ihnen gesagt: Ich reise in die Zukunft und ihr bleibt hier.“

Autorin

Verena Hölzl

ist freie Journalistin und berichtet aus Myanmar unter anderem für die „tageszeitung“.

Nicht alle seiner Kreationen haben sofort funktioniert. Die Ameiseneiscreme etwa sei ein Totalausfall gewesen. Dafür findet er die Jakobsmuschel mit Bambusraupe sehr gelungen. In den meisten seiner Gerichte sind Insekten nur die krönende Garnitur. Die Kunden sollen sich langsam an die Käferkost gewöhnen können. In anderen Speisen sind Insekten als solche auch gar nicht sichtbar. Für sein Tiramisu etwa stellt Mai Thitiwat die Mascarpone-Creme aus Larvenmehl her.

„Ich bereite die Menschen schon mal darauf vor, Käfer zu mögen“, sagt Mai Thitiwat. Die Vorbereitung ist nötig. Das Grashüpferbeinchen kratzt im Hals. Die Reporterin ist froh, zwischen zwei Dutzend Cashewnuss-großen Seidenraupen immer mal wieder eine Gabel vertrauter Spaghetti in den Mund schieben zu können. „Das ist alles weniger exotisch als gedacht“, sagt der Koch. Das Fleisch des Riesenwasserkäfers schmecke etwa wie das einer Krabbe. Oder die Grille: Ihr Geschmack erinnere an einen Baby-Shrimp. Für den ungeübten Gaumen schmecken viele Insekten aber vor allem nach dem Öl, in dem sie gebraten werden.

Arme-Leute-Essen auf Kaviarniveau

Mai Thitiwat wirft von der Terrasse regelmäßig einen nervösen Blick in das Restaurant, das mit seinen mächtigen Glasscheiben an ein Gewächshaus erinnert. Seine Küche ist ein Experiment. Regelmäßig knipsen Kunden mit dem Smartphone die Speisen auf ihren Tellern. Die meisten seien Ausländer, die etwas Neues ausprobieren wollen, erklärt Mai Thitiwat. Für Thais hingegen sind Insekten ein Arme-Leute-Essen für die, die sich kein Fleisch leisten können. So wie die Dorfbewohner im Isan, von denen er sich die Zubereitung abgeschaut hat.

Mai Thitiwat will deshalb das Image von Insekten ändern. „Ich will Käfer auf Kaviarniveau bringen“, sagt er selbstbewusst. Das sei nur eine Frage der Zeit. Kleinkinder hätten auch keine Vorbehalte, Insekten zu verzehren. „Die Abneigung ist erlernt“, sagt er.

Dass die kulturellen Hürden irgendwann fallen, glaubt auch Davide Storino, einer der Gründer von DL Novel Food. Das italienische Unternehmen beschäftigt sich damit, Lebensmittel auf Insektenbasis herzustellen. „Als Sushi nach Europa kam, fanden das auch alle erst einmal ekelhaft“, meint er. „Heute lieben alle den rohen Fisch.“ Gemeinsam mit seinem Geschäftspartner beschäftigt er sich deshalb schon einmal damit, wie man die Zucht von Insekten in Zukunft automatisieren könnte.

 „Zwei Milliarden Menschen auf der Erde essen seit jeher Insekten und finden das ganz normal“, sagt Tuazon von der FAO. Doch abgesehen davon, dass die breite Masse erst einmal an den Verzehr von Insekten gewöhnt werden müsse, seien Käferdelikatessen in vielen Fällen noch zu teuer. „Für eine Chipstüte mit scharfen Mehlwürmern müssen Sie im Internet etwa sieben Dollar hinlegen“, sagt Tuazon. Ein Kilogramm Bambusraupen, die teuerste Käferart, kostet in Thailand umgerechnet etwa 27 Euro. Am billigsten sind einfach zu züchtende Seidenraupen zu haben: das Kilogramm für rund 2,60 Euro.

Mai Thitiwat lockt die Gäste mit dem Versprechen einer „Fine-Dining-Erfahrung“ in sein Restaurant: Das Besteck liegt angenehm schwer in der Hand, die Kellner sind aufmerksam, aber nicht aufdringlich, im Hintergrund läuft Saxofonmusik, die Tische mit edlen Steinplatten stehen auf kleinen Teppichen, schmiedeeiserne Kronleuchter verbreiten gedämpftes Licht. Anders, so glaubt er, ließen sie sich nicht vom Insektenverzehr überzeugen.
 Mai Thitiwat hat sich in der Region einen Namen gemacht. Von überall her kommen Menschen, um ihn zu konsultieren. Vor kurzem war ein Geschäftsmann aus Hongkong da, der Energieriegel aus Insektenprotein herstellen will und sich von ihm Rat erhoffte. „Gute Idee“, sagt der Küchenchef.

Der umtriebige Koch bleibt auch selbst nicht stehen. Im Moment beschäftigt er sich damit, wie man Seetang als Nahrungsmittel verarbeiten könnte. Die Pflanze ist ebenso wie Insekten reich an Proteinen, die der Mensch zum Leben braucht. „Die Menschheit zerstört nicht nur unseren Planeten, sondern damit auch ihre eigene Lebensgrund­lage“, sagt Mai Thitiwat. Er ist deshalb schon einmal vorausgelaufen in die Zukunft. Nun versucht er, seine Landsleute langsam nachzuholen.

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erschienen in Ausgabe 12 / 2018: Mehr als Reis und Weizen
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