Kein Grund zum Pessimismus

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70 Jahre UN-Menschenrechtscharta
Um die Menschenrechte steht es besser, als viele meinen, findet Kathryn Sikkink.

Beim Thema Menschenrechte packt heute viele der Frust. So meinte der ehemalige UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, seit dem Zweiten Weltkrieg habe es noch nie so viel Leid gegeben wie heute. Eric Posner, Professor an der juristischen Fakultät der Universität Chicago, ist der Überzeugung, dass seit 1945 die Zahl der Menschenrechtsverletzungen nicht nennenswert zurückgegangen ist. Und der Londoner Politikwissenschaftler Stephen Hopgood sieht sogar die „Endzeit der Menschenrechte“ aufziehen.

Angesichts der besorgniserregenden Situationen, mit denen Menschenrechtsaktivisten tagtäglich konfrontiert sind, ist dieser Pessimismus verständlich. Auch mir ist klar, dass wir heute in vielen Teilen der Welt alarmierende Menschenrechtskrisen erleben. Dennoch glaube ich nicht, dass die Lage der Menschenrechte heute bedrohlicher ist als früher. Meine These: Der einseitige Fokus auf die Krisen selbst kann die Lage der Menschenrechte ungünstig beeinflussen.

Autorin

Kathryn Sikkink

lehrt Menschenrechtspolitik an der Harvard Kennedy School in Cambridge, MA. Sie ist Autorin von „Evidence for Hope. Making Human Rights Work in the 21st Century“ (Princeton University Press).
Ich rate dazu, die pessimistischen Ansätze einer gründlichen historischen und statistischen Prüfung zu unterziehen. Das ist wichtig, denn die einseitige Wahrnehmung von Krisen und Gefahr hat unbeabsichtigte Folgen für die Wirksamkeit und Legitimität von Menschenrechtsarbeit.

Historisch haben sich die Menschenrechte immer als Ergebnis von Kämpfen durchgesetzt, die oft von unterdrückten Gruppierungen angeführt wurden. Dort, wo es Fortschritte gab, waren sie mitnichten zwangsläufig, sondern die Frucht von Engagement und Anstrengung. Heute scheuen sich einige Aktivisten und Forscher zuzugeben, dass es Erfolge in der Menschenrechtsarbeit gegeben hat, denn sie fürchten, dass die Leute dadurch selbstgerecht und träge werden könnten.

Erhöhtes Risiko für Depressionen

Laut einer US-amerikanischen Umfrage unter 246 Personen, die sich für die Menschenrechte engagieren oder engagiert haben, geht diese Arbeit mit einem erhöhten Risiko an Depressionen und posttraumatischen Störungen einher. Das legt den Schluss nahe, dass Menschenrechtsaktivisten vor allem mit ihren Zweifeln fertig werden müssen, ob sie mit ihrem Engagement zu einer Veränderung beitragen oder nicht. Eine einseitige Betonung der Krisen verstärkt also nicht nur den Eindruck, dass die Menschenrechtsbewegung historisch wirkungslos war. Sie könnte auch die Motivation und das Wohlbefinden der Aktivisten schmälern.

Per definition werden die Menschenrechte dann gebraucht, wenn die Bedingungen schlecht sind. Ich habe in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren bei der kleinen Menschenrechtsorganisation Washington Office for Latin America (WOLA) gearbeitet – zu einer Zeit also, die heute einigen als goldenes Zeitalter des Menschenrechtsaktivismus gilt. Und doch hatten wir damals nie das Gefühl, unsere Ziele seien in greifbarer Nähe. Wie auch: Die argentinische Regierung ließ Tausende ihrer Bürger verschwinden, die Regierung von El Salavador massakrierte mit vehementer Unterstützung der US-Regierung ihre Bürger, und die Welt hatte den Völkermord, der gerade in Kambodscha stattgefunden hatte, schlichtweg ignoriert.

Der derzeitige Pessimismus suggeriert außerdem, Menschenrechtsaktivisten seien früher einmal populär gewesen und hätten ein gewisses Ansehen genossen, während sie heute verunglimpft werden. Dabei waren sie in den Ländern, in denen sie gearbeitet haben, noch nie beliebt. Repressive Regierungen haben Menschenrechtsgruppen schon immer attackiert und verteufelt, ob mit Schmutzkampagnen oder mit Hilfe anderer unterdrückerischer Taktiken. Menschenrechtler verteidigen immerhin oft die Rechte missachteter Minderheiten wie etwa politisch links eingestellter Menschen in Lateinamerika, Roma in Europa oder Transgender-Menschen in den USA.

Kampf an vorderster Front

Die Tatsache, dass der Kampf für die Menschenrechte schon immer heftigem Gegenwind ausgesetzt war, sollte uns nicht entmutigen. Denn gerade die Langzeitperspektive auf die Menschenrechte hält eine erfreuliche Botschaft bereit und kann uns in unseren gegenwärtigen Auseinandersetzungen stärken. In meinem Buch „Evidence for Hope“ erforsche ich, was sich im Laufe der Zeit alles zum Guten verändert hat. Dafür nutze ich die besten Daten, die ich finden konnte, um Fortschritte im Hinblick auf etliche Menschenrechte messbar zu machen.

Diese Daten zeigen, dass sich einige Probleme tatsächlich verschärft haben. So ist die absolute Zahl derjenigen, die infolge von Krieg oder wirtschaftlicher Ungerechtigkeit ihren Heimatort verlassen, in vielen Ländern gestiegen. Dem gegenüber stehen aber viele positive Trends: Die Zahl der Opfer von Völkermorden oder politisch motivierten Massenmorden ist gesunken, es gibt insgesamt weniger Kriegstote, die Todesstrafe wird seltener angewendet und es gab etliche Erfolge in den Bereichen Armutsbekämpfung, Kindersterblichkeit, Lebenserwartung, Gleichstellung von Mann und Frau, Rechte sexueller Minderheiten und Rechte von Menschen mit Behinderungen.

Warum also ist der Glaube so verbreitet, Menschenrechtsverletzungen breiteten sich auf der Erde immer mehr aus? Die kurze Antwort lautet: Wir denken, der Welt gehe es schlechter, weil wir uns mehr um sie sorgen und mehr über Menschenrechte wissen als je zuvor. Medien und Menschenrechtsorganisationen lenken unsere Aufmerksamkeit auf ein immer breiter werdendes Spektrum an Rechtsverletzungen überall auf der Welt. Je aufmerksamer wir darauf blicken, desto eher sind wir geneigt zu glauben, bei der Durchsetzung der Menschenrechte gebe es keine Fortschritte. Wer die jetzige Situation nicht mit der Vergangenheit, sondern mit einem vorgestellten Idealzustand vergleicht, muss einfach enttäuscht sein.

Ich will damit nicht sagen, dass sich die Situation für Menschenrechtsaktivisten weltweit verbessert. Ich möchte nur daran erinnern, dass Menschenrechtsaktivisten schon immer an vorderster Front gekämpft haben. Deshalb sollten wir vorsichtig sein mit der Annahme, dass die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts eine bessere Zeit für die Menschenrechte gewesen sei als das beginnende 21. Jahrhundert. Einige Bedrohungen sind tatsächlich neu und gravierend für zivilgesellschaftliche Organisationen – etwa aggressive Gesetze zur Registrierung und Finanzierung. Mit anderen Schikanen aber müssen sie von jeher fertig werden.

Die Überlegungen, wie neu oder alt diese Probleme sind oder welche Trends es bei den Menschenrechten gibt, sollen nicht von den Risiken und Gefahren ablenken, mit denen Menschenrechtler zu tun haben – und erst recht nicht von der dringenden Notwendigkeit, Strategien dagegen zu entwickeln. Und doch können Informationen über historische Trends ebenso wie ein genauer Blick auf die Daten nützlich sein, wenn es darum geht, Aktionen und Taktiken zu diskutieren und sich neuen Herausforderungen zu stellen. Wut, Hoffnung und das Wissen, auf der Welt einen Unterschied machen zu können, verleihen Menschen die Kraft weiterzuarbeiten. Das Wissen darüber, was Menschenrechtsgruppen in der Vergangenheit geschafft haben, kann uns mehr über wirksame Strategien und Taktiken für die Zukunft lehren.

 Der Beitrag ist zuerst auf dem Online-Portal „OpenGlobalRights“ erschienen.

Aus dem Englischen von Barbara Erbe.

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erschienen in Ausgabe 12 / 2018: Mehr als Reis und Weizen
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