Die Streitkräfte friedlich stimmen

Von Gesine Wolfinger

Der Zivile Friedensdienst arbeitet selten mit Militärs. In Guinea-Bissau macht der Weltfriedensdienst eine Ausnahme - mit gutem Grund. Denn Geschichte und Gegenwart des kleinen westafrikanischen Landes sind von Gewalt geprägt, die häufig von der Armee ausgeht und durch ihre internen Streitigkeiten verschärft wird. In einem mehrjährigen Prozess ist es gelungen, innerhalb der Streitkräfte eine gewaltfreie Bewältigung von Konflikten anzustoßen und den Dialog zwischen Zivilgesellschaft und Armee zu fördern.

Friedensarbeit mit Soldaten - für Mario Miranda ist das keine ungewöhnliche Idee. „In meinem Land gehen Gewalt und Konflikte vor allem vom Militär aus", sagt der 60-Jährige aus Guinea-Bissau. „Deshalb muss die Erziehung zum Frieden in der Armee beginnen." Wer Programme zur gewaltfreien Bearbeitung von Konflikten nur für die Zivilgesellschaft anbiete, richte sich in dem kleinen westafrikanischen Land an eine Minderheit. „Wir leben in einer militarisierten Gesellschaft", sagt Miranda, der als unabhängiger Consultant verschiedene nichtstaatliche Organisationen (NGO) berät. „Wir müssen die Saat des Friedens überall säen, aber vor allem in den Kasernen."

Wie nötig das ist, zeigt ein Blick in die Geschichte von Guinea-Bissau. Sie ist von Gewalt und politischer Instabilität geprägt. Der rund 1,5 Millionen Einwohner zählende Staat, einer der ärmsten der Erde, befreite sich nach einem zehnjährigen Krieg von seiner Kolonialmacht Portugal. Seit der Unabhängigkeit kam es wiederholt zu blutigen und unblutigen Putschen und Machtwechseln. Der letzte ereignete sich Anfang März, als innerhalb weniger Stunden zunächst der Oberbefehlshaber der Armee, Tagme Na Wai, und dann Präsident Joao Bernardo Viera ermordet wurden. Die Rivalität und Feindschaft zwischen beiden hatten das politische und militärische Leben des Landes seit Jahren bestimmt.

Politische und militärische Kräfte bilden Seilschaften, sie sind in Machtkämpfe verstrickt, die sie zumeist undemokratisch und immer wieder gewaltsam zu lösen versuchen. Auch innerhalb der Armee schwelen Konflikte zwischen verschiedenen Fraktionen, die teilweise bereits während des Befreiungskampfes gebildet wurden. Hinzu kommen Streitereien zwischen den mehr als 25 verschiedenen ethnischen Gruppen des Landes, Auseinandersetzungen um Land sowie Kämpfe zwischen der Armee und Rebellen aus der Casamance, einer Region im Südwesten des Nachbarlandes Senegal. In den vergangenen Jahren ist Guinea-Bissau zudem zum Umschlagplatz für kolumbianisches Kokain geworden: Drogenkriminalität und Korruption wachsen (siehe „welt-sichten" 11/2008, Seite 18).  Vor diesem Hintergrund begann die einheimische Organisation União de Deficientes Motores e Vítimas de Guerra (UNDEMOV),

unterstützt von deutschen Fachkräften des Weltfriedensdienstes (wfd) im Rahmen des Zivilen Friedensdienstes (ZFD), die Friedensarbeit in der Armee. Die Initiative sei vom Militär ausgegangen, betont Mario Miranda. An einem ersten 20-tägigen Seminar im Januar 2005 nahmen ausschließlich 25 Angehörige der Streitkräfte, der Polizei und des Grenzschutzes teil. Auf ihren Wunsch hin wurde der Kreis der Teilnehmenden im folgenden Jahr auf Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft ausgedehnt. Einem dritten Workshop im Jahr 2008 folgte die Gründung der Organisation Djemberem di Kumpu Kombersa (DDCC), die der künftigen Zusammenarbeit zwischen Militär und zivilen Akteuren einen festen Rahmen geben soll.

Alejandra Maass Cruzat hat gemeinsam mit einer Kollegin die Workshops in Guinea-Bissau geleitet. Die gebürtige Chilenin bringt Erfahrungen aus der Anti-Gewalt-Arbeit in Lateinamerika mit. „Wir versuchen zunächst, eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen, und bringen die Teilnehmer mit Hilfe von Spielen miteinander ins Gespräch", erklärt sie. Eines davon ist der „Fluss des Lebens": Auf einem langen Tuch markieren Täfelchen Jahreszahlen zwischen 1800 und 2009. Die Teilnehmenden wählen aus Fotos von wichtigen politischen und geschichtlichen Ereignissen jeweils eines aus, zu dem sie eine ganz persönliche Beziehung haben, und ordnen sie der Zeitachse zu.

Gespräche über die Fotos verdeutlichen Verbindungen zwischen der eigenen und der „öffentlichen" Geschichte sowie unterschiedliche Interpretationen oder Erinnerungen an ein und dasselbe Ereignis. „Die Teilnehmenden lernen, sich selbst und andere anders wahrzunehmen", erklärt Hans Jörg Friedrich, Programmkoordinator des wfd. „Das führt dazu, dass etwa ein Menschenrechtsaktivist, der im ganzen Land als Feind der Armee bekannt war, plötzlich Freundschaft mit einem Offizier schließt."

Mario Miranda hat die Ergebnisse der Workshops vor zwei Jahren evaluiert und spricht ebenfalls von Erfolgen. Die Teilnehmenden seien zu Multiplikatoren geworden und wendeten die erworbenen Kenntnisse in ihrem jeweiligen beruflichen Umfeld erfolgreich an, sei es in der Schule oder in der Kaserne. Dabei könnten sie auf die Unterstützung ihrer Vorgesetzten zählen. Das Verhältnis zwischen Zivilgesellschaft und Militär habe sich verbessert. Inzwischen gebe es Soldaten und Bauernorganisationen, die in der Landwirtschaft zusammenarbeiten, berichtet Miranda.

Von der Basis ist der Dialog zudem inzwischen ganz oben in der Staatshierarchie angekommen: Vier Mitglieder von DDCC sind in die Nationale Versöhnungskommission berufen worden, der Generalstab der Armee hat die Organisation anerkannt und zur Arbeit in den Kasernen eingeladen. Und im Januar 2009 fand erstmals ein Friedens-Workshop mit dem hochrangigen Gremium statt.

Nicht ohne Anlaufschwierigkeiten, wie Alejandra Maass Cruzat erzählt: Zum Aufwärmen gab es das „Knotenspiel", bei dem die Teilnehmenden eine lange Kette bilden, die von der Workshopleiterin zu eine komplizierten Knäuel verflochten wird. Anschließend müssen sie sich befreien, ohne die Hände loszulassen. Das klappt nur, wenn sie bereit sind, flexibel zu sein und nicht auf ihren Positionen beharren. Im Lauf ihrer langjährigen Arbeit sei das nur zwei Gruppen nicht gelungen, sagt Alejandra Maass Cruzat und schmunzelt. Die Versöhnungskommission war eine davon. Erst beim zweiten Mal, einige Tage später, ging der Knoten auf.  

Und die Teilnehmenden selbst? „Wir denken, dass wir hier nur Spielchen machen", sagt ein junger Soldat in der Film-Dokumentation des Workshops vom vergangenen Jahr. „Aber die Ergebnisse sind wichtig für unsere Arbeit." Andere sprechen von einer „großen Lektion", die sie gelernt haben, und sind überzeugt: „Mit Hilfe der Ausbildung werden wir unsere Geschichte der Konflikte bewältigen."

Der wfd will diese Arbeit gemeinsam mit der neuen Organisation DDCC in einem dreijährigen Projekt fortsetzen und sieht sie als wichtige Ergänzung zu den Programmen der Vereinten Nationen und der Europäischen Union. Die konzentrieren sich vor allem auf die Förderung guter Regierungsführung, die Reform des Sicherheitssektors, Minenräumung und den Kampf gegen Drogenhandel und organisierte Kriminalität. Der wfd strebt nichts Geringeres an, als die gesellschaftliche und politische Kultur des Landes zu verändern. Es bleibt zu wünschen, dass die Saat aufgeht.

Gesine Wolfinger ist Redakteurin bei „welt-sichten".

 

 

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