Der „Bonner Aufruf" für eine andere Entwicklungspolitik hat im vergangenen Jahr zu hitzigen Diskussionen geführt. Die Vorwürfe seien zu pauschal, lautete ein Einwand der Kritiker. Im März haben die Initiatoren eine erweiterte Fassung vorgelegt, den „Bonner Aufruf plus". Doch die Einwände bestehen weiter, wie eine Diskussion Anfang April in Bonn verdeutlicht hat.
„Ziehen Sie den Aufruf zurück!" Eckhard Deutscher, der aus Paris angereiste Vorsitzende des OECD-Entwicklungsausschusses (DAC) der 22 größten Geberländer, machte keinen Hehl daraus, dass er von dem Papier nicht viel hält. „Der Aufruf ist nicht anschlussfähig an die gegenwärtigen Diskussionen über entwicklungspolitische Reformen auf internationaler Ebene", sagte der frühere deutsche Weltbank-Direktor. Der Ton des Aufrufs erinnere an die entwicklungspolitischen Debatten von vor 25 Jahren. Kein Wort finde sich darin, dass es in der Entwicklungszusammenarbeit heute um globale Probleme wie etwa den Klimawandel gehe. Auch Franz Nuscheler von der Universität Duisburg kritisierte, der Aufruf sei „einer nationalen Schrebergartenmentalität verhaftet".
Peter Molt, der frühere Geschäftsführer des Deutschen Entwicklungsdienstes und einer der Initiatoren des „Bonner Aufrufs", entgegnete, es gehe ihm und seinen Mitstreitern nicht um globale Aufgaben, sondern um die Hilfe „für einen Teil von Afrika, wo die Zusammenarbeit mit Staaten keinen Sinn macht". 85 Prozent der Afrikaner lebten in schlecht regierten Staaten, sagte Molt, und in vielen davon seien die Regierungen schlicht reformunfähig. Dort müsse den Menschen direkt geholfen werden - durch nichtstaatliche Organisationen, vor allem aber durch „lokal verankerte Vorhaben". Nur so könnten verantwortungsbewusste Strukturen in Staat und Gesellschaft wachsen, fasste Molt eine zentrale Aussage des Aufrufs zusammen.
Volker Seitz, früherer Botschafter in Benin und Kamerun und ebenfalls Mitinitiator des Aufrufs, sagte, für die Entwicklungszusammenarbeit werde nicht mehr Geld gebraucht. „Der GTZ-Leiter in Kamerun weiß gar nichts anzufangen mit noch mehr Geld. Aber die Zentrale in Eschborn zwingt ihn dazu, es auszugeben, damit der Etat im kommenden Jahr nicht schrumpft."
Im kürzlich vorgelegten „Bonner Aufruf plus" begründen die Autoren ihre Thesen und Forderungen ausführlicher. So heißt es etwa zu der Aussage, die bisherige Entwicklungshilfe für Afrika habe „versagt", vielen Menschen sei zwar geholfen worden, dennoch sei „es mit hunderttausenden Projekten, die viele Milliarden Dollar gekostet haben, nicht gelungen, Afrika zu einem selbsttragenden, seinem Bevölkerungswachstum entsprechenden wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu verhelfen". Die Mehrheit der Menschen in Afrika hätte heute „keine besseren Lebensbedingungen als vor 50 Jahren".
Ihre Forderung, entwicklungspolitische Entscheidungen auf die deutschen Botschaften zu übertragen, begründen die Autoren damit, dass nur dort die vielen Durchführungsorganisationen wie die GTZ, die KfW Entwicklungsbank, der DED und InWEnt koordiniert werden könnten. Dazu müssten die zuständigen Mitarbeiter der Organisationen in die deutschen Vertretungen versetzt werden. Die Autoren schlagen vor, das in drei bis vier Pilotländern auszuprobieren.
Die Diskussion in Bonn hat verdeutlicht, dass die Erläuterungen im „Aufruf plus" die Kritiker nicht besänftigt haben. In der Öffentlichkeit wahrgenommen werde am Ende doch nur die pauschale Behauptung, die Entwicklungspolitik tauge nichts, sagte Franz Nuscheler. Und das schade der Sache, der die Initiatoren doch eigentlich dienen wollten. Eckhard Deutscher erneuerte deshalb am Ende seine Forderung: „Ziehen Sie den Aufruf zurück, diskutieren Sie noch einmal darüber und formulieren Sie einen neuen, besseren."
Tillmann Elliesen