Vom linken Projekt zur gängigen Praxis

Von David Lanz

Den Frieden mit anderen als militärischen Mitteln zu fördern, war zur Zeit des Kalten Krieges eine hehre Forderung mit wenig politischer Wirkung. Seitdem hat die zivile Friedensförderung ein beispielloses Wachstum erlebt und ihre Methoden haben sich ausdifferenziert. Manche Grundsatzfragen sind aber ungelöst, darunter die nach dem Verhältnis von zivilen und militärischen Mitteln der Friedensförderung.

Die Idee und die Praxis der zivilen Friedensförderung haben sich mit dem weltpolitischen Kontext stark gewandelt. Während des Kalten Krieges war Sicherheitspolitik militärisch definiert und Frieden wurde schlicht als Abwesenheit von Krieg verstanden. Von dieser realpolitischen Konzeption setzte sich in den 1960er Jahren eine Gruppe von Friedensforschern in Skandinavien ab, darunter Johan Galtung. Von ihm stammt das Konzept des „positiven Friedens“, das auf die Überwindung nicht nur von direkter, sondern auch von struktureller und kultureller Gewalt zielt. Es diente sowohl als Forschungsprogramm als auch als normativer Kompass für eine Bewegung, die sich klar vom sicherheitspolitischen Establishment abgrenzte. Folglich galt „Frieden“ vielerorts als subversives linkes Projekt, das man politisch nicht groß beachten musste. Zudem war die zivile Friedensförderung unter den Bedingungen des Kalten Krieges schwer praktisch umzusetzen, weil die staatliche Souveränität absolut gesetzt und nichtstaatlichen Akteuren generell die Legitimität aberkannt wurde.

Das Ende des Kalten Kriegs löste diese Blockade und erzeugte Enthusiasmus, das Versprechen der UN-Charta von kollektiver Sicherheit endlich wahr zu machen. Parallel kristallisierte sich in den 1990er Jahren ein „liberaler Konsens“ heraus, der bis auf Immanuel Kant zurückweist: Die These, wonach demokratische Staaten keine Kriege gegeneinander führen, sollte zur Grundlage der Befriedung der Welt werden. Daher wurden Demokratie und Menschenrechte weltweit gefördert und deren Siegeszug in Aussicht gestellt – der US-amerikanische Sozialwissenschaftler Francis Fukuyama sah darin das „Ende der Geschichte“. Gleichzeitig war das Prinzip der staatlichen Souveränität nicht mehr sakrosankt; dies ebnete militärischen Interventionen gefolgt von zivilen Wiederaufbauprogrammen den Weg.

In der Praxis kam der liberale Konsens besonders in Ländern zum Tragen, die nach Gewaltkonflikten wieder aufgebaut werden sollten: Nach einer Übergangsphase, die gewöhnlich in Wahlen gipfelte, sollten ehemalige Kriegsländer mit Hilfe von außen zu Demokratien mit Rechtsstaat, liberaler Wirtschaftsordnung und starker Zivilgesellschaft geformt werden. Die Gelegenheit bot sich, da das Ende des Kalten Krieges die Beilegung von zuvor unlösbaren Bürgerkriegen wie in El Salvador, Mosambik und Kambo- dscha ermöglichte. Gleichzeitig traten neue Konflikte auf wie in Ex-Jugoslawien oder dem Kongo, die nach einigen Jahren der Eskalation eine relative Befriedung erfuhren. Interventionen von außen zum Wiederaufbau, etwa im Kosovo oder in Osttimor, nahmen die Form von integrierten friedenserhaltenden Missionen an, in denen zivile und militärische Elemente verschmolzen. Untermauert wurde diese Entwicklung vom populären Konzept der menschlichen Sicherheit. Es bedeutete eine Ausweitung der Sicherheitspolitik auf Bedrohungen, die nicht von Staaten ausgehen, wie zum Beispiel Bürgerkriege, Terrorismus oder Drogenhandel, sowie den Einbezug von anderen als militärischen Instrumenten in die Abwehr.

Vor allem kleinere und mittlere Staaten wie Norwegen, Kanada und die Schweiz engagierten sich in den 1990er Jahren in der Friedensförderung, gründeten Verwaltungsabteilungen dafür und stellten nennenswerte Budgets zur Verfügung. Eine ähnliche Entwicklung fand in internationalen Organisationen wie der UN und der OECD statt. Die Zeit nach dem Kalten Krieg war eine beispiellose Wachstums-periode für die zivile Friedensförderung. Eine wachsende Koalition von Ausführenden in diesem Sektor entstand, bestehend aus nichtstaatlichen Organisationen (NGOs), Beratern, Think Tanks und Akademikern, die in Konfliktländern Programme zur Friedensförderung konzipieren, verwirklichen oder evaluieren. 

Humanitäre Hilfe ohne schädliche Nebenwirkungen

Die Wachstumsphase führte auch zur Ausdifferenzierung der Tätigkeiten in der zivilen Friedensförderung. In seiner „Agenda für den Frieden“ von 1992 unterschied der damalige UN- Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali nach der Konfliktphase, in der die Instrumente eingesetzt werden: die präventive Diplomatie vor dem Ausbruch von Gewaltkonflikten; die Friedensschaffung (peacemaking), das heißt die Vermittlung während Kriegen; die Friedenserhaltung mit militärischen Missionen (peacekeeping) nach einem Friedens- oder Waffenstillstandsabkommen; und die Friedenskonsolidierung (peacebuilding) zur Stabilisierung von Staaten nach Konflikten.

Aus heutiger Sicht scheint die Unterscheidung von Konfliktphasen und dazu passenden Instrumenten etwas rigide. Stattdessen sprechen wir zum einen von Organisationen, die in Konfliktgebieten arbeiten, ohne aber direkt auf den Konflikt einwirken zu wollen („working in conflict“). Dazu gehören solche, die humanitäre Hilfe leisten oder Projekte der Entwicklungszusammenarbeit durchführen, etwa im Gesundheits- oder Ausbildungssektor. In den 1990er Jahren wurde das Bewusstsein dafür geschärft, dass jede Hilfe ungewollt auf Konfliktdynamiken einwirken kann. Die Beschlagnahmung von Nahrungsmittelhilfe durch Kriegsherren in Somalia ist dafür ein Beispiel. Um solche schädlichen Auswirkungen zu vermeiden, findet der unter Federführung von Mary Anderson entwickelte „Do no harm“-Ansatz breite Anwendung. Dies ist ein Leitfaden für die konfliktsensible Planung von Hilfsmaßnahmen – sie sollen Kräfte stärken, die Gesellschaften in Konfliktgebieten verbinden, nicht solche, die sie entzweien. Die Forderung nach konfliktsensibler Entwicklungszusammenarbeit ist zu einem wichtigen Thema der zivilen Friedensförderung geworden.

Davon zu unterscheiden sind zum anderen Organisationen, die spezifisch an der Vermeidung und Lösung von Konflikten arbeiten („working on conflict“). Sie versuchen zum Beispiel, die Beziehung zwischen Konfliktparteien zu verbessern oder die Toleranz gegenüber Minderheiten zu fördern, um eine friedliche Konfliktlösung zu ermöglichen. Zum Kern der zivilen Friedensförderung gehören Dialogprozesse, die oft in sich ergänzende „Tracks“ (Ebenen) aufgeteilt werden. Track 1 bezeichnet Interventionen auf höchster Hierarchiestufe, das heißt die Vermittlung zwischen staatlichen Konfliktparteien. Beispiele dafür sind die Vermittlung von US-Präsident Jimmy Carter zwischen Israel und Ägypten 1979 und die jüngste Mediation der Regierung Burkina Fasos im Konflikt in der Elfenbeinküste. Als Vermittler treten oft auch nichtstaatliche Parteien auf. Genannt werden können hier die Vermittlungsversuche der Berghof Stiftung in Sri Lanka und die erfolgreiche Mediation von Marti Ahtisaari und seiner Conflict Management Initiative im Aceh-Konflikt 2005, für die er 2008 den Friedensnobelpreis erhalten hat. Man unterscheidet in der offiziellen Konfliktvermittlung nach Methoden und Mitteln der Drittparteien: Vermittler „mit Muskeln“, meist große Staaten, nutzen ihre Machtposition und setzen gezielt Drohungen und Anreize ein, um ein Abkommen zu erreichen. „Ermöglichende“ (facilitative) Mediatoren, oft kleine Staaten oder NGOs, konzentrieren sich dagegen darauf, die Kommunikation zwischen Parteien zu fördern. Allenfalls machen sie kreative Kompromissvorschläge, ohne aber Druckmittel einzusetzen.

Initiativen auf der zweiten Ebene (Track 2) unterscheiden sich von denen auf der ersten dadurch, dass sie inoffizielle Vertreter aus Konfliktländern einbinden: Drittparteien bringen einflussreiche Persönlichkeiten und Meinungsführer wie Politiker, Akademikerinnen, Vertreter von NGOs, Journalisten oder Religionsführer der verschiedenen Seiten mit dem Ziel zusammen, den Austausch und das gegenseitige Verständnis zu fördern sowie Optionen zur Lösung von spezifischen Problemen zu erarbeiten. Informelle Track 2-Prozesse kommen besonders zur Geltung, wenn sich offizielle Parteien Friedensverhandlungen widersetzen. Dann ist es möglich, dass der Dialog zwischen gut vernetzten Persönlichkeiten den Weg für Verhandlungen auf höchster Stufe ebnet. Dies geschah zum Beispiel, als Gespräche zwischen einem israelischen Professor und einem PLO-Vertreter schließlich 1993 in die Osloer Abkommen zwischen Israel und der PLO mündeten. Initiativen auf der dritten Ebene (Track 3) schließlich sollen Gemeinschaften und Bevölkerungsgruppen für den Frieden sensibilisieren und Unterstützung für Friedensprozesse „von unten“ aufbauen. Dazu dienen etwa Projekte an der Basis, zum Beispiel mit Jugendlichen, Frauengruppen oder lokalen Medien. Sie sollen die Fähigkeiten von Gemeinschaften stärken helfen, ihre Unabhängigkeit in Konflikten zu wahren, lokale Streitschlichtungsmechanismen zu fördern oder sich mit früheren Feinden zu versöhnen. Als Drittparteien in Track-3-Prozessen wirken oft lokale Persönlichkeiten, die die Sprache und Kultur der Beteiligten kennen.

Hilfe für heimkehrende Flüchtlinge

Ein weiteres Instrument der zivilen Friedensförderung sind themenspezifische Interventionen während Friedensverhandlungen und besonders nach der Unterzeichnung eines Abkommens – auf Englisch oft „peacebuilding“ genannt. Zum Beispiel unterstützen internationale NGOs wie das Genfer Zentrum für die demokratische Kontrolle der bewaffneten Kräfte (DCAF) Reformen des Sicherheitssektors, die auf die Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung von früheren Kämpfern folgen. Das Carter Center beobachtet Wahlen, die oft von den UN organisiert werden. Gefördert werden außerdem auch die Gründung von Institutionen, die Machtteilung und Minderheitenschutz garantieren sollen, und die Wiedereingliederung von zurückkehrenden Flüchtlingen. Schließlich unterstützen nichtstaatliche Organisationen wie das International Center for Transitional Justice Prozesse der Versöhnung und Vergangenheitsbewältigung. Im neuen Millennium ist die zivile Friedensförderung salonfähig geworden – eine Praxis mit spezialisierten Themenfeldern und gefestigten Budgets. Die von Aufschwung und Ausprobieren gekennzeichnete Phase nach dem Kalten Krieg ist vorbei. Doch manche Fragen sind weiter ungelöst. Im heutigen weltpolitischen Umfeld sind vier Aufgaben besonders wichtig.

Erstens stellt sich die Frage der Wirksamkeit der zivilen Friedensförderung. Darüber, was wo und warum funktioniert oder auch nicht, ist noch zu wenig bekannt. Es gibt interessante Ansätze wie das „Reflecting on Peace Practice“-Projekt, das betont, wie wichtig es ist, die Friedensarbeit mit Individuen und die an Strukturen zu verbinden. Von gescheiterten Friedensverhandlungen wie 2006 in Darfur kann man lernen, dass die Fähigkeit von Mediatoren, mit Druckmitteln Frieden zu schaffen, begrenzt ist.

Doch es ist wichtig, die Wirksamkeit der zivilen Friedensförderung besser zu verstehen und sie rechenschaftspflichtig zu machen. Hiermit sind weniger technische Evaluationsverfahren gemeint, als vielmehr eine kritische Perspektive und ein ehrlicher Dialog darüber, dass die zivile Friedensförderung in manchen Situationen lediglich eine begrenzte Wirkung entfalten kann. Zweitens gilt es über die Rolle von nichtstaatlichen Gewaltakteuren nachzudenken. Ein wichtiges Postulat der zivilen Friedensförderung ist, dass Friedensprozesse alle Betroffenen einbeziehen. Besonders in asymmetrischen Konflikten, in denen Macht und Legitimität zwischen den Konfliktparteien sehr ungleich verteilt sind, wird nach Möglichkeiten gesucht, nichtstaatliche Gewaltakteure einzubeziehen. Dies führt allerdings dazu, sie zu legitimieren, und kann völkerrechtlich problematisch sein, wie das Beispiel der Rebellengruppe Lord’s Resistance Army in Norduganda zeigt.

Mit militärischen Mitteln lassen sich Konflikte nicht lösen

Drittens ist wichtig, das Zusammenspiel von militärischen und zivilen Mitteln kritisch zu hinterfragen. Gerade die Entwicklung des peacekeeping und der friedenserhaltenden Einsätze hat gezeigt, dass das Militär durchaus wichtige friedensfördernde Beiträge leisten kann. Aber der Diskurs über das Konzept der „humanitären Intervention“ hat den Glauben gefördert, dass Konflikte mit militärischen Mitteln gelöst werden könnten, obwohl die Schwierigkeiten im Kosovo und insbesondere im Irak und in Afghanistan das Gegenteil beweisen. Deshalb gilt es hier das Bewusstsein zu schärfen, dass Konflikte von außen und insbesondere mit Militärinterventionen nicht gelöst werden können. Vielmehr setzt die Konfliktlösung einen am Ort gewachsenen politischen Prozess voraus, der zusätzlich international unterstützt werden kann.

Die vierte und vielleicht wichtigste Aufgabe ist, Grundsatzfragen neu zu stellen. An welchen Werten orientiert sich die zivile Friedensförderung? Welche Ziele verfolgt sie? Was ist Frieden überhaupt? Als die Institutionalisierung der Friedensförderung nach dem Kalten Krieg fortschritt, wurden diese Fragen immer weniger gestellt. Stattdessen wurde vielerorts ein technokratischer Ansatz gefördert, wonach Frieden mit Eingriffen von außen „konstruiert“ werden kann und darauf gerichtete Interventionen grundsätzlich legitim sind. Hinterfragt werden diese Annahmen von Friedensforschern wie Roland Paris, der gezeigt hat, dass viele international propagierte politische und wirtschaftliche Reformen in Ländern nach einem Gewaltkonflikt eine destabilisierende Wirkung hatten.

Grundsätzlich ist es also wünschenswert, dass in der zivilen Friedensförderung Engagierte das politische Umfeld, in dem sie sich bewegen, und die Konzepte, die ihrer Arbeit zugrunde liegen, vermehrt hinterfragen. Das bedeutet auch, Regierungen beim Wort zu nehmen und ihnen vor Augen zu führen, dass Friedensförderung und Konfliktsensitivität Bereiche wie die Handels-, Wirtschafts- und Finanzpolitik, den Waffenhandel, Militärausgaben und die Zuwanderung betreffen.

David Lanz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei swisspeace, der Schweizerischen Friedensstiftung, und Doktorand an der Universität Basel.

 

 

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