In Lehmhütten und Ministerien

Mit einem langen Händedruck verabschiedet sich Thomas Rößer von Chief Kalla. Der Clanchef der Konso hat ihn zuvor in seiner am Waldrand gelegenen Residenz ausführlich über den Konflikt zwischen seinem Stamm und den benachbarten Derashe informiert. Bei den Kämpfen Ende 2008 ging es wie so oft in dieser Gegend im Südwesten Äthiopiens um Land.

„Eine kleine Entwicklungsorganisation der Konso will sich um den Streit mit den Derashe kümmern und hat uns um Unterstützung gebeten“, erklärt Rößer. Der 33-jährige Politologe ist seit Mitte 2008 als Friedensfachkraft für den Deutschen Entwicklungsdienst (DED) im Einsatz. Das Projekt im Rahmen des Zivilen Friedensdienstes (ZFD) zielt darauf ab, in den äthiopischen Regionalstaaten SNNPR und Oromyia die Fähigkeiten der Bevölkerung zur friedlichen Bearbeitung von Konflikten zu stärken. „Ich will, dass Chief Kalla mit im Boot ist, damit die Initiative ein entsprechendes Gewicht hat“, sagt Rößer. „Abgesehen davon ist Kalla eine wichtige Kontaktperson für mich.“

Der Zivile Friedensdienst in Äthiopien will nicht nur einzelne Konflikte entschärfen helfen so wie viele andere ZFD-Vorhaben in aller Welt. Thomas Rößer und seine drei deutschen und acht äthiopischen Kollegen und Kolleginnen wollen auf politische und gesellschaftliche Strukturen einwirken mit dem Ziel, über den Einzelfall hinaus die Wahrnehmung von und den Umgang mit Konflikten zu verändern. Dazu kooperieren sie sowohl mit staatlichen Behörden als auch mit nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) und traditionellen Autoritäten wie Chief Kalla.

Rößer berät in erster Linie den staatlichen Council of Nationalities, eine Art Parlamentskammer, in der alle 56 Ethnien der SNNPR vertreten sind. Seine Kollegin Katrin Buschmann hat ihr Büro beim regionalen Dachverband der zivilgesellschaftlichen Organisationen. Sie hilft dort, die Fähigkeiten lokaler NGOs zur Konfliktbearbeitung zu verbessern. Von ihren Positionen aus können Rößer und Buschmann den Austausch zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Stellen fördern – ein wichtiges Ziel des Projekts.

Das Vorhaben bezieht auch zentralstaatliche Stellen in Addis Abeba ein. Denn ohne die läuft nichts in Äthiopien. Claudia Roos, die Programmleiterin, arbeitet im Ministerium für föderale Angelegenheiten, das einem Innenministerium vergleichbar ist. Eine weitere Fachkraft hat die Aufgabe, Kontakte zwischen der zweiten nationalen Parlamentskammer in der Hauptstadt, in der alle äthiopischen Ethnien sitzen, und zivilgesellschaftlichen sowie staatlichen Kräften im Projektgebiet im Süden auszubauen. Das soll helfen, Konflikte an der Grenze zwischen den Regionalstaaten SNNPR und Oromyia zu lindern.

Unverzichtbar sind die äthiopischen ZFD-Fachkräfte, die den deutschen Mitarbeitern zur Seite stehen, sagt Claudia Roos. Diese so genannten „Counterparts“ bilden die Schnittstellen zwischen den Deutschen und den staatlichen und nichtstaatlichen Institutionen. Thomas Rößer drückt es so aus: „Ich bringe letztlich nur Ideen ein. Mein Counterpart kümmert sich dann im Hintergrund darum, dass sie bei den entscheidenden Leuten ankommen.“

Das ist nicht immer einfach, „denn manche Vorschläge der ausländischen Experten passen einfach nicht in den lokalen Kontext“, sagt Atkilt Daniel, der Counterpart von Claudia Roos. Umgekehrt seien die Deutschen mit Vorstellungen der Äthiopier manchmal nicht einverstanden. „Zum Beispiel hält die Regierung Volksabstimmungen für ein gutes Instrument zur Lösung von Grenzstreitigkeiten. Die deutschen Fachkräfte sind da skeptisch, weil es Konflikte zusätzlich anheizen kann“, erklärt Atkilt.

Voraussetzung für einen erfolgreichen Zivilen Friedensdienst ist es, dass er seine Möglichkeiten richtig einschätzt. Programmleiterin Roos war zehn Monate lang in Äthiopien unterwegs, um geeignete Konflikte und Regionen zu finden. Ein bereits geplantes ZFD-Projekt in den Regionalstaaten Somali und Afar prüfte sie erneut, äußerte sich aber skeptisch und entwarf stattdessen ein neues Vorhaben. „In Somali und Afar hätte es keine Anhaltspunkte für einen Personaldienst wie dem ZFD gegeben. Die Konflikte dort sind einfach zu gefährlich“, sagt Roos. Die gründliche Vorbereitung sei nötig gewesen, um ein gutes und vor allem realistisches Konzept auszuarbeiten, betonen Roos wie auch Hartmut Tröger, der DED-Landesdirektor für Äthiopien. „Es wäre ein echter Erfolg, wenn wir der Regierung hier zeigen könnten, dass zivile Ansätze der Konfliktbearbeitung mit Beteiligung von NGOs und Gemeinden die Situation auch in ihrem Sinne verbessern können“, erklärt Tröger.

Derweil erläutert Thomas Rößer den Viehhirten im staubigen Niemandsland zwischen Äthiopien und Kenia die Grenzen des Zivilen Friedensdienstes. In der dunklen Lehmhütte beim Stamm der Turkana staut sich die heiße Luft wie in einem Backofen. Die Stammesältesten sitzen auf einem Bett, schieben sich hin und wieder ein paar berauschende Khat-Blätter in den Mund und sagen dem Besuch die Meinung: Die Weißen kämen immer nur und redeten. Aber den Frieden hätten sie ihnen noch nicht gebracht. Rößer überlegt einen Augenblick und erwidert dann: „Wir können euch keinen Frieden bringen. Den müsst ihr und die anderen Stämme schon selbst schließen.“

Tillmann Elliesen 

 

 

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