Genf (epd). Der scheidende Hochkommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte spricht für gewöhnlich mit monotoner Stimme. Die Botschaften aber, die Hochkommissar Seid Ra'ad al-Hussein (54) verbreitet, haben es in sich. Noch bevor Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt wurde, warnte der jordanische Prinz Seid vor gefährlichen Charakterzügen des Milliardärs aus New York. Beim letzten Pressegespräch vor Ende seiner Amtszeit nahm er am Mittwoch Nationalisten und Populisten weltweit ins Visier: Mit Blick auf die ausländerfeindlichen Aufmärsche in Chemnitz forderte Seid eine mutige und klare Gegenwehr.
Im Laufe seiner Amtszeit wurde Seid immer wieder konkret. Dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban, der sein Land strikt gegen Migranten abschottet, warf er offenen Rassismus vor. Und dem Präsidenten der Philippinen, Rodrigo Duterte, der öffentlich zum Mord an Drogendealern aufgerufen hat, empfahl Seid, sich in psychiatrische Behandlung zu begeben. Auch andere Politiker, die sich um die Menschenrechte nur wenig scheren, greift er regelmäßig an: vom russischen Präsidenten Wladimir Putin über den syrischen Machthaber Baschar al-Assad bis hin zu den autoritären Führungen in Myanmar und China.
Künftig aber wird Seid, Mitglied des jordanischen Königshauses, nicht mehr offiziell klare Kante zeigen können - zumindest nicht mehr als oberster Verteidiger der Menschenrechte im UN-System. Zu Ende August endet die vierjährige Amtszeit des Karrierediplomaten als Chef des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte in Genf. Seid bewarb sich nicht um eine zweite Amtszeit. Die ehemalige chilenische Präsidentin Michelle Bachelet übernimmt seine Nachfolge.
Widerborstiger Jordanier
Nach Seids eigenem Bekunden formierten sich in den Hauptstädten der wichtigsten UN-Mitgliedsländer zu starke Widerstände gegen seine Person. Zumal die Trump-Regierung wollte den widerborstigen Jordanier loswerden. "Ich hätte mich selbst in psychiatrische Behandlung begeben müssen, wenn ich geglaubt hätte, dass ich noch einmal erfolgreich kandidieren könnte", sagt Seid.
Der Hochkommissar und seine rund 2.000 Mitarbeiter, die in der Genfer Zentrale, in rund 30 Büros in verschiedenen Ländern und auch in UN-Friedensmissionen wirken, sollen Verletzungen der Menschenrechte auflisten und Beweise gegen mutmaßliche Täter sammeln. Sanktionen oder Strafen gegen Verbrecher kann das Hochkommissariat nicht verhängen - die stärkste Waffe der Menschenrechtler ist und bleibt das Wort.
Dieses Instrument setzte der Hochkommissar bis zum Schluss ein. Nach Seids letzter Rede vor dem UN-Menschenrechtsrat, bei der er vor einem Anschwellen des "chauvinistischen Nationalismus" warnte, erhielt er von einigen Delegationen und Nichtregierungsorganisationen stehende Ovationen - eine ungewöhnliche Geste in einem Forum der Weltorganisation. "Er beweist in vielen Situationen Mut und zeigt den Machthabern die Stirn", sagt der Menschenrechtsaktivist und frühere UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Jean Ziegler.
Verbale Abrechnungen
Seid wagte sich sogar so weit vor, dass sein Chef, der UN-Generalsekretär, ihn öffentlich in Schutz nehmen musste. So prangerte Seid erst unlängst in einem Bericht die schweren Menschenrechtsverletzungen im indischen Kaschmir an und verlangte eine internationale Untersuchungskommission. Der Protest der Regierung in Neu-Delhi erfolgte postwendend. Daraufhin stellte sich Generalssekretär António Guterres vor seinen Hochkommissar. Die Forderungen Seids repräsentierten die Stimme der UN, erklärte Guterres.
Doch die verbalen Abrechnungen sorgen bei einigen Menschenrechtsexperten für Kopfschütteln. Es reiche nicht aus, dass ein UN-Hochkommissar die Welt in "gut" und "schlecht" unterteile, schreibt der UN-Sonderberichterstatter für Folter, der Schweizer Nils Melzer. Persönliche Attacken und öffentliches Anprangern führten nicht zu dem gewünschten Erfolg. Vielmehr müsse der Hochkommissar harte Überzeugungsarbeit leisten, betont der renommierte Jurist, der sich auch selbst um die Nachfolge Seids beworben hatte. Alle Regierungen müssten einsehen, dass die Einhaltung der Menschenrechte in ihrem ureigenen Interesse liege.
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