Anfang Juli hatte der Fall für Schlagzeilen gesorgt. Unter dem Vorwurf, Babys an kinderlose Paare verkauft zu haben, nahm die Polizei eine Mitarbeiterin und die leitende Schwester eines Heims für ledige Schwangere in Ranchi im indischen Bundesstaat Jharkhand fest. Die Behörden ließen das Heim schließen und gaben die 22 dort lebenden Kinder in staatliche Obhut. Auch die alleinstehenden Frauen und Mütter, die dort Unterschlupf gefunden hatten, mussten die Einrichtung verlassen.
Viele Vorwürfe erwiesen sich im Laufe der Ermittlungen als haltlos, bis auf einen Fall, bei dem ein Neugeborenes für umgerechnet 1500 Euro verkauft worden sein soll. Die Mitarbeiterin, die nicht dem von Mutter Teresa gegründeten Orden angehört, hatte gegenüber der Polizei eingeräumt, das Kind mit Einwilligung der Mutter und hinter dem Rücken der Schwestern an ein Paar verkauft und das Geld mit der Mutter und dem Wachmann des Krankenhauses geteilt zu haben.
Obwohl den Schwestern keine Mitschuld nachgewiesen werden konnte, schlugen die Wellen in ganz Indien hoch. Ein Sprecher der hindunationalistischen Partei BJP verlangte harte Strafen gegenüber dem Heim, „weil es Fälle von sexuellem Missbrauch an minderjährigen Mädchen“ vertusche. Die Polizei forderte, die Konten des Ordens in Indien einzufrieren. Mitte Juli ordnete die Zentralregierung in Neu-Delhi an, alle Einrichtungen der Missionarinnen der Nächstenliebe, so der offizielle Name des Ordens, zu durchsuchen.
„Die Regierung greift uns an“
Die Generaloberin des Ordens, Mary Prema Pierick, wies die Vorwürfe zurück, die Schwestern beteiligten sich an dem Kinderhandel. „Kinderhandel steht im absoluten Gegensatz zur moralischen Überzeugung des Ordens“, sagte sie und kritisierte zugleich das Komitee für Kinderwohlfahrt, das den Fall an die Öffentlichkeit gebracht hatte. Noch vor wenigen Wochen habe das Komitee das Heim in Ranchi als eine exzellente Einrichtung für Kinder gelobt. Es sei befremdlich, wie nun mit der Einrichtung umgegangen werde.
Auch die katholische Kirche im indischen Bundesstaat Jharkhand kritisierte den Umgang mit den Schwestern. „Die Regierung greift unsere Einrichtung an, um uns zu diffamieren“, sagte der Weihbischof von Ranchi, Telesphore Bilung. Der Orden sehe sich einer „Hexenjagd“ seitens der hindunationalistischen Regierung ausgesetzt. Diese versuche zu beweisen, dass Christen und ihre Einrichtungen an illegalen Aktivitäten beteiligt seien.
Der Präsident der nichtstaatlichen Organisation „Indian Christian Voice“, Abraham Mathai, nannte die Vorwürfe ebenfalls „absurd, unvernünftig und unsinnig“. Das Ziel sei es, den Orden zu diskreditieren. Vor einiger Zeit sei den Schwestern auch vorgeworfen worden, illegal zum Christentum zu bekehren. „Es ist nicht überraschend, dass die böswilligen Hintermänner dieser Vorwürfe jetzt wieder auftauchen und versuchen, die Schwestern mit zweifelhaften Vorwürfen einzusperren“, sagte Mathai.
Die Kommunisten sind auf der Seite der Ordensfrauen
Fürsprecher haben die Schwestern auch außerhalb der Kirche – etwa die Chefministerin von West-Bengalen, dem Bundesstaat, in dem der Sitz des Ordens Kalkutta liegt. Mamata Banerjee beschuldigte die Zentralregierung, „eine bösartige und verleumderische Kampagne“ gegen den Orden zu fahren. Selbst Indiens Kommunisten schlagen sich auf die Seite der Ordensfrauen und nannten die Vorwürfe „unfassbar“. „Trotz unserer ideologischen Differenzen haben wir nichts als Respekt für Mutter Teresa und ihre Organisation“, sagte der Generalsekretär der marxistischen Kommunistischen Partei Indiens, Sitaram Yechury.
Das offizielle Adoptionsverfahren dauert in Indien in der Regel sehr lange. Bis 2015 halfen die Mutter-Teresa-Schwestern Paaren, Kinder zu adoptieren. Der Vatikan unterwies den Orden, sich daraus zurückzuziehen, nachdem die indische Regierung homosexuelle Paare, Geschiedene und Alleinstehende für die Adoption von Waisenkindern zugelassen hatte. Illegale Adoptionen sind in Indien ein großes Geschäft. Nach Schätzungen der Hilfsorganisation Child Rights and You sollen landesweit allein im Jahr 2015 fast 63.000 Kinder verschwunden und vermutlich verkauft worden sein.
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