„Der Druck wächst“

UN-Nachhaltigkeitsziele
Wie kommt die Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung voran? Gespräch mit Luise Steinwachs von Brot für die Welt.

Das UN-Nachhaltigkeitsforum (High Level Political Forum – HPLF) hat sich im Juli in New York zehn Tage lang mit der Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung befasst. Es war bereits das dritte Treffen dieser Art. Auf dem jährlichen Forum diskutieren die UN-Mitgliedstaaten, wie sie die  17 Nachhaltigkeitsziele (SDGs) zur Überwindung von Hunger und Armut am besten umsetzen können. Zudem berichten sie dort über den Stand der Dinge in ihren Ländern. In diesem Jahr haben 46 Länder sogenannte freiwillige Fortschrittsberichte vorgelegt.

Deutschland hatte seinen Bericht bereits 2016 präsentiert. Die Bundesregierung ist beim HPLF durch das Umwelt- und das  Entwicklungsressort vertreten. Zur deutschen Delegation, die dieses Jahr rund 60 Mitglieder hatte, gehörten zudem Vertreterinnen und Vertreter des Bundestages, wissenschaftlicher Institutionen und nichtstaatlichen Organisationen. Luise Steinwachs war als Vorstandsmitglied von VENRO für die Delegation der Zivilgesellschaft mit dabei.

In der Abschlusserklärung des Treffens beklagen die Regierungen erneut fehlende Fortschritte beim Erreichen der SDGs und bekräftigen ihre Absicht, sich mehr anzustrengen. Hat das Treffen etwas für den Kampf gegen Armut, Hunger und Klimawandel gebracht?
Man stellt seit der Verabschiedung der SDGs nun zum zweiten Mal fest, dass es schneller gehen muss, und der Druck nimmt zu. Es herrscht eine aktionistische Stimmung. Fragen des Managements treten in den Vordergrund. Das wird etwa deutlich bei dem Ziel, die Versorgung mit sauberem Trinkwasser und sanitären Anlagen zu verbessern. In der Abschlusserklärung wird darauf hingewiesen, dass die Wasser-Ressourcen besser gemanagt werden müssen.

Was ist schlecht daran? Das bedeutet doch, es wird endlich gehandelt.
Ja, das stimmt. Aber man verliert die Ursachen aus dem Blick. Wasserknappheit und daraus resultierende Konflikte entstehen auch, weil die industrielle Bewässerungslandwirtschaft 70 Prozent der Ressourcen verbraucht. Und wenn man daran nichts ändert, nützt das ganze Wassermanagement nicht viel. Der Aktionismus führt dazu, dass wir uns vor allem auf das Messen und das Monitoring der SDGs konzentrieren. Die Machtverhältnisse, die Ungleichheit und Armut verursachen und aufrechterhalten, müssen diskutiert und in Frage gestellt werden. Dass dies zu wenig passiert, zeigt sich etwa daran, dass der Privatwirtschaft eine führende Rolle bei der Umsetzung der Agenda zugeschrieben wird. Es wird nicht thematisiert, dass sie für die gegenwärtigen Krisen mitverantwortlich ist. Auch in der Abschlusserklärung werden Zusammenhänge und Ursachen für schwierige Entwicklungen zu wenig benannt. Hier wird zum Beispiel von einer „aufkommenden Schuldenkrise“ gesprochen. Diese Krise tritt aber nicht einfach so auf, sondern es gibt Verantwortliche, vor allem in den Ländern des Nordens. Eine positive Neuerung sehe ich darin, dass vermehrt Veranstaltungen zur Verflechtung einzelner Ziele angeboten wurden. Sie beschäftigen sich mit der Kohärenz der Umsetzung und machen mögliche Konflikte deutlich. Genau hier muss weitergearbeitet werden.

Die USA und Israel haben die Abschlusserklärung nicht mit verabschiedet. Was hat das für Folgen?
Das schwächt den Stellenwert der Agenda, da sie nicht mehr von allen gemeinsam getragen wird. Hoffentlich lässt sich dieser Trend, der Ausstieg der USA aus dem Multilateralismus, durch einen starken UN-Gipfel für nachhaltige Entwicklung im kommenden Jahr etwas auffangen. Denn nachhaltige Entwicklung kann nur gelingen, wenn sich weltweit alle Länder dafür einsetzen.

Welche Rolle spielt die Agenda 2030 für die Politik in den Industrieländern – im eigenen Land und in der Entwicklungspolitik?
Die europäischen Länderberichte zeigen vor allem die Erfolge im eigenen Land. Schweden etwa wird aber nicht nur dafür gefeiert, sondern auch für das Erreichen der ODA-Quote von 0,7 Prozent und seine Entwicklungspolitik. Auch in Deutschland ist die Verflechtung der Agenda 2030 mit der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie ziemlich weit oben auf der politischen Tagesordnung. Das liegt nicht zuletzt am Druck der Zivilgesellschaft.

Und welche Relevanz hat sie in den Ländern des globalen Südens?
Die Zivilgesellschaft organisiert sich zunehmend und begleitet den Prozess. In vielen Ländern beteiligt sie sich an der Erstellung der Fortschrittsberichte. Das ist ein sehr gutes Zeichen. Neu ist außerdem die Einbindung von Regionen und Städten in die Verwirklichung der SDGs. Bei einem Forum zur lokalen und regionalen Erreichung der SDGs waren mit Berlin, Bonn und Mannheim drei deutsche Großstädte durch ihre Oberbürgermeister vertreten. New York hat als erste Großstadt vor den UN über die Umsetzung der SDGs berichtet. Wir müssen von der nationalen Ebene auf die lokale Ebene kommen.

Welchen Einfluss kann die Zivilgesellschaft beim UN-Nachhaltigkeitsforum nehmen?
Wir sind inzwischen so viele, dass wir nicht mehr alle an den Veranstaltungen teilnehmen können. Und wir haben kein Mitspracherecht wie etwa beim Welternährungsrat, wo wir Leitlinien und Empfehlungen mit entwickeln können. Das ist auch für das Nachhaltigkeitsforum zu wünschen. Wir brauchen mehr Sichtbarkeit und Einfluss in den offiziellen Verhandlungen und nicht nur in den Side-Events.

Das Gespräch führte Gesine Kauffmann.

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