Die Zeit für Studien ist vorbei

Was ist eigentlich mit E10? Als der neue Agrotreibstoff vor gut einem Jahr an die deutschen Tankstellen kam, waren Verunsicherung und Empörung groß. Im Vergleich zum herkömmlichen Super-Benzin enthält er den doppelten Anteil von Ethanol aus pflanzlichen Rohstoffen wie Rüben, Mais, Weizen oder Zuckerrohr, nämlich zehn Prozent. Das soll dazu beitragen, den Kohlendioxid-Ausstoß beim Autofahren und zugleich die Abhängigkeit von den oft politisch instabilen Ölförderstaaten zu reduzieren. Die Bundesregierung verwirklichte mit der Einführung von E10 eine Richtlinie der Europäischen Union (EU), die vorgibt, dass im Jahr 2020 zehn Prozent des Energieverbrauchs im Verkehr mit Sprit aus Pflanzen gedeckt wird.

Autorin

Gesine Kauffmann

ist Redakteurin bei "welt-sichten".

Die Politik und die Mineralölwirtschaft priesen E10 als klimafreundliche und billige Alternative zum herkömmlichen Kraftstoff. Die Autofahrerinnen und Autofahrer wollten ihn trotzdem nicht tanken – wohl vor allem aus Sorge, ob ihre Fahrzeuge ihn vertragen. Diese Bedenken sind inzwischen laut Mineralölwirtschaft zerstreut. Der Anteil der E10-Fahrerinnen und Fahrer hat sich bis Dezember 2011 auf 11,6 Prozent erhöht. Das ist immer noch eher bescheiden, doch die Diskussion über Agrotreibstoffe und ihre Nebenwirkungen ist weitgehend aus der Öffentlichkeit verschwunden. Leider. Denn die schwerwiegenderen Bedenken gegen E10 richten sich gegen die Folgen für die Umwelt und die Landwirtschaft und sind keineswegs ausgeräumt. Der vermeintliche Biotreibstoff ist eine Mogelpackung. Schlimmer: Die ehrgeizigen Produktionsziele der westlichen Regierungen gefährden die Existenz zahlreicher Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern.

Wo Energiepflanzen wachsen, ist kein Platz mehr für Nahrungsmittel

Laut Studien steigt bei E10 der Benzinverbrauch und häufigere Tankstopps werden nötig – schlecht für Umwelt und Geldbeutel. Andere Untersuchungen belegen, dass Agrotreibstoffe für das Klima schädlicher sind als das übliche Benzin, wenn man die Folgen sogenannter indirekter Landnutzungsänderungen in ihre Ökobilanzen einrechnet: Energiepflanzen verdrängen den Anbau von Nahrungsmitteln auf andere, zuvor nicht genutzte Flächen wie Wald oder Weiden und dabei wird Kohlendioxid freigesetzt. Ganz zu schweigen davon, dass in armen Ländern für riesige Plantagen von Energiepflanzen Menschen von ihrem angestammten Land vertrieben werden. Das gilt nicht nur für Bioethanol, sondern auch für Biodiesel, der vor allem aus Ölpalmen gewonnen wird. Ökonomen und Landwirtschaftsexperten sind sich außerdem weitgehend einig, dass die Ausweitung der Flächen für „Biosprit“ weltweit zum Anstieg der Nahrungsmittelpreise beiträgt. Energiepflanzen beanspruchen fruchtbares Land und Wasser. Wo sie wachsen, ist kein Platz mehr für Grundnahrungsmittel wie Mais oder Weizen.

Die Bundesregierung hat im Januar einen Förderschwerpunkt ins Leben gerufen, in dessen Rahmen neue Studien die Nachhaltigkeit und die Emissionen von Agrotreibstoffen sowie die sozio-ökonomischen Auswirkungen ihres Anbaus untersuchen sollen. Damit ist sie reichlich spät dran. Welche neuen Erkenntnisse sollen diese Untersuchungen bringen? Alle Aspekte sind ausreichend erforscht – nicht zuletzt vom Wissenschaftlichen Beirat Globale Umweltveränderungen der Bundesregierung selbst. Jetzt geht es darum, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. So sollten die Produktionsziele für Agrotreibstoffe eingefroren sowie verbindliche Sozialstandards für die Produktion und den Import solcher Treibstoffe in die EU-Richtlinie und die deutsche Verordnung aufgenommen werden, wie es Umwelt- und Entwicklungsorganisationen fordern.

Steuer- und Subventionspolitik müssen geändert werden

Darüber hinaus sollte die Entwicklung und die Herstellung von Biokraftstoffen der sogenannten zweiten Generation aus Abfällen, Ernteresten oder Algen gefördert werden. Dafür ist allerdings eine Änderung der Steuer- und Subventionspolitik nötig. Solange westliche Regierungen die erste Generation der Agrotreibstoffe unterstützen, haben die Produzenten keinen Anreiz, umwelt- und sozialverträglichere Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. In den USA sehen Umweltorganisationen einen kleinen Lichtblick: Zum Ende des vergangenen Jahres sind Steuervergünstigungen von jährlich sechs Milliarden US-Dollar für die Produktion von Ethanol aus Mais ausgelaufen. Sie hoffen nun darauf, dass die US-Regierung ihre Agrosprit-Politik überdenkt und neu ordnet. Auch in Europa ist es dafür höchste Zeit. Agrotreibstoffe der ersten Generation sollten als Übergangstechnologie betrachtet werden, die es schnellstens zu ersetzen gilt.

 

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