Im April treffen sich die zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer in London, um Maßnahmen gegen die Finanzkrise zu diskutieren. Die globalisierungskritische Bewegung protestiert dagegen, dass auf dem geplanten G-20-Gipfel die Verursacher der Krise weitgehend unter sich bleiben. Auf den Alternativveranstaltungen zum diesjährigen Weltwirtschaftsforum (WEF) Ende Januar in Davos forderten viele den „Systemwechsel".
Seit Jahren haben die Globalisierungskritiker das WEF und die Gipfel der G-8 oder G-20 im Visier. In der Finanzkrise sehen sie ihre Skepsis bestätigt: Die „selbsternannte Elite" habe die Krise verursacht, sagt Maurizio Coppola von attac-Schweiz. Es stehe ihr deshalb nicht zu, über die Gestaltung der Zukunft zu bestimmen. Die Frage nach der Legitimität solcher Treffen sei berechtigter denn je. „In keinem juristischen Verfahren der Welt bestreitet der Angeklagte seinen eigenen Prozess und spricht sich unter dem Beifall der Richter schließlich selbst frei."
Während die Wirtschaftsführer am WEF über mögliche Korrekturen diskutierten, lud attac zur Grundsatzdebatte über das Wirtschaftssystem. Die Diskurse zur Überwindung der Krise beschränkten sich auf die Neuregulierung des Kapitalismus, kritisierten die Teilnehmer der Veranstaltung „Das Andere Davos". Doch die Lösung liege nicht in der Reparatur, sondern im Systemwechsel. Attac fordert etwa die Kollektivierung der Banken.
Deutliche Worte waren auch auf der Demonstration gegen das WEF in Genf und auf der Veranstaltung „Public Eye" zu vernehmen. „Das Weltwirtschaftsforum sollte verboten werden", sagte Jean Ziegler, Mitglied des Beratenden Ausschusses des UN-Menschenrechtsrates, mit Verweis auf die Finanzkrise: „Es ist ein Tanz der Vampire." Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer von der Sozialdemokratischen Partei (SP) bezeichnete das WEF als „windigen Lobbyverein für das konkursite Geschäftsmodell Neoliberalismus".
Die Erklärung von Bern (EvB) forderte bei der Verleihung der „Public Eye Awards" internationale Regeln zur Unternehmensverantwortung. „Die Finanzkrise gibt uns recht", sagt EvB-Sprecher Oliver Classen. Ein Grund für Genugtuung sei dies jedoch nicht: „Die Kritik ist notwendiger denn je - und wirksamer denn je." Die Zeiten des Dialogs mit den Wirtschaftsführern, wie ihn die Organisatoren des „Open Forum" im Rahmen des WEF anstreben, sind für Classen vorbei.
Noch während des Weltwirtschaftsforums richteten die globalisierungskritischen Organisationen das Augenmerk bereits auf den anstehenden G-20-Gipfel in London, wo Entscheide fallen könnten. Es gelte zu verhindern, dass die reichsten Länder die Regeln einmal mehr unter sich ausmachen, sagt Peter Niggli, Geschäftsleiter von Alliance Sud, der Arbeitsgemeinschaft der Schweizer Hilfswerke. Die Vereinten Nationen müssten das Zepter übernehmen. Ansonsten werde sich am gegenwärtigen „Schattenbankensystem" nichts ändern.
Anzeichen für einen „neuen Sozialismus", wie ihn lateinamerikanische Staatschefs am Weltsozialforum in Belém verkündeten, sieht Niggli nicht. „Realistischer ist es, uns am Anfang eines neuen Regulationsregimes des Kapitalismus zu sehen", sagt er. Nach einer Ära maximaler Unternehmensfreiheit stünden die Chancen aber nicht schlecht, dass nun die öffentlichen Interessen und die Bedürfnisse der Menschen mehr ins Zentrum rückten. „Ohne Druck von unten wird das allerdings nicht geschehen", ist Niggli überzeugt.
Charlotte Walser, InfoSüd