Ameisen in den Hosen der Mächtigen

Kirchliche Werke in der Schweiz arbeiten seit 40 Jahren über­konfessionell zusammen

Von Urs A. Jaeggi

Die Kooperation der protestantischen Entwicklungsorganisation Brot für alle mit dem römisch-katholischen Hilfswerk Fastenopfer in der Schweiz feiert ihr 40. Jubiläum. Zu ihrem Erfolg hat das Engagement in Gemeinden erheblich beigetragen, gefördert vom alltäglichen Miteinander der Konfessionen und von Pragmatismus. Die Zusammenarbeit war aber nie konfliktfrei und wird von den Kirchenleitungen immer noch mit einer gewissen Distanz beäugt.

Im Februar haben Brot für alle und Fastenopfer zum 40. Mal gemeinsam ihre jährliche Informations- und Spendenkampagne gestartet. Am Anfang der ökumenischen Erfolgsgeschichte standen das 2.Vatikanische Konzil und die Vollversammlung 1968 des Ökumenischen Rates der Kirchen in Uppsala. Beide bekannten sich zu einer vertieften Zusammenarbeit und zum Kampf gegen Armut und Ungerechtigkeit. Zweifellos hat zudem das gesellschaftliche Umfeld den Aufbruch geprägt: einerseits die 1968er Bewegung, andererseits die zunehmende Wahrnehmung der sozialen und politischen Probleme infolge der Entkolonialisierung in Afrika, Asien und Lateinamerika. Dennoch ist es erstaunlich, dass Brot für alle und Fastenopfer, die erst zu Beginn der 1960er Jahre aus entwicklungspolitischen Kampagnen hervorgegangen waren, so schnell zur überkonfessionellen Zusammenarbeit fanden. Zwar verfolgten sie mit ihrem Engagement für eine gerechtere Welt die gleichen Ziele. Aber ihre Strukturen könnten unterschiedlicher kaum sein. Das Fastenopfer ist ein aus dem „Missionsjahr" der katholischen Jugendverbände hervorgegangenes, in Entwicklungsländern wie in der Schweiz operationell tätiges Hilfswerk mit eigenen Projekten. Brot für alle, bis 1991 Brot für Brüder, war ursprünglich eine Aktion mit dem Auftrag, für das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen der Schweiz (HEKS) und die in Übersee bereits tätigen evangelischen Missionswerke über den Weg der Information und Sensibilisierung der Bevölkerung Mittel zu beschaffen. Daraus hat sich so etwas wie der entwicklungspolitische Arm der evangelischen Hilfswerke und Missionen entwickelt.

Die ökumenische Zusammenarbeit entstand dabei nicht auf Weisung „von oben", also durch Verfügungen der Kirchenleitungen. Sie war vielmehr das Produkt theologischer und sozialethischer Überlegungen von den Kirchen nahestehenden engagierten Persönlichkeiten und Theologen, die sich angesichts der politischen und gesellschaftlichen Realität Gedanken über den Auftrag ihrer Kirchen machten. Ihre Ideen stießen in Kirchgemeinden und Pfarreien auf offene Ohren. Dabei kam ihnen entgegen, dass in der kleinräumigen Schweiz das Neben- und Miteinander verschiedener Konfessionen längst zum Alltag gehört. Hinzu kam die Einsicht, dass ein gemeinsames Vorgehen nach dem Prinzip mehr Masse, mehr Geld, mehr Macht nicht nur die Einflussmöglichkeiten für eine nachhaltige Entwicklungspolitik erhöhte, sondern auch die Informations-, Bildungs- und Sensibilisierungsarbeit wesentlich erleichterte und die Kosten reduzieren half. Dass Bundesbeiträge für bestimmte Projekte gerade im Bereich der Informationsarbeit oder der Entwicklungspolitik leichter oder gar nur zu erhalten waren, wenn die beiden Werke sie als Partner einwarben, förderte die ökumenische Zusammenarbeit zusätzlich.

So gesehen entsprang die ökumenische Zusammenarbeit auch einer Art Zweckbündnis. Es fand seinen Ausdruck in der gemeinsamen Wahl der Aktionsthemen und in der Produktion der Broschüre „Agenda" zum jeweiligen Kampagnenthema, die in Millionenauflage und nach und nach in allen vier Schweizer Amtssprachen erschien und auch in kirchenfernen Kreisen zu einem Markenzeichen wurde. Materialien zur Bildungsarbeit wurden ebenfalls gemeinsam erarbeitet. Schon bald entschlossen sich vielerorts Pfarreien und Kirchgemeinden zur gemeinsamen Durchführung der Kampagne und feierten ökumenische Gottesdienste, deren Höhepunkte nicht selten gemeinsame Abendmahlsfeiern waren.

Konfliktfrei verlief die Zusammenarbeit jedoch nie. Besonders das gemeinsame Abendmahl stieß in konservativen katholischen Kreisen auf scharfe Kritik. Der für das Fastenopfer zuständige Bischof zensierte außerdem ab und zu ein Blatt der Agenda, wenn es seiner Meinung nach der kirchlichen Lehre widersprach. Auch die Integration des dritten landeskirchlichen Hilfswerks, das christkatholische (altkatholische) „Partner sein", ging 1993 nicht widerstandslos über die Bühne. Zu heftigen Auseinandersetzungen führte gelegentlich auch die Wahl der Kampagnethemen. So konnte das für 2003 geplante Jahresthema „Gesundheit" nicht verwirklicht werden. Denn Brot für alle hatte darauf bestanden, die für die katholische Kirche heiklen Punkte Geburtenkontrolle und Verhütungsmittel im Hinblick auf die Prävention von HIV/Aids aufzugreifen.Ein hohes Maß an Diskurs- und Konfliktfähigkeit sowie Respekt und Toleranz haben in solchen Phasen die Zusammenarbeit eher gestärkt als geschwächt. Während die Kirchenleitungen die Ökumene nur zögerlich anstreben, wurde sie in den Hilfswerken konsequent praktiziert. Bei all dem behielten sie eine weitgehende Eigenständigkeit bei. „Gemeinsam informieren, getrennt sammeln" hieß die Devise. Sie half und hilft auch heute noch mit, die beträchtlichen Unterschiede in Führung, Auftrag und Struktur zu überwinden und die konfessionelle Identität sowohl an der Basis als auch gegenüber den Kirchenleitungen zu wahren. Ökumene wird nicht als Durchmischung verstanden, sondern als eine Arbeit mit vereinten Kräften auf ein gemeinsames Ziel hin. Dieses wurde 1986 im „Manifest 2000" festgeschrieben als Glauben, „dass es Frieden auf Erden nur gibt, wenn nicht nur die zermürbende Spannung zwischen Ost und West, sondern auch die mörderische Kluft zwischen Nord und Süd überwunden wird".

Die kirchlichen Hilfswerke in der Schweiz haben deshalb auch immer wieder entwicklungspolitische Kampagnen initiiert oder unterstützt. Sie verlangten bessere Rahmenbedingungen zur Verminderung der Armut und für eine nachhaltige Entwicklung, wozu auch Verhaltensänderungen im eigenen gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Umfeld gehören. Beispiele dafür waren der Kampf gegen Waffenlieferungen in Entwicklungsländer oder die Kritik am Verhalten schweizerischer Banken während der Apartheid in Südafrika. Mit der Gründung einer Importorganisation für Waren aus der Dritten Welt, der OS3 (heute claro), wurde schon 1977 der Grundstein für den fairen Handel mit gelegt. Und mit der Petition „Entwicklung braucht Entschuldung" gelang es, das Parlament aus Anlass des 700-Jahr-Jubiläums der Eidgenossenschaft 1991 zur Freigabe von 700 Millionen Franken zur Schuldentilgung hoch verschuldeter Entwicklungsländer zu bewegen.

Wie nicht anders zu erwarten, stieß das politische Engagement der kirchlichen Hilfswerke mit dem Ruf nach Systemveränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft vor allem in rechtsbürgerlichen Kreisen auf scharfe Kritik. Den „links unterwanderten" Hilfswerken wurde mit dem Zudrehen des Geldhahns gedroht, den Kirchen mit dem Austritt, falls sie ihre entwicklungspolitischen Organisationen nicht unter Kontrolle brächten. Der Versuchung, sich und damit ihren christlichen Auftrag aus finanziellen Gründen den Machtverhältnissen anzupassen, erliegen die Kirchenleitungen immer wieder. Es gehört zur Erfolgsgeschichte der ökumenischen Zusammenarbeit, dass die drei Hilfswerke der Versuchung stets die Stirn bieten. Aktuellen Zündstoff liefert der Streit um die Berufung eines Managers von Nestlé in den Stiftungsrat von HEKS. Dabei hilft ihnen eine starke kirchliche Basis, die will, dass die von einem Theologen formulierte Ermunterung verwirklicht bleibt: „Seid Ameisen in den Hosen der Mächtigen!"

Urs A. Jaeggi ist Journalist im Ruhestand und war von 1990 bis 2004 Kommunikations-beauftragter von Brot für alle in Bern.

 

 

 

erschienen in Ausgabe 3 / 2009: Südafrika: Neue Freiheit, alte Armut
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