Die Leitlinien nennen als vorrangige Handlungsfelder die Stärkung von bürgerschaftlichem Engagement in Hessen, mehr Engagement für Fairen Handel und nachhaltigen öffentlichen Einkauf sowie eine bessere Verknüpfung von Migration, Integration und Entwicklungszusammenarbeit. Außerdem wolle das Bundesland Unternehmen für die Entwicklungszusammenarbeit sensibilisieren und sie mit entwicklungspolitischen Akteuren vernetzen, erklärte Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir bei der Vorstellung der Leitlinien in Wiesbaden.
Die schwarz-grüne Landesregierung in Wiesbaden investiert in diesem und im nächsten Jahr jeweils 860.000 Euro in ihr Nord-Süd-Engagement. Das ist eine deutliche Steigerung: 2012 waren es nur 260.000 Euro. Ein großer Teil der Mittel fließt in Projekte zur Bekämpfung von Fluchtursachen. Hessen engagiert sich zwei Jahre lang mit jeweils 400.000 Euro für die Ausbildung von Fachkräften in Albanien. Im Rahmen eines bereits 2015 verabschiedeten Aktionsplans erhalten Studierende Ausbildung, Qualifizierung und Hilfen zur Existenzgründung.
Perspektiven in der Heimat finden
Im Auftrag der Landesregierung vermittelt die Organisation World University Service (WUS) Praktika unter anderem bei deutschen Unternehmen in Albanien und bietet Kurse für Existenzgründer an. Während der Praktika werden die Studierenden sechs Monate lang finanziell unterstützt. Etwa 150 junge Frauen und Männer hätten bisher ein Praktikum gemacht, fast alle seien anschließend mit längerfristigen Arbeitsverträgen übernommen worden, betont Kambis Ghawami von WUS. Im zweiten Albanien-Projekt geht es um berufliche Qualifizierung für junge Erwachsene; sie sollen ein Handwerk erlernen. Beide Projekte sollen Anreize dafür schaffen, dass junge Albaner in ihrer Heimat berufliche Perspektiven finden.
2017 hat Hessen im Nordirak rund eine Million Euro investiert, um syrische Flüchtlinge zu versorgen. Mit dem Geld wurde in der Provinz Dohuk der Bau von Unterkünften, eine Schule sowie ein Waisenhaus in Zusammenarbeit mit der Christlich-Ezidischen Gesellschaft finanziert. In der Provinz haben seit 2016 rund 900.000 Kinder, Frauen und Männer aus Syrien Zuflucht gefunden. Die Projekte wurden im vergangenen Jahr beendet, und das Bundesland plant kein weiteres Engagement. Eine Zusammenarbeit mit dem Land Baden-Württemberg, das sich seit Dezember 2015 wesentlich kontinuierlicher mit Ausbildungsprojekten in Dohuk engagiert, besteht nicht.
Neben den Projekten in Albanien und Irak finanziert Hessen Initiativen wie das Entwicklungspolitische Netzwerk Hessen (EPN) und übernimmt einen Teil der Kosten für vier Eine-Welt-Promotoren im Bundesland. Sie sollen Themen wie Fairer Handel, Globales Lernen und interkulturelle Öffnung voranbringen.
Nur Kann-Bestimmungen bei der öffentlichen Vergabe
Andrea Jung vom EPN begrüßt, dass die neuen Leitlinien mit Beteiligung der Zivilgesellschaft zustande gekommen sind. Allerdings seien sie ein Beschluss der Landesregierung und nicht des Parlaments. Als Beschluss des Landtags hätten sie eine breitere Verankerung im Bundesland, meint Jung mit Blick auf die Landtagswahlen im Oktober 2018. Darüber hinaus fehle eine ressortübergreifende Koordination für die hessische Entwicklungszusammenarbeit.
Derzeit ist vieles noch vage. Beim öffentlichen Einkauf müssen ökologische und soziale Kriterien nicht verpflichtend berücksichtigt werden. Im Vergabegesetz stehen lediglich Kann-Bestimmungen. Für die angestrebte stärkere Vernetzung von entwicklungspolitischen Akteuren und der hessischen Wirtschaft ist noch kein Format erkennbar. Im Rahmen eines Programms des Bundesentwicklungsministeriums arbeiten auch in Hessen sogenannte EZ-Scouts an ausgewählten Industrie- und Handelskammern. Sie sollen ein nachhaltiges unternehmerisches Engagement in Entwicklungs- und Schwellenländern fördern und die Firmen stärker für Sozial- und Umweltstandards gewinnen.
Für eine Kooperation mit der Zivilgesellschaft braucht es aber mehr als Absichtserklärungen. Das entwicklungspolitische Netzwerk Hessen ist bereits auf die EZ-Scouts zugegangen, um sich darüber abzustimmen, wie gemeinsam an der Unternehmensverantwortung gearbeitet werden kann. „Leider hat sich aus dieser Initiative keine weitere Zusammenarbeit ergeben“, sagt Andrea Jung vom EPN.
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