Landreform ohne Plan

Südafrika
Die Landreform hat in Südafrika bislang nur wenig gebracht. Jetzt prüft das Parlament die Enteignung weißer Farmer. Eigentlich wären aber ganz andere Schritte nötig.

Nach den ersten demokratischen Wahlen 1994 startete Südafrika eine ehrgeizige Landreform mit dem Ziel, die Enteignung indigener Bevölkerungsgruppen durch weiße Siedler zu korrigieren. Das Budget für die Landreform schwankte immer um die 0,4 Prozent des Staatshaushalts; die Landfrage wurde nicht gerade vordringlich behandelt. Denn die südafrikanische Wirtschaft wird heute nicht von der Landwirtschaft, sondern vom Dienstleistungssektor, vom Bergbau und der verarbeitenden Industrie getragen.

Doch plötzlich steht die Landfrage ganz oben auf der politischen Tagesordnung. In den vergangenen Wochen ist heftiger Streit ausgebrochen, nachdem die Regierungspartei ANC im vergangenen Dezember eine Resolution verabschiedet hat, laut der weiße Farmer entschädigungslos enteignet werden sollen, um das Land an die schwarze Bevölkerung zu verteilen. Das Parlament will prüfen, ob dafür die südafrikanische Verfassung geändert werden muss. Ein Parlamentskomitee plant landesweite öffentliche Anhörungen und wird im August berichten.

Weiße Südafrikaner sind in Panik ob der Sicherheit ihrer Eigentumsrechte. Die wichtigste Oppositionspartei, die Democratic Alliance, hat Textnachrichten verschickt, nach denen der ANC und die Partei der Economic Freedom Fighters (EFF) „zusammenarbeiten, um alles Land an sich zu reißen“. Einige weiße Großfarmer sehen den Beginn eines Landraubs wie in Simbabwe.

Die Oppositionspartei EFF hat mit der Frage der Entschädigung ihre Anhänger mobilisiert

In der schwarzen Bevölkerung hingegen stieß die ANC-Resolution auf große Zustimmung. Angesichts der bitteren Geschichte großangelegter Enteignung befürworten viele schwarze Südafrikaner die Weigerung, für die Rückgabe gestohlenen Landes zu zahlen, um ihre Würde wiederherzustellen. Der ANC will ohne Zweifel politischen Boden wiedergutmachen, den er an die kleine, aber lautstarke Oppositionspartei EFF verloren hat. Seit ihrer Gründung 2014 hat sie mit der ungelösten Landfrage und vor allem mit der Frage der Entschädigung ihre Anhänger mobilisiert. Bei den für 2019 angesetzten Wahlen wird sie das zu einem zentralen Thema machen.

Die aktuelle Kontroverse enthält Risiken, aber auch Chancen für die südafrikanische Gesellschaft, die zu denen mit der größten Ungleichheit weltweit zählt und die weiter von tief sitzenden Spannungen zwischen weißer und schwarzer Bevölkerung geprägt ist. Die Gefahr ist, dass die Polarisierung die Vielschichtigkeit der Landreform verdeckt und wirksame Politik verhindert. Die Chance besteht darin, die Landfrage jetzt wieder ernst zu nehmen und an Lösungen der vielen Pro­bleme zu arbeiten, unter denen das Regierungsprogramm leidet.

Leider gründen nur wenige Beiträge zur öffentlichen Debatte auf den vorliegenden Fakten. Und schlecht informierte Kommentatoren stellen Sachverhalte oft falsch dar. Verschlimmert wird das noch dadurch, dass es für viele Aspekte der Landfrage kaum verlässliche landesweite Daten gibt.
Südafrikas Landpolitik ruht auf drei Säulen: Rückgabe, Umverteilung und eine Reform der Pachtverhältnisse. Rückgabe betrifft Leute, die Land beanspruchen, das ihnen nach dem Stichdatum Juni 1913, als die Enteignung der indigenen Bevölkerung in Südafrika per Gesetz beschlossen wurde, weggenommen wurde. Bei der Umverteilung wird Land weißer Farmer erworben und an schwarze Farmer weitergegeben, damit die es bearbeiten oder darauf leben können. Bei der Reform der Pachtverhältnisse geht es darum, die Landrechte derer zu sichern, die als Pächter von der Landwirtschaft leben, aber aufgrund von vergangener Diskriminierung bislang keine gesicherten Besitzansprüche hatten.

Praktisch null Informationen dazu, wie viele Menschen von der Reform profitiert haben

Die Landreform schleppt sich dahin: Laut der Regierung wurden bislang etwa neun Prozent des kommerziellen Agrarlandes zurückgegeben oder umverteilt; anvisiert waren einmal 30 Prozent bis 2014. Die Pachtreform war bislang bemerkenswert unwirksam; die Rechtstitel vieler armer Leute sind so unsicher wie eh und je.

Tatsächlich aber weiß niemand genau, wie gut oder schlecht die Landreform bislang gelaufen ist. Es ist unklar, wie viel Land schwarze Farmer privat gekauft und wie viel sie über die Landreform erhalten haben. Es gibt praktisch null Informationen dazu, wie viele Menschen bislang von der Landreform profitiert haben, wie das umverteilte Land genutzt wird und wie viel Einkommen es schafft.

Dennoch: Mit den vorliegenden Daten, so schlecht sie auch sind, lassen sich einige weit verbreitete Fehlurteile zur Landreform zurückweisen. Oft heißt es, die große Mehrheit derer, die eine Landrückgabe beanspruchen, entscheiden sich für eine Entschädigung statt für das Land. Das ist Unsinn. Das Bild unterscheidet sich zwischen Stadt und Land: Etwa 87 Prozent der bis zum Stichjahr 1998 vorgelegten Anträge bezogen sich auf städtisches Land. In den meisten Fällen akzeptierten die Antragsteller tatsächlich eine Bargeldentschädigung, weil eine Rückgabe praktisch unmöglich war. Anders in ländlichen Regionen: Dort hat sich die große Mehrheit der Antragsteller für die Landrückgabe entschieden. In diese Anträge waren zudem viel mehr Menschen als in den Städten involviert, weil sie meistens von Gruppen gestellt wurden.

Die weißen Südafrikaner sollten nicht versuchen, lediglich ihre Privilegien zu verteidigen

Die wichtigste irreführende „Tatsache“, die immer wieder über die Medien verbreitet wird, ist die Behauptung des früheren Landwirtschaftsministers Gugile Nkwinti, 90 Prozent der Landreformprojekte seien gescheitert. Das ist durch keinerlei Untersuchung belegt, wie Nkwinti später eingeräumt hat. Die vorliegenden Belege sprechen dafür, dass rund die Hälfte der Projekte die Lebensbedingungen der Nutznießer zumindest etwas verbessert haben. Das heißt nicht, dass sie hochproduktiv sind. Bislang ist es in Südafrika nicht gelungen, das Potenzial der Landreform und der landwirtschaftlichen Entwicklung zu nutzen, um Armut und Ungleichheit zu reduzieren.

Autor

Ben Cousins

ist Senior Professor am Institut für Armut und landwirtschaftliche Fragen an der University of the Western Cape in Kapstadt.
Die derzeit heiß diskutierte Frage, wie das Land erworben und umverteilt werden soll, ist noch am leichtesten zu beantworten. Es müssten nur das winzige Budget für die Landreform erhöht und angemessene Entschädigungen im Einklang mit der Verfassung gezahlt werden. Schwieriger ist es, die Anspruchsberechtigten zu identifizieren, gut gelegenes Land zu finden, sicherzustellen, dass mit dem Land auch Zugang zu Wasser umverteilt wird, und auf dem Land und in der Stadt wirtschaftliche Aktivitäten zu fördern. Dringend nötig sind außerdem neue gesetzliche Regelungen, um die Landrechte von Pächtern in den früheren sogenannten Homelands farbiger Bevölkerungsgruppen sowie in informellen Siedlungen zu klären.

Die Aufgabe besteht darin, die politischen Probleme anzugehen, die mit der Landfrage verbunden sind – und gleichzeitig die Armut zu reduzieren. Es wird sich zeigen, ob der ANC unter dem neuen Präsidenten Cyril Ramaphosa die vielen Fehlschläge der bisherigen Landreform korrigieren wird. In der Zwischenzeit sollten die weißen Südafrikaner in die Suche nach Lösungen Energie und auch freiwillig Land investieren. Das wird helfen, ihre Zukunft in Südafrika zu sichern. Sollten sie hingegen versuchen, ihre Privilegien zu verteidigen, könnten sie alles verlieren – das ist die wichtige Lektion aus Simbabwe aus den frühen 2000er Jahren.

Aus dem Englischen vonTillmann Elliesen.

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erschienen in Ausgabe 5 / 2018: Müllberge als Goldgruben
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