Aus Scherben erblüht ein bunter Baum

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Toni Keppeler

Margarita Llort in ihrem Laden in San Salvador. In der angeschlossenen Werkstatt wird Altglas zu Deko-Objekten veredelt.

Kunst aus Altglas
Margarita Llort arbeitet mit dem, was andere wegwerfen: leere Flaschen und Gläser. Ihre farbenfrohen Werke sollen in Kürze auch in Deutschland erhältlich sein.

Recycling ist im zentralamerikanischen El Salvador für die meisten Menschen ein Fremdwort – und zwar buchstäblich: ein fremdes Wort, dessen Bedeutung sie nicht kennen. Es gibt keine Mülltrennung und keine Pfandflaschen, nicht aus Glas und schon gar nicht aus Plastik. In den Supermärkten verstauen Einpacker die Waren der Kunden in unzähligen Plastiktüten. Die werden später als Mülltüten verwendet und mit Verpackungsmaterial, Flaschen und Aluminiumdosen, mit Lebensmittelresten und sogar mit Batterien gefüllt. Der Müllwagen holt sie ab und bringt sie zur Deponie, meist eine Schlucht außerhalb der Dörfer und Städte, die im Lauf der Jahre langsam mit Abfall gefüllt wird.

Margarita Llort macht es anders: Die 72-Jährige sammelt seit Jahrzehnten Altglas. Vor 18 Jahren brachte ihr Sohn sie auf die Idee, wie sie es verwerten könnte:  zerkleinern und zu Kunsthandwerk verwandeln. Margarita Llort gründete das Unternehmen Vitrales, in dessen Ausstellungsräumen in Antiguo Cuscatlán, einem Vorort der Hauptstadt San Salvador, heute kleine Tische sowie Lampen, Schüsseln und Skulpturen stehen, alles bunt und durchscheinend, mit recyceltem Altglas als Dekoration. Der Hof des Unternehmens ist wahrscheinlich die einzige Altglassammelstelle des Landes.

Noch immer erstaunt über ihren Erfolg

Die Idee mit den Deko-Objekten lag nahe. Fernando Llort, Margaritas Cousin, ist der wohl bekannteste Künstler El Salvadors. Seine naiven Motive von Tieren des Landes, von kolonialen Dorfkirchen, Vulkanen und einfachen Bauern und Bäuerinnen, meist auf Holz oder Keramik gemalt, gehören zu den beliebtesten Souvenirs. Er stellte seine Motive der Cousine zur Verfügung. Im Gegenzug geht ein Viertel der Verkaufserlöse an seine Stiftung, die sich um den Umweltschutz kümmert.

Margarita Llort stört es nicht, letztlich die Kunst ihres Cousins zu verkaufen. „Ich habe mich nie als Künstlerin verstanden“, sagt sie. „Ich bin Handwerkerin. Ich arbeite mit meinen Händen, mit einem Glasschneider, mit Putzlappen und Klebstoff.“ Trotzdem kamen nach und nach auch eigene Motive dazu, zum Teil eher abstrakt, aber auch ein Abbild des von ihr geliebten, im Frühjahr wild blühenden Maquilishuat-Baums. Sie ist noch immer erstaunt über ihren Erfolg. „Ich habe nie verstanden, warum die Leute angefangen haben, so etwas zu kaufen“, sagt sie. „Vielleicht hat sie mein Enthusiasmus bei der Arbeit animiert.“

Ihre Firma Vitrales hat heute 25 Angestellte, ihre Objekte werden von der Regierung gerne bei Staatsbesuchen verschenkt. In ihrem Büro hängen Fotos von der ehemaligen chilenischen Präsidentin Michelle Bachelet, in der Hand einen Torogoz aus ihrer Werkstatt, den bunten Nationalvogel El Salvadors mit seinen typischen langen Schwanzfedern. Daneben ein Foto des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama mit drei kleinen durchscheinenden Szenen vom Land. Das Arrangement einer Weihnachtskrippe aus Glas hat bei einem weltweit ausgeschriebenen Wettbewerb des Vatikans den zweiten Platz belegt.

Glasfenster für Kirchen

„Angefangen haben wir mit Mosaiken auf Kaffeehaustischen, Kästchen und Anrichteplatten“, erzählt die Chefin. Dann kamen die Fernando-Llort-Motive dazu, dann Lampen im Tiffany-Stil sowie große Objekte wie ein übermannshoher Baum mit einem sich umarmenden Paar. Heute liefert Vitrales auch Sonderanfertigungen von bunten Glasfenstern für Haustüren und sogar Kirchen.

„Wir haben am Anfang viel experimentiert und vieles ging auch daneben“, erinnert sich Margarita Llort. „Wir haben gelernt, dass das Altglas blitzblank sein muss, weil jeder  Schmutzpartikel beim Brennen eine hässliche Warze ergibt.“ Sie wusste nicht, dass verschiedene Gläser verschiedene Schmelzpunkte haben und dass man in einem Objekt nur Glas mit demselben Schmelzpunkt verwenden kann. Sie belegte Kurse im Ausland, um mehr über das Schmelzverhalten und das Mischen von Farben zu lernen. Und darüber, wie man Schlieren und unterschiedliche Oberflächenstrukturen erzeugen kann.

In der Werkstatt hinter dem Ausstellungs- und Verkaufsraum stehen Margarita Llorts Öfen – sperrige Kästen aus Beton –, die sie in den USA gekauft hat. Junge Männer, meist mit Schutzbrillen gegen Glassplitter geschützt, sitzen über große Tische gebeugt. Der eine zerstößt mit einem Mörser nach Farbe sortierte Glasstücke in grobes Granulat oder zu feinem Staub. Ein anderer schneidet aus sauber geputzten Glasplatten die Schwanzfedern für den Torogoz, ein dritter lötet Metallstrukturen zusammen, die Stamm und Äste des Maquilishuat werden. Der Vogel und der Baum werden inzwischen in verschiedenen Größen in Serie hergestellt.

Die Firma will wachsen

Die Werkstattmitarbeiter bieten zudem Kurse in der Verarbeitung von Altglas an. Wer will, kann hier sein eigenes Dekorationsobjekt herstellen. Die Deutsche Schule in San Salvador und therapeutische Einrichtungen schicken regelmäßig Gruppen. Margarita Llort geht es nicht nur ums Geschäft. Aber der Verkauf ihrer Objekte ist eben doch die wirtschaftliche Basis des Unternehmens: „In El Salvador sind wir inzwischen gut bekannt, und trotzdem kämpfen wir jeden Tag ums Überleben.“

Die Firma soll deshalb wachsen, Vitrales will exportieren. „Ich kann mir vorstellen, dass wir in Umwelt- oder Eine-Welt-Läden auch in Europa einen Platz finden können“, sagt Llort. Die örtliche Vertretung der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) hat Kontakte zu Messen organisiert. Noch in diesem Jahr sollen der Torogoz und der Maquilishuat in Deutschland ausgestellt werden. „Wir sind glücklich darüber“, sagt die Verkaufschefin Carolina de Saade. „Aber wir haben keine Ahnung, wie unsere Objekte vom deutschen Publikum aufgenommen werden.“

Autorin

Cecibel Romero

ist freie Journalistin in San Salvador.
Für das angestrebte Wachstum gibt es theoretisch mehr als genug Altglas im Land. Aber das Bewusstsein, dass man Müll trennen und in Teilen wiederverwerten kann, ist in El Salvador nur sehr schwach entwickelt. Beim letzten Zensus vor elf Jahren wurden von der Müllabfuhr im ganzen Land jeden Tag durchschnittlich 2563 Tonnen Abfall eingesammelt und ungetrennt auf die Deponien gekippt. Diese Menge entspricht nach Einschätzung des Umweltministeriums etwa drei Viertel des tatsächlich anfallenden Mülls. Der Rest wird entweder im Hinterhof verbrannt oder einfach weggeworfen. Die Folge: In der Sammelstelle von Vitrales wird so wenig Altglas abgegeben, dass die Firma schon jetzt nur für die Produktion für den nationalen Markt Altglas aus dem Ausland aufkaufen muss.

Das müsste nicht so sein. Das Umweltministerium hat einen Gesetzesentwurf erarbeitet, in dem steht, dass „Müll dort getrennt werden muss, wo er entsteht, sei es in Haushalten, in Institutionen, im Handel oder in der Industrie“. Man strebe eine „bessere Qualität der Abfallstoffe“ an, die dann „zu geringen Kosten weiterverwendet oder recycelt werden können und Personen, die sich dieser Arbeit widmen, bessere Preise garantieren“. Der Entwurf liegt seit Monaten in den zuständigen Ausschüssen des Parlaments. Sollte er eines Tages Gesetz werden, fehlt immer noch das nötige Bewusstsein in der Bevölkerung. Darum kümmert sich unter anderem die Umweltstiftung von Fernando Llort, die nicht zuletzt mit den Verkaufserlösen der Altglaskunst von Vitrales gespeist wird.

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erschienen in Ausgabe 5 / 2018: Müllberge als Goldgruben
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