Zwischen Ägypten und dem Sudan wachsen die Spannungen – und sie vermischen sich mit einem seit langem schwelenden Streit über einen Staudamm, den Äthiopien am oberen Nil baut. Darin sieht Ägypten eine existenzielle Bedrohung.
Anfang Januar hat der Sudan offiziell gewarnt, es sei eine Gefahr für seine Ostgrenze, dass dort Ägypten sowie Eritrea Soldaten zusammenziehen. Ägypten ist zudem in ein umstrittenes Gebiet vorgedrungen, das sowohl Ägypten als auch der Sudan beanspruchen. Ein paar Tage danach hat der Sudan abrupt seinen Botschafter aus Ägypten abberufen. Dies war das vorerst letzte Kapitel in einem Streit, der vergangenen Sommer mit Handelsboykotten angefangen hatte und in den zurückliegenden Wochen schärfer geworden ist.
Die Vorfälle sind im Grunde Teil eines größeren regionalen Konflikts, bei dem sich Ägypten, Saudi-Arabien und andere Staaten einer Einmischung der Türkei in der Region entgegenstellen. Ankara hat Katar in dessen diplomatischem Streit mit anderen Golfstaaten unterstützt und versucht nun, seinen Einfluss am Roten Meer geltend zu machen, was Ägypten sehr nervös macht. Kairo war besonders erzürnt, als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan im Dezember 2017 den Sudan besuchte und Rechte an der Hafenstadt Sawakin am Roten Meer erlangte. Dies ließ befürchten, dass Ankara dort eine Militärbasis errichten könnte.
Diese diplomatische Auseinandersetzung macht es sehr viel schwieriger, ein weiteres explosives Problem in den Beziehungen des Sudans zu Ägypten anzugehen: Khartum unterstützt Äthiopien darin, den riesigen und rund fünf Milliarden US-Dollar teuren Grand Ethiopian Renaissance-Staudamm am Nil zu bauen. Der könnte die lebensnotwendige Wasserversorgung stromabwärts versiegen lassen. Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi hat den Staudamm deshalb eine Angelegenheit von „Leben oder Tod“ genannt.
Alle Rivalitäten in der Region um das Rote Meer seien miteinander verflochten, sagt Kelsey Lilley, die stellvertretende Direktorin der Afrikaabteilung bei der Denkfabrik Atlantic Council. „Aber der Damm selbst schafft große Irritation zwischen den drei Ländern.“ Während sich die drei Länder jahrelang die Köpfe über den Staudamm heiß geredet haben, ist die Fehde zwischen Ägypten und dem Sudan schnell eskaliert. „Die Spannungen sind erheblich und höher als zuvor“, sagt Steven Cook, Nordafrika- und Nahostexperte im US-amerikanischen Rat für auswärtige Beziehungen. „Die Dinge beginnen sich zuzuspitzen.“
2019 wird ein kritisches Jahr werden
Die neueren Dispute haben die Gespräche zwischen Ägypten, dem Sudan und Äthiopien darüber, wie die Auswirkungen des Staudamms geregelt werden können, zum Erliegen gebracht – und das, obwohl die Uhr tickt. Denn der Staudamm ist zu mehr als 60 Prozent fertiggestellt. Äthiopien könnte schon diesen Sommer damit anfangen, den Stausee zu füllen, sodass den drei Ländern wenig Zeit bleibt, praktikable Vereinbarungen zu finden. „Das sollte ein politischer Weckruf sein: Man muss sofort etwas tun, um zu einer gemeinsamen Beschlussfassung über das Befüllen des Sees zu kommen. Denn 2019 wird ein kritisches Jahr werden“, sagt Ana Cascão, eine Expertin für Wasserpolitik am Nil, die sich ausführlich mit dem Staudamm beschäftigt hat.
Von einem Staudamm am Oberlauf des Blauen Nils im äthiopischen Hochland hat Äthiopien seit den 1960er Jahren geträumt. Aber erst 2011 – als Ägypten vom Arabischen Frühling erschüttert wurde und im Land Aufruhr herrschte – hat Äthiopien im Alleingang mit dem Bau des Grand Ethiopian Renaissance-Staudamms begonnen. Er ist das größte Wasserkraftwerk-Projekt in Afrika.
Seitdem graut es Ägypten vor den möglichen Auswirkungen. Das Kraftwerk soll den schnell wachsenden Strombedarf Äthiopiens decken. Der Staudamm oben am Blauen Nil wird den Wasserdurchfluss eines ganzen Jahres hinter seinen Betonmauern zurückhalten können. Je nachdem, wie schnell Äthiopien das Staubecken füllt, könnte flussabwärts die nach Ägypten fließende Wassermenge verringert werden. Das wäre verhängnisvoll für ein Land, das von der Landwirtschaft abhängig und bereits von starker Wasserknappheit bedroht ist.
Äthiopien könnte daher den Staudamm langsam über einen Zeitraum von bis zu 15 Jahren füllen. Das würde die Auswirkungen flussabwärts minimieren, aber auch den Nutzen des Damms verzögern. Und Äthiopien wurde von Protesten gegen die Regierung erschüttert, die im August 2016 begannen und zu einem zehnmonatigen Ausnahmezustand führten; das Land könne wahrscheinlich nicht so lange auf den Gewinn aus dem Damm warten, meint Kelsey Lilley: „Die äthiopische Regierung braucht einen Sieg.“
In Ägypten waren schon 2013 Gerüchte im Umlauf, gegen den Staudamm müsse das Militär eingesetzt werden; der damalige Präsident Mohammed Mursi drohte, wenn der Wasserzufluss gestört werde, „ist unser Blut die Alternative“. Als Präsident al-Sisi nun diesen Januar ankündigte, für vier Milliarden US-Dollar eine Entsalzungsanlage zu bauen, um die Bevölkerung mit Frischwasser zu versorgen, hat er gleichzeitig geschworen, Ägyptens Anteil am Nilwasser zu schützen.
Die Rolle des Sudans ist entscheidend
Kurz schien es im Jahr 2015, als hätten die drei Länder eine Einigung darüber erzielt, wie sie das Großprojekt gemeinsam steuern könnten. Doch seitdem konnten sie sich nicht einmal darauf einigen, wie sie die Auswirkungen des Staudamms überhaupt messen sollen. Nun droht der eskalierende Streit zwischen Ägypten und dem Sudan, die Kooperation komplett zu torpedieren. Äthiopische Medien haben Anfang Januar berichtet, dass Ägypten versucht habe, den Sudan von den trilateralen Gesprächen über den Damm auszuladen. Kairo hat diese Berichte dementiert, doch allein die Idee hat den Sudan bereits aufgerüttelt.
Und die Rolle des Sudans ist entscheidend, denn er liegt zwischen Ägypten und Äthiopien – geografisch wie politisch. Unter einem 1959 geschlossenen Vertrag haben Ägypten und der Sudan sich lange das Nilwasser untereinander aufgeteilt – Äthiopien war in diesen Vertrag nicht einbezogen. Jahrelang hat der Sudan weniger Wasser verbraucht, als ihm laut Vertrag zustand, was Ägypten bislang erlaubte, mehr Wasser zu verbrauchen.
Autor
Keith Johnson
ist Korrespondent für geoökonomische Themen bei „Foreign Policy“. Dort ist sein Beitrag im Original erschienen.Obwohl das Thema seit Jahren gärt, habe Ägypten es bislang vermieden, sich mit den unvermeidlichen langfristigen Auswirkungen des Projekts auseinanderzusetzen, sagt Steven Cook. Kairo habe einfach an dem jahrzehntealten Vertrag festgehalten, der ihm den Löwenanteil des Nilwassers zusichere. Das Land leide bereits an Wassermangel und könnte bald vor einer „absoluten Wasserknappheit“ stehen, sagt er. „Ägypten hat keine Strategie. Es ist besorgniserregend, dass ihre Lösung lautet ̦gebt uns einfach das Wasser‘“.
Was die Sache noch schlimmer macht, ist laut Cook, dass die USA – in deren Außenministerium immer noch viele Stellen unbesetzt sind – nicht in der Lage waren, bei dem Streit zu vermitteln. „Es gibt keinen Schiedsrichter im Raum“, so Cook.
Ein Mitarbeiter im US-Außenministerium sagte: „Wir sind sehr besorgt über die zunehmenden Spannungen und bitten die Länder nachdrücklich, einen gemeinsamen Weg vorwärts beim Grand Ethiopian Renaissance-Staudamm zu finden.“ Doch wahrscheinlich wird es den Ländern schwerfallen, in naher Zukunft einen solchen gemeinsamen Weg zu finden. Im März stehen Präsidentschaftswahlen in Ägypten an; das lässt Kairo bis dahin wenig Spielraum für politische Kompromisse bei solch einem heiklen Thema.
Aus dem Englischen von Johanna Greuter.
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