"Unser Lebensstil ist Teil des Problems"

Fluchtursachen
Eine breite gesellschaftliche Initiative fordert eine Enquete-Kommission zum Thema Fluchtursachen. Der Thüringer Theologe und Bürgerrechtler Ralf-Uwe Beck erklärt, was das bringen soll.

In der Entwicklungszusammenarbeit geht es schon immer darum, die Lebensverhältnisse im Süden zu verbessern, damit die Menschen in ihrer Heimat Zukunftsperspektiven haben. Was unterscheidet die Bekämpfung von Fluchtursachen davon?
Wir haben den Eindruck, und der wird täglich durch die Politik bestärkt, dass vorrangig die Flüchtlinge bekämpft werden und nicht die Ursachen, aus denen sie ihre Heimat verlassen. Uns erscheint unterbelichtet, wie die Fluchtursachen mit unserem Wirtschaften, unserer Politik und unserem Lebensstil zusammenhängen. Eine Enquete-Kommission hätte die Aufgabe, diesen Zusammenhang ernsthaft und systematisch zu analysieren und gesetzliche Initiativen dagegen vorzuschlagen. Ein ähnlicher Vorstoß der Grünen im Bundestag ist 2015 mehrheitlich abgelehnt worden. Eine Enquete bietet die Möglichkeit, sich über die eingeschliffenen Rituale zwischen Regierung und Opposition zu erheben und das Thema fraktionsübergreifend anzugehen. Zudem bietet sie eine Schnittstelle zwischen dem Parlament und der Zivilgesellschaft: Eine solche Kommission ist zur Hälfte mit Bundestagsabgeordneten und zur Hälfte mit Fachleuten aus der Wissenschaft besetzt.

Sie sprechen von gesetzlichen Initiativen. Zielt das auch auf Lebensstil und Konsumverhalten? Die Grünen sind ja schon einmal mit der Einführung eines Veggie-Days gescheitert.
Wenn eine Enquete-Kommission damit befasst wäre, würde das Thema Lebensstil politik- und mehrheitsfähiger. Das ist jedenfalls unsere Hoffnung. Bislang traut sich ja keine Partei, das anzufassen, weil es sich auf unseren Alltag auswirken wird und auch muss. Auf den Prüfstand müssen aber auch die Klima-, Handels-, Agrar- und Rüstungspolitik. Wir haben unzählige Hinweise darauf, wie sehr die fatale EU-Agrarsubventionspolitik der afrikanischen Landwirtschaft und den Menschen dort schadet. Die Landwirtschaftspolitik muss in Berlin genauso auf den Prüfstand wie in Brüssel.

Die wichtigsten Fluchtursachen sind Krieg, Gewalt und unfähige Regierungen. Was hat das mit unserem Wirtschaften und unserem Lebensstil zu tun?
Die Ursachen von Krieg und Gewalt liegen häufig auch im Ressourcenmangel oder in Klimaveränderungen, dazu tragen wir mit unserem hohen Verbrauch bei. Rüstungsexporte verstärken die Tendenz, Konflikte militärisch lösen zu wollen, statt konsequenter auf zivile und diplomatische Wege zu setzen. Hier wird sehr viel Geld verdient.

In der Regel wird eine Enquete-Kommission zu Beginn der Legislaturperiode eingesetzt. Wie haben die Parteien auf Ihr Anliegen reagiert?
Wir haben deutliche Zustimmung bekommen von den Linken, aus der SPD sowie von einzelnen Abgeordneten der CDU. Die Grünen sind eher zurückhaltend, sie befürchten, mit einer Enquete werde das Thema auf die lange Bank geschoben. Aber bei einem solch drängenden Anliegen erwarten wir, dass die Kommission Zwischenberichte vorlegt und sich darauf verständigt, Dinge in Gang zu setzen, auch wenn es noch keinen Abschlussbericht gibt. Aber zunächst muss der Funke noch in den Bundestag überspringen – jemand muss den Antrag formulieren und den Arbeitsauftrag für die Kommission entwerfen. Wenn nach der Regierungsbildung die Fraktionen die Ausschüsse besetzt haben, werden wir natürlich sofort die Fachpolitiker und Fraktionsspitzen ansprechen.

Wie zuversichtlich sind Sie, dass eine solche Enquete-Kommission kommt?
Ich bin absolut zuversichtlich. Die Unionsparteien und die SPD haben sich in ihrem Sondierungspapier darauf verständigt, eine Kommission Fluchtursachen im Bundestag einzurichten. Da ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zu einer Enquete. Darauf allerdings werden wir bestehen. Auch die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat sich hinter unsere Initiative gestellt. 146 Trägerinnen und Träger des Bundesverdienstkreuzes tragen diese Forderung mit. Das sind engagierte Menschen, die am Puls der Zeit sind, oft Themen anfassen, die sonst nicht angefasst werden. Man kann also sagen, hier artikuliert sich die Mitte der Zivilgesellschaft und verlangt von unserem Parlament, Fluchtursachen zu einem vordringlichen Thema zu machen. Das ist zugleich ein Beweis für das Vertrauen in unsere Demokratie.

Das Gespräch führte Gesine Kauffmann.

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erschienen in Ausgabe 2 / 2018: Diaspora: Zu Hause in zwei Ländern
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