Hunger trifft weltweit jene Bevölkerungsgruppen am stärksten, die ohnehin schon gefährdet und benachteiligt sind. Diesen Zusammenhang betont der diesjährige Welthungerindex, der am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde. Das Ziel, den Hunger bis ins Jahr 2030 aus der Welt zu schaffen, sei nicht zu erreichen, ohne die teils „himmelschreiende Ungleichheit“ zu bekämpfen, sagte die Präsidentin der Welthungerhilfe, Bärbel Dieckmann.
Dem von der Welthungerhilfe und dem Internationalen Forschungsinstitut für Ernährungspolitik (IFPRI) in Washington herausgegebenen Index zufolge sind 60 Prozent der Hungernden weltweit Frauen und Mädchen. Gründe dafür seien schlechtere Bildungschancen, geringere Einkommen und die Missachtung ihrer Grundrechte. Auch Landbewohner und ethnische Minderheiten leiden häufiger Hunger. Unterernährung sei ein Merkmal ökonomisch, sozial, politisch und geografisch benachteiligter Gruppen, meinte Dieckmann. Regierungen müssten deshalb besser prüfen, wie Hunger in der Bevölkerung verteilt ist – und dagegen vorgehen.
Weltweit ist der Hunger laut Index seit dem Jahr 2000 um 27 Prozent zurückgegangen. Der Anteil unterernährter Menschen an der Weltbevölkerung liegt heute bei 13 Prozent. Doch Kriege und die Folgen des Klimawandels machten Fortschritte wieder zunichte. So seien im Norden Nigerias, im Südsudan, in Somalia und im Jemen aktuell 20 Millionen Menschen vom Hungertod bedroht. Es sei offen, ob dies eine Trendwende zum Schlechteren einleite, sagte Klaus von Grebmer von IFPRI.
Der Index sieht in 55 von 119 bewerteten Ländern Handlungsbedarf. Als „gravierend“ wird die Situation in der Zentralafrikanischen Republik eingeschätzt. Als „sehr ernst“ in den sieben Ländern Tschad, Liberia, Madagaskar, Sierra Leone, Sambia, Sudan und Jemen. Viele von ihnen haben politische Krisen oder Konflikte erlebt.
Fortschritte in afrikanischen Ländern
Am stärksten verbreitet ist der Hunger in Südasien und Afrika südlich der Sahara, wobei er in Afrika am hartnäckigsten ist. Die Lage hat sich dort in zehn Jahren kaum verbessert – eine Folge steigender Lebensmittelpreise sowie von Dürren und politischer Instabilität. Fortschritte gibt es jedoch auch in einigen afrikanischen Ländern: So konnten Angola, Gabun und Mali durch Investitionen in Bildung, Gesundheit und Landwirtschaft die Nahrungsmittelversorgung verbessern. Das ölreiche Angola verzeichnet aber zugleich die höchste Kindersterblichkeitsrate. Und im Norden Malis verschlechtere sich derzeit die Lage für Kinder.
Der Welthunger-Index beleuchtet zudem die Machtstrukturen auf dem globalen Lebensmittelmarkt. Naomi Hossein, wissenschaftliche Mitarbeiterin am britischen Institute of Development Studies, kritisiert, dass einige wenige Unternehmen weltweit die Produktion von und den Handel mit Nahrungsmitteln, Saatgut und Dünger kontrollieren. Ihr Einfluss auf Agrarpolitik, Märkte und Essgewohnheiten führe dazu, dass Länder die Kontrolle über ihre Ernährungssysteme verlieren.
Diese Machtfrage gelte es im Kampf gegen den Hunger zu stellen, fordert die Welthungerhilfe. Ernährungssysteme müssten demokratisiert werden. Zentral sei dabei, die Selbstbestimmung kleinbäuerlicher Erzeuger zu fördern und Bewegungen für das Recht auf Nahrung oder für Ernährungssouveränität zu stärken.
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