Die gesammelte Kritik im Bericht „Großbaustelle Nachhaltigkeit“, zu der mehr als 40 Autoren für elf Herausgeber zusammengekommen sind, ist das bisher sichtbarste Ergebnis der Allianz. Im zweiten Jahr der UN-Ziele zur Nachhaltigen Entwicklung (SDG) ist deutlich, dass Aktionen in einzelnen Politikfeldern nicht genügen, um die Transformation zu einer global gerechteren Gesellschaft in Schwung zu bringen. „So wie die SDG mit ihrem mehrdimensionalen Ansatz alle Politikfelder betreffen, muss auch ihre Umsetzung im Sinne einer kohärenten Gesamtstrategie zur Aufgabe aller Ressorts (Ministerien) gemacht werden“, hieß es schon im ersten Schattenbericht vor einem Jahr. Ob dies gelinge, werde auch davon abhängen, in welchem Maße die Zivilgesellschaft selbst die Ziele als gemeinsame Referenz nutzt. Dafür mussten auch Scheuklappen fallen.
Angestoßen hat die Vernetzung der Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe, Venro. Dessen Vorsitzender Bernd Bornhorst hatte bereits 2015 gesagt, Entwicklungspolitik müsse heraus aus ihrer Nische. Hunger, Armut und wachsende Ungleichheit im Süden könnten nur dann überwunden werden, wenn mitgedacht werde, dass die Ursachen dafür häufig hier bei uns liegen, etwa in Gestalt unfairer Handelsstrukturen.
Widersprüche bei Kohleausstieg und Asylpolitik
„Was wir an gesellschaftlicher und wirtschaftspolitischer Veränderung brauchen, erfordert im Kern überall die gleichen Ansätze: politische Steuerung, starke Zivilgesellschaft und Demokratisierung“, sagt Bornhorst heute. Der Anspruch, die Gräben zwischen Fachressorts zu überwinden, habe auch die Zivilgesellschaft zusammengeschweißt. „Sie lebt die Kohärenz vor, die sie von der Politik einfordert. Es ist hilfreich, die große Idee der Transformation herunterzubrechen in die alltägliche Arbeit.“ Was muss sich hier ändern, damit sowohl Deutschland als auch andere Länder auf dem Globus die Möglichkeit haben, einen Pfad nachhaltiger Entwicklung einzuschlagen?
Damit es nicht bei wohlklingenden Idealen bleibt, muss sich auch die Zivilgesellschaft zusammenraufen. „Es war nicht einfach. Man hat sich nicht gefunden und gleich geliebt“, räumt Bornhorst ein. Er spricht von „Lernprozessen“, etwa beim Kohleausstieg, zu dem DGB und Umweltorganisationen widersprechende Positionen haben. In der Flüchtlingsfrage plädiert Venro für Offenheit, während Wohlfahrtsverbände Verlustängste in der Bevölkerung spüren.
Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände müssen sich klarer positionieren
Nicht zuletzt um unterschiedliche Wahrnehmungen ab- und auszugleichen trifft sich ein Netzwerk Agenda 2030 mit 23 Organisationen und Dachverbänden inzwischen drei bis vier Mal im Jahr in Berlin. Kern ist die politische Lobby-Arbeit: Briefe an das Kanzleramt oder den Staatssekretärsausschuss für Nachhaltigkeit, Strategien, Publikationen. Das soll die Schlagkraft für die Umsetzung der Agenda 2030 erhöhen. Im Kanzleramt werde man zunehmend wahrgenommen, sagen Teilnehmer.
Adolf Kloke-Lesch, Direktor des deutschen Kapitels des globalen Wissenschaftsnetzwerks für nachhaltige Entwicklung SDSN, mahnt aber, zivilgesellschaftliche Organisationen müssten sich stärker übergreifend mit der Agenda 2030 befassen und nicht bloß „mit dem jeweils eigenen SDG“. Außerdem müsse das Engagement politisch höher verankert werden: Wenn sich die Nachhaltigkeitsreferenten der Organisationen träfen, bringe das den DGB oder die Wohlfahrtsverbände noch nicht dazu, sich die Ziele öffentlichkeitswirksam auf die Fahnen zu schreiben, sagt Kloke-Lesch. „Solange sie das nicht tun, werden die Parteien aber nicht reagieren.“
Die Zivilgesellschaft solle sich außerdem bemühen, die Industrieverbände für eine gemeinsame Transformation zu gewinnen. Es sei besser, über die richtigen Wege zu streiten, als nur Gegensätze aufzubauen. Kloke-Lesch: „Man kann sich in selbstgefälligen Echokammern bewegen oder man kann Realpolitik machen, um etwas zu verändern.“
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