Sudans Verteidigungsminister Awad Ibn Auf hat am 31. Juli eine ungewöhnlich heftige Warnung ausgegeben: Die Armee sei willens, die Autorität des Staates durchzusetzen und den Einwohnern von Darfur notfalls mit Gewalt illegale Waffen abzunehmen. Er reagierte damit auf wachsende Spannungen zwischen zwei bedeutenden arabischen Stämmen im Osten von Darfur, den Rezeigat und den Ma’aliya. Die Streitigkeiten zwischen ihnen hatten sich von 2013 bis 2017 dramatisch verschärft und Hunderte Tote gefordert.
Dem Konflikt liegt ein jahrzehntealter Streit um Stammesland zugrunde: Die Rezeigat behaupten, dass Land, auf dem seit Generationen Ma’aliya siedeln, rechtlich zum „Heimatland“ (Dar) ihres Stammes gehört. Verschärft wird der Streit dadurch, dass im umstrittenen Gebiet kürzlich Erdölvorkommen entdeckt wurden. Er ist aber nur ein Beispiel für die Ausbreitung der Kämpfe zwischen Stämmen im Großraum von Darfur und Kurdufan. Und der zeigt einen Zusammenbruch von Recht und Ordnung, den die Regierung selbst herbeigeführt hat.
Die meisten dieser Stämme gelten als „arabisch“ und werden im In- und Ausland als Verbündete der sudanesischen Regierung wahrgenommen. So verstehen sie sich auch selbst. Viele besitzen Milizen, die während der vergangenen drei Jahrzehnte von der Regierung rekrutiert, bewaffnet und eingesetzt wurden – zunächst im Bürgerkrieg gegen Aufständische in Südsudan und dann auch im Großraum Darfur und Kurdufan, als der Bürgerkrieg auf diese Gebiete im Nordteil des Landes übergriff, also im heutigen Sudan. Paramilitärische Kräfte wie die Popular Defense Forces (PDF), die Grenzschützer (Border
Guards) und seit kurzem die Rapid Support Forces (RSF) sind unter den Rezeigat und Ma’aliya, aber auch unter anderen Stämmen rekrutiert worden. Die sudanesische Armee hat diese Stammesmilizen, die ihr offiziell unterstehen, mit Waffen, Fahrzeugen und Kommunikationssystemen ausgerüstet. Auch der Nationale Sudanesische Geheimdienst NISS unterhält unter seinem Kommando verschiedene Sondereinsatzkräfte und paramilitärische Einheiten. Der Sudan hat die staatliche Autorität an Stämme abgegeben, um das Überleben des Regimes von Präsident Omar al-Bashir zu sichern.
In der Folge waren und sind an Zusammenstößen zwischen Stämmen oft auf beiden Seiten Kämpfer beteiligt, die von der SAF oder dem NISS ausgebildet und ausgerüstet worden sind. Nach solchen Kämpfen kehren die staatlichen Hilfskräfte in ihre Regierungsquartiere zurück, erhalten weiter Bezahlung und Vergünstigungen und füllen ihre Benzin-, Waffen- und Munitionsbestände wieder auf. Dass die Regierung diese angeblich in ihrem Auftrag handelnden Milizen weder entwaffnen kann noch will, liegt daran, dass Khartum sich weiter mehr auf sie als auf die reguläre Armee verlässt, um Rebellen von den für ihre Herrschaft zentralen Gebieten im mittleren Sudan fernzuhalten. Zur Strategie der Aufstandsbekämpfung gehören gezielte Angriffe auf „afrikanische“ Stämme, die allein aufgrund ihrer Ethnizität kollektiv als Anhänger von Rebellenbewegungen gesehen werden – nicht zuletzt in Darfur.
Der Aufstand in Darfur begann 2003. Ausgelöst und seither am Leben erhalten wurde er dadurch, dass sich die Rebellen gegen die wirtschaftliche Marginalisierung der Region stemmten und eine faire Verteilung von Macht und Wohlstand zwischen der Zentralregierung und den Randgebieten forderten. Darauf reagierte die sudanesische Regierung mit einer aggressiven Politik, die Tribalismus als Mittel der politischen Mobilisierung nutzte und Milizen in verschiedenen Stämmen rekrutierte. Dass sie „afrikanische“ Stämme, aus deren Reihen die jungen Männer der Rebellen ursprünglich stammten, gezielt angriff, verschaffte der Rebellion erst recht neue Rekruten – und schuf tiefe Gräben in der Gesellschaft Darfurs. In den jüngsten Jahren hat diese Politik erfolgreich die militärische Schlagkraft der verschiedenen bewaffneten Bewegungen untergraben. Aber sie hat Darfur auch in ein gewaltsames Chaos gestürzt.
Um die Stämme zu belohnen, in denen die Regierung Milizen rekrutierte, hat sie deren Heimatländer (Dar) anerkannt und neue geschaffen. Den größten mit ihr verbündeten Stämmen hat sie zudem moderne lokale Verwaltungseinheiten überlassen bis hinauf zur Ebene der Bundesländer. Diese Politik der Belohnung mit Territorien hat zu einem de facto militarisierten ethnischen Föderalismus in Darfur geführt, den die Regierung auch auf Teile von Kurdufan und des Bundeslands Blue Nile ausgeweitet hat.
Zunehmend decken sich die örtlichen Verwaltungsgebiete mit traditionellen Stammesgebieten. Khartums Praxis, Stammesführer auf örtliche Leitungsposten zu berufen und ihnen eigene Milizen zu erlauben, befeuert hergebrachte lokale Konflikte um Verwaltungsgrenzen und um den Zugang zu Naturressourcen. Da die Regierung zudem den Stammesführern Kriegswaffen überlässt, haben örtliche Konflikte, die eigentlich unbedeutend erscheinen, in der jüngsten Vergangenheit zu Hunderten Toten und zur Vertreibung von Hunderttausenden geführt.
Der jüngste Vorstoß, die Zivilbevölkerung zu entwaffnen, kam zum Halten, als der Verteidigungsminister im Juli die „Unterstützungskräfte der SAF“ umstrukturieren wollte. Geplant war, die Grenzschützer, die 2003 gegründet worden waren – angeblich um die des Völkermords beschuldigten Janjaweed-Milizen unter Kontrolle der Armee zu bringen –, nun in die RSF einzugliedern. Diese jüngste und besonders todbringende ethnische Miliz wurde 2013 von den Grenzschützern abgetrennt und kam in Rekordzeit zu nationaler Prominenz, weil sich das Regime immer mehr auf sie stützt. Doch die Grenzschützer lehnten laut einem Bericht des im Exil angesiedelten unabhängigen Radios Dabanga den Plan des Verteidigungsministers rundum ab. Bislang haben weder sie noch die Stammesführer, die sich dem Plan entgegenstellten, dafür irgendwelche Konsequenzen tragen müssen. Das zeigt, wie begrenzt die Macht der Armee und des Ministeriums ist.
Ein vielsagendes Beispiel für den Zusammenbruch von Recht und Ordnung in Darfur ist ein Zwischenfall von Mitte Juli: In Nyala, der Hauptstadt des Bundeslandes Süd-Darfur, umzingelte die RSF die Polizeiwache des Industriegebiets, eine der größten der Stadt, und gab den regulären Sicherheitskräften 72 Stunden, das Gelände zu räumen. Als Grund gaben sie an, dass das Gebäude auf Land stand, welches der RSF-Kommandant Hemeitti als Privatgrundstück erworben hatte. Laut Radio Dabanga räumte die Polizei das Gebäude noch vor Ende des Ultimatums, ohne dass ein einziger Staats- oder Regierungsbeamter mit der Wimper gezuckt hätte.
Dass in Darfur Behörden von Milizen gedemütigt werden, ist eher die Regel als die Ausnahme. Im April 2016 etwa brannten Milizionäre der Rezeigat aus Ärger darüber, dass ihr Kommandant in einem Zusammenstoß zwischen Stämmen umgekommen war, das Haus des Gouverneurs des Bundeslandes Ost-Darfur nieder. Sie töteten drei seiner Leibwächter, nahmen den Überlebenden die Waffen ab und machten sich damit und mit drei Fahrzeugen davon.
Die Gouverneure aller fünf Teile von Darfur sind hilflos gegen die Verschlechterung der Sicherheitslage. In Landgebieten herrschen die Milizen unangefochten. Auf weiten Strecken des überregionalen Straßennetzes stoßen Reisende auf Blockaden, an denen Milizionäre ihre Waffen schwingen. Sie zwingen Händler wie andere Passagiere, illegale Wegzölle zu entrichten, und versprechen im Gegenzug, innerhalb ihres Gebietes für Sicherheit zu sorgen.
Die wirtschaftlichen Kosten des Krieges werden mehr und mehr sichtbar. Fast 2,5 Millionen Binnenflüchtlinge leben inzwischen in Lagern oder mussten in städtische Gebiete flüchten, vorwiegend aus den Ackerbau-Regionen Darfurs. Auch die Lebensgrundlage der nomadischen Viehzüchter ist stark in Mitleidenschaft gezogen, weil sie mit der Wirtschaftsweise der Bauern verflochten ist. Die wachsenden Risiken für den Handel haben die Preise stark steigen lassen, so dass viele Waren für die Mehrheit der Bevölkerung kaum noch erschwinglich sind. Männer und Frauen im Erwerbsalter leben auf Dauer in Lagern und sind von Almosen oder von Gelegenheitsjobs in nahe gelegenen Städten abhängig geworden.
Prominente Kriegsherren aber haben als wahre Gewalt-Unternehmer Reichtum angehäuft. Sie sind an der Ausbeutung von Naturschätzen und an illegalen transnationalen Geschäften beteiligt, und die Regierung ist ihr Komplize. Das UN-Expertenpanel für den Sudan hat in einem Bericht vom September 2016 dokumentiert, dass Stammesführer und von ihnen befehligte Milizen eine der größten Goldminen von Nord-Darfur, Jebel Amer, kontrollieren und Millionen US-Dollar daran verdienen. Ein Versuch des Innenministers, die Mine unter Kontrolle des Staates zu bringen, führte 2017 zu seinem Rücktritt, nachdem der RSF-Kommandant sich über ihn lustig gemacht hatte. In der Mine blieb alles beim Alten.
Dem Krieg sind auch jahrhundertealte Stammestraditionen und -werte zum Opfer gefallen. Im Zuge der jüngeren Zusammenstöße kam es zu Operationen, die „ethnischen Säuberungen“ gleichkommen. Eine Folge des Konflikts zwischen den Salamat und den Taisha sowie den mit diesen verbündeten Miseiriya ist, dass die Mehrheit der Salamat aus Dörfern im Gebiet der Taisha und Miseiriya vertrieben wurde, in denen sie seit Jahrzehnten lebten. Im März 2013 organisierten die örtlichen Behörden von Süd-Darfur die Ausreise aller Salamat-Familien aus Rhaid El-Birdi, der Hauptstadt Taishas. Und als im August desselben Jahres nach langer Pause wieder Kämpfe zwischen Süd-Rezeigat und Ma’aliya aufflammten, kooperierten sowohl die örtlichen Behörden als auch die UNAMID bei der Evakuierung von Hunderten Familien der Ma’aliya aus ad-Daien, der Hauptstadt von Süd-Rezeigat.
Bis heute verüben regierungsnahe Milizen kollektive Vergewaltigungen und nutzen diese als Kriegsmittel. Stammesführer, die früher stolz darauf waren, die Militarisierung ihrer Stämme auf den Weg gebracht zu haben, tragen einen großen Teil der Verantwortung für die Verwüstung, die auch immer ihre eigene Stammesgruppe trifft.
Die Folgen sind nicht auf den Sudan beschränkt. Milizen von dort haben dazu beigetragen, den Tschad und die Zentralafrikanische Republik (ZAR) zu destabilisieren. Man weiß, dass Mitglieder der staatlichen sudanesischen Sicherheitskräfte Oppositionsgruppen im Tschad bewaffnet und ihnen während der Stellvertreterkriege zwischen beiden Staaten von 2003 bis 2010 einen sicheren Hafen in West-Darfur geboten haben. Und jüngst haben Bewaffnete aus Darfur direkt in die Bürgerkriege in Libyen und der ZAR eingegriffen.
An dem kurzen Feldzug, der 2013 in der ZAR die Rebellenkoalition Seleka an die Macht brachte, nahmen nicht nur Kämpfer aus dem Tschad teil, sondern auch Milizen aus Süd-Darfur. Sudanesische Sicherheitsbeamte schickten sie Anfang 2013 den Seleka zu Hilfe, damit im Nachbarland Muslime an die Macht kämen. Die Kämpfer aus Darfur motivierte offensichtlich nur die Hoffnung auf reiche Beute in einem Staat, der bereits am Rande des Zusammenbruchs stand. Sie hatten es auf Elfenbein, Diamanten und andere Mineralien abgesehen, vor allem aber auf Fahrzeuge mit Allradantrieb. Die sind für den Krieg in Savanne und Wüste, aber auch bei Raubüberfällen und Schmuggeloperationen das Mittel der Wahl. „Autos von nichtstaatlichen Organisationen, den Vereinten Nationen und privaten Unternehmen wurden in einem solchen Ausmaß gestohlen und in Nachbarstaaten verkauft, dass der Putsch der Seleka eher wie eine Operation zum Autodiebstahl wirkt als wie das Ergebnis eines politischen Kampfes“, heißt es in einem Bericht der nichtstaatlichen Organisation Crisis Group. Das Ergebnis allerdings war sowohl für die ZAR als auch für Süd-Darfur verhängnisvoll. Dass hohe Berater und Milizführer aus dem Tschad und dem Sudan zum Kreis um den neuen muslimischen Präsidenten Michel Djotodia gehörten und ihre Kämpfer sich an massenhaften Menschenrechtsverletzungen an der nichtmuslimischen Bevölkerung beteiligten, sorgte für einen gewaltigen Rückschlag: Selbstverteidigungsmilizen der „Anti-Balaka“ griffen überall in der Zentralafrikanischen Republik Muslime an. Die religiös motivierte Gewalt beraubte die muslimische Gemeinschaft ihrer Wurzeln in einer Gesellschaft, in der sie über Generationen friedlich und akzeptiert gelebt hatte.
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2015, als der Sudan eine Partnerschaft mit der Europäischen Union zur Beschränkung der Flüchtlingsbewegungen nach Europa einging, bestimmte er die RSF zur wichtigsten Kraft bei der Abriegelung der Grenzen zu Ägypten und Libyen. Die sudanesische Regierung erließ im Januar 2017 ein Gesetz, das die RSF in die Sudanesischen Streitkräfte eingliederte, sie aber nur deren oberstem Kommandanten selbst unterstellt: dem Staatspräsidenten Omar al-Bashir. Das lässt ihnen ihre Autonomie und erhält ihre Rolle, das Regime bei Unruhen und anderen Problemen der inneren Sicherheit zu beschützen – im Zweifel auch gegen unzufriedene eigene Militärs.
Jüngst sind die RSF sogar ins Ausland entsandt worden. Am 15. Mai wurden in Anwesenheit von Omar al-Bashir mehr als 11.000 neue Kämpfer der Truppe offiziell eingeführt. Sudanesische Medien berichteten, dass die RSF weitere gut 5000 neue Kämpfer aus Trainingscamps in Darfur und in Zentralsudan eingezogen habe. Einige Wochen später gab die Armee bekannt, man werde zusätzliche Kräfte nach Jemen schicken. Am 2. August paradierten Truppen von Armee und RSF in den Straßen von Nyala, bevor sie sich den sudanesischen Streitkräften anschlossen, die schon im Jemen aufseiten der saudischen Koalition gegen die Huthi-Rebellen kämpfen.
Die neueste Aufgabe der RSF ist also, junge Leute aus Darfur, die verzweifelt nach Beschäftigung suchen, als Kanonenfutter für die regionalen Ambitionen Saudi-Arabiens zur Verfügung zu stellen. Die Regierung in Khartum ist stolz, dass ihre Expertise in der Aufstandsbekämpfung regional und international Abnehmer findet. Doch so lange es sie gibt, haben die Paramilitärs im Sudan ständig schwere Menschenrechtsverletzungen verübt. Angesichts dessen helfen die, die deren Dienste in Anspruch nehmen – heute Saudi-Arabien und die Europäische Union –, de facto dem Sudan dabei, ein von massenhaften Gräueltaten und illegaler Wirtschaftstätigkeit geprägtes Unternehmen zu subventionieren.
Balo ist Berater des US-amerikanischen Enough Project und hat dessen Bericht „Border Control from Hell“ vom April 2017 verfasst
Aus dem Englischen von Barbara Erbe.
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