Raus aus der Käseglocke!

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Klimaschutz in Kirchengemeinden
Viele Initiativen für eine ökologisch und sozial gerechte Entwicklung kommen heute nicht mehr aus den Kirchengemeinden. Dabei können sie eine Menge beitragen – wenn sie es nur wagen.

Mit der nachhaltigen Entwicklung wäre es in Deutschland ohne die Kirchen und die christlich motivierten Menschen, die sich für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung einsetzen, schlechter bestellt. Fast alle evangelischen Landeskirchen haben Klimaschutzziele formuliert und Klimaschutzmanagerinnen und -manager eingestellt. Der „Grüne Hahn/Grüne Gockel“ flattert als Zeichen für ökologisches Handeln über Hunderten von Kirchengemeinden und kirchlichen Einrichtungen. Und vielerorts ist das öko-faire Beschaffungsmanagement „Zukunft einkaufen“ eingeführt. Unzählige Studien, Handreichungen, Unterrichtsentwürfe, Flyer, Broschüren, Powerpoint-Präsentationen und Seminardokumentationen zu allen Themen einer nachhaltigen Entwicklung sind erstellt und in der Praxis erprobt worden.

Die Kirchen waren und sind nach wie vor wichtige Impulsgeber einer nachhaltigen Entwicklung. Sie engagieren sich in Ausschüssen, Kooperationsverbünden und Gremien auf Länder- und Bundesebene. Vieles ist erreicht worden. Und dennoch ist mein Eindruck: An der Basis, in den Gemeinden, Kirchenkreisen und Bistümern ist der Zenit des kirchlichen Engagements für einen ökologischen und nachhaltigen Wandel der Gesellschaft überschritten. Die „Frieden-Gerechtigkeit-Bewahrung der Schöpfung“-Szene hat sich in den vergangenen Jahren in den Ruhestand verabschiedet. Die Gruppe der Engagierten wird kleiner und älter, neue und jüngere kommen nur selten hinzu. Zugleich ist sie mit den immer gleichen Fragen beschäftigt. Denn die zahlreichen Beschlüsse von Landes- und Kreissynoden zur Förderung der Nachhaltigkeit sind viel zu selten verlässlich und dauerhaft in die Organisationsstrukturen der Kirchenkreise und Gemeinden integriert worden.

Ich erlebe zurzeit eine Kirche, die noch nie so reich an Kirchensteuermitteln war und gleichzeitig so arm an Aufbrüchen, an neuen Ideen und fröhlichem Experimentieren vor Ort ist. Vielerorts hat sie sich an der Basis unter eine Käseglocke zurückgezogen hat, unter der sie sich verzagt mit sich selbst beschäftigt. Ich erlebe eine eher erschöpfte Kirche, die sonntags zwar „Vertraut den neuen Wegen“ singt, es alltags aber nicht wagt, diese neuen Wege zu beschreiten.

Weder in den Kirchen noch in Parteien organisiert

Gleichzeitig ist es absolut beeindruckend, was junge Menschen im Bereich der nachhaltigen Entwicklung auf die Beine stellen, und wie sie es tun. Sie knüpfen weltweite Netzwerke, starten Initiativen, gründen Vereine und organisieren Veranstaltungen von beachtlicher Größe. Die meisten sind allerdings weder in den Kirchen, noch in Parteien oder anderen etablierten Organisationen sozialisiert und organisiert. Sie haben kein Interesse an einem „langen Marsch durch die Institutionen“: Der Laptop auf den Knien und die sozialen Netzwerke reichen – zunächst zumindest.

Häufig finden sich in der Nachhaltigkeitsbewegung Ausdrucksformen für die spirituelle Dimension des Engagements – immer seltener allerdings in den Bildern, Erzählungen und Metaphern der Bibel. Nicht nur junge Menschen suchen sich ihre Bilder und Erfahrungen offensichtlich da, wo sich Theologie nicht wirklich zu Hause fühlt: in der Natur. Sie legen etwa  „Achtsamkeitspfade“ an oder experimentieren mit Meditationsformen verschiedener Religionen.

Die kirchliche Jugendarbeit war einmal Motor der Bewegung und Initiator vieler Prozesse im Bereich der Nachhaltigkeit. Heute kümmert sie sich zu sehr um eine binnenkirchliche Bedürfnisbefriedigung und um kuschelige Gruppengefühle in Konfirmanden-Freizeiten, Jugendgottesdiensten und Jugendleiterschulungen – innovative Projekte im Bereich der nachhaltigen Entwicklung sehe ich kaum noch.

Experimente mit neuen Formen von Gemeinde tun Not

Das „Vereinskirchentum“ hat sich überholt. Experimente mit neuen Formen von Gemeinde tun Not, damit Kirche vor Ort wieder Teil des Aufbruchs wird. Die Kommunikation des Evangeliums in digitalen Zeiten braucht eine andere Sprache und vor allem andere Strukturen und Organisationsformen. Denn es passiert ja im Umfeld von Kirche und Gemeinde und vor allem von christlich motivierten Menschen schon sehr viel – in der Regel aber außerhalb der Kerngemeinden und damit häufig auch außerhalb des Radars der binnenkirchlichen Wahrnehmung. Ohne diese religiös motivierten Menschen wären die Flüchtlingsarbeit oder die „Fair-Trade-Town“-Bewegung nicht so erfolgreich. Es gibt sie also, die Risse in der Käseglocke, in denen Neues wächst!

In der aktuellen Nachhaltigkeitsbewegung erlebe ich, dass die alten Suffizienzerfahrungen und Suffizienzrituale der Kirchen neu mit Leben gefüllt werden. Hier verfügen die christlichen Kirchen genau wie  andere Religionen über einen reichhaltigen Erfahrungs- und Traditionsschatz, den es wieder zu entdecken, zu entstauben und zu aktualisieren gilt. Die Kirchen können in Zusammenarbeit mit allen Religionsgemeinschaften erneut und erneuert  Impulse für eine „Ethik des Genug“ geben und diese Ethik selbst vorleben. Sie können Transformationspfade für eine Postwachstumsgesellschaft entwickeln und als Teil der Bewegung lustvoll ausprobieren und in die politische Diskussion einspeisen. Das erwartet die Gesellschaft zu Recht von den Kirchen.

Autor

Volker Rotthauwe

ist seit 2014 Pfarrer für nachhaltige Entwicklung im Institut für Kirche und Gesellschaft der Evangelischen Kirche von Westfalen. Zuvor hat er viele Jahre als Jugendpfarrer eines Kirchenkreises im Münsterland gearbeitet.
Der ökumenische Pilgerweg für Klimagerechtigkeit 2015 von Kopenhagen nach Paris unter dem Motto „Geht doch!“ und die Neuauflage des Pilgerweges im Oktober 2017 von Wittenberg nach Bonn „Geht doch weiter!“ sind Beispiele für solche neuen Impulse. Von der Basis getragen und von den Kirchenleitungen logistisch und finanziell unterstützt, werden alte Formen eines suffizienten Lebensstils wieder neu entdeckt. Die Resonanz auch außerhalb der Kirchen war und ist enorm. Ähnliches gilt für das Klima- oder Autofasten, die Diskussion über Fleischverzicht („Sonntagsbraten“), die notwendige Ernährungswende oder den Streit über die Ladenöffnungszeiten am Sonntag.

Ich wünsche mir Gemeinden, Kirchenkreise und Bistümer, die vor Ort (nicht nur) jungen Menschen „Risikokapital“ für ihre Aufbrüche zur Verfügung stellen, die ihre Räume, Gebäude und Außenanlagen für Projekte des „Urban Gardening“, der „solidarischen Landwirtschaft“, oder „Gärten der Kulturen“ öffnen, die ihre Friedhöfe zu Oasen der Biodiversität umgestalten, auf ihren Gemeindefesten Vorreiter einer ökologischen Esskultur mit weniger Fleisch werden und ihre landwirtschaftlichen Flächen auch nach ökologischen Kriterien verpachten.

Dazu muss die Kirche allerdings mit neuen Formen der Beteiligung experimentieren und ihr Vereinsdenken überwinden. Die biblischen Schöpfungstexte würden als nicht-anthropozentrische Hoffnungsgedichte, Widerstandserzählungen und Sehnsuchtsbilder wieder neu in die Lebenswirklichkeit des 21. Jahrhunderts übersetzt. Die Kirche wäre dann nicht Vorbild oder gar selbsternannte Wertevermittlerin, sondern Teil und vielleicht sogar Impulsgeberin der notwendigen sozial-ökologischen gesellschaftlichen Transformation.

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erschienen in Ausgabe 9 / 2017: Religion und Umwelt
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