Das Wort „Frieden“ ist in der Casamance allgegenwärtig. Selbst das Krankenhaus von Ziguinchor, der einzigen Großstadt in dieser Region im Süden des Senegal, heißt „Krankenhaus des Friedens“. Das ist ein Ausdruck von Hoffnung. Seit den 1980er Jahren dauert der Kampf für die Unabhängigkeit der Casamance vom westafrikanischen Senegal an, doch nun ebbt er langsam ab. „Wir sind an einem toten Punkt des Konflikts angekommen“, sagt Jean-Claude Marut, der den Konflikt als Wissenschaftler seit langem beobachtet. „Seit 2012 sind im Wesentlichen keine bewaffneten Kämpfe mehr zu verzeichnen. Die Rebellenbewegung MFDC (Mouvement des Forces Démocratiques de la Casamance, Bewegung der demokratischen Kräfte der Casamance) ist tief gespalten.“
Dass der gambische Staatschefs Yahya Jammeh Ende vergangenen Jahres abgewählt wurde, „hat die Rebellion noch ein Stück weiter geschwächt“, meint Marut. Jammeh hatte nicht nur Gambia 22 Jahre mit teils brutaler Gewalt regiert, sondern auch Rebellen aus der Casamance Rückendeckung gegeben, insbesondere der Gruppe des Rebellenführers Salif Sadio. Sie waren für Jammeh ein Druckmittel gegenüber dem großen Nachbarn: Der Senegal hat 16 Millionen Einwohner gegenüber zwei Millionen in Gambia, und er hat in der Vergangenheit mehrmals versucht, sich in die Angelegenheiten Gambias einzumischen. Gambia ist zudem bis auf den kurzen Küstenstreifen am Atlantik ganz vom Senegal umschlossen. Der kürzeste Weg von Dakar, der Hauptstadt des Senegal, in die Casamance führt durch Gambia.
Dies wusste Jammeh zu nutzen, um Dakar auf Distanz zu halten. Zudem befand sich seine Hausmacht in der Region um Kanilai, unweit der Grenze zur Casamance. Er stützte sich auf die Volksgruppe der Diolas, die Hauptbevölkerungsgruppe in der Casamance, in der auch die Rebellen vor allem rekrutierten.
Ibrahima Gassama, der Chefredakteur des Radiosenders Zig-FM in Ziguinchor, warnt deshalb: „Der Rebellenführer Salif Sadio hat noch Unterstützungen in Gambia. Viele Soldaten sind Diolas.“ Wie andere in der Casamance mahnt er die Regierung in Dakar, vorsichtig vorzugehen. Sadio, den er einst interviewt hat, wisse eher, wie man Krieg als wie man Frieden macht. Die verschiedenen Rebellengruppen verfügten auch weiter über genug Geld aus dem Schmuggel von Holz und Cannabis.
Der bewaffnete Kampf für die Unabhängigkeit der Casamance wurde in den 1990er Jahren zunehmend gewaltsam ausgetragen. Er hat Tausende Menschen das Leben gekostet. Mehrere Zehntausend mussten ihre Dörfer verlassen. Sie fanden Zuflucht in den Städten der Region und in den Nachbarländern Guinea-Bissau im Süden und Gambia im Norden. Heute leben laut dem Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) noch 16.000 Flüchtlinge aus der Casamance in diesen beiden Ländern. Zwischen 10.000 und 40.000 Menschen sind immer noch nicht in ihre Dörfer zurückgekehrt. Eine unbekannte Anzahl an Minen liegt noch im Boden; zwischen 1990 und 2008 haben Landminen laut der nichtstaatlichen Organisation (NGO) Handicap International rund tausend Menschen getötet oder verletzt.
Die Casamance ist eine besonders arme Region des Senegal. Grün, bewaldet und von vielen Flüssen durchzogen, sollte sie eigentlich der Garten der sonst weitgehend trockenen Savannenlandschaft sein. Insbesondere der Cashew-Baum bringt Verdienstmöglichkeiten für die Landbevölkerung. Nur ist die Region immer noch nicht mittels Straße oder Bahn richtig an die Großstadt Dakar angeschlossen, und Industrien, die landwirtschaftliche Produkte weiterverarbeiten, fehlen. Viele Böden liegen wegen der Minen brach, viele Dörfer sind verlassen.
Doch seit einigen Jahren kehren Vertriebene und Flüchtlinge zurück. „Die Vegetation hatte alles überwuchert“, sagt Assane Dasilva aus dem Dorf Boffa, zwölf Kilometer von Ziguinchor entfernt, der schon 2010 mit seinem Bruder zurückkam. 1995 war das Dorf evakuiert worden. Zunächst gingen Assane Dasilva und sein Bruder immer nur tagsüber ins Dorf zurück. Als sie anfingen, ihr Haus wieder aufzubauen, kamen die Rebellen: „Wir mussten ihnen klar machen, dass wir nicht auf der Seite der Regierung waren und keine Wahl hatten: In Guinea-Bissau hatten wir wegen des Bevölkerungswachstums immer weniger Land zu bearbeiten, wir mussten zurück.“ Jetzt leben ungefähr 200 Leute in Boffa, doch nur ein Viertel der ursprünglichen Ackerfläche wird genutzt. Sie wollen mit den Feldern nur langsam näher an das Rückzugsgebiet der Rebellen rücken.
Für den 58-jährigen Toumboul Sané, den Chef des weiterhin unbewohnten Dorfes Badem, steht die Rückkehr noch aus. Ganz allein hat er vor zwei Jahren Verhandlungen mit den Rebellengruppen aufgenommen, die sich im Gebiet seines Dorfes unweit der Grenze zu Guinea-Bissau aufhalten. Es geht um die Rückkehr ins Dorf und die Grenze, bis zu der es reichen soll; Sané wohnt noch in Ziguinchor, andere Einwohner in Guinea-Bissau.
Auch Senegals Präsident Macky Sall spricht diskret mit den Rebellen – anders als sein Vorgänger Abdoulaye Wade, der von 2000 bis 2012 Präsident war: Er beschäftigte zahlreiche Vermittler und gab ihnen viel Geld, mit denen sie Rebellen motivierten, an Friedensgesprächen teilzunehmen. Das hat dazu geführt, dass zahlreiche Friedensinitiativen entstanden und die Rebellen sich auf der Suche nach einem Stück von diesem Kuchen weiter spalteten. Das hat nach allgemeiner Einschätzung dem Frieden nicht geholfen.
Macky Sall setzt nun darauf, dass der Wunsch der Landbevölkerung, in die Dörfer zurückzugehen, die Rebellen unter Druck setzt und sie in die Defensive drängt. Frieden und Entwicklung sollen nach der Vorstellung der neuen Regierung Hand in Hand gehen. Die Nationalstraße 6, die Ziguinchor und Kolda verbindet, zwei wichtige Städte der Casamance, ist erneuert worden, um die Rückkehr der Bevölkerung in angrenzende Dörfer zu befördern. „Mit Hilfe der USA wurden Pisten zwischen den Dörfer und der Nationalstraße gebaut, um die Wege für die Vermarktung der Landerzeugnisse zu verbessern“, sagt Marut. Auch konzentriert sich die Entminungsarbeit hier. „Die Strategie der Regierung funktioniert prima“, meint Marut, „die Dörfer sind wieder bewohnt und die Rebellen stecken in einer Zwickmühle: weiter für die Unabhängigkeit kämpfen und gleichzeitig weiter Sprachrohr der Bevölkerung sein wollen.“
Die Bevölkerung möchte dauerhaften Frieden. In den Straßen von Ziguinchor herrscht ruhige Geschäftigkeit. Jugendliche sitzen vor ihren Motorradtaxis, den Djakarthas. Was sie wollen, sind richtige Jobs. „Djakarthas-Taxi fahren ist nur ein Weg, die Zeit tot zu schlagen“, meint der 22-jährige Yahya. Der Unabhängigkeitskampf der Rebellen ist für diese jungen Menschen kein Gesprächsthema. Für den 26-jährigen Oumar, der in einem Hotel der Stadt angestellt ist, ist das Unabhängigkeitsideal passé. „Vielleicht war es in den 1980er Jahre, als es anfing, richtig und wichtig. Aber heute, was würde eine Unabhängigkeit bedeuten? Spannungen zwischen den Diolas, die die Rebellion für sich beanspruchen, und den anderen Bevölkerungsgruppen in der Casamance? Auch der Drogenhandel würde zunehmen“, sagt er besorgt.
Gassama, dessen Radiosender Talkshows unterhält, bestätigt: „Die Zuhörer sind des Konflikts überdrüssig. Aber“, fügt er hinzu, „sie beklagen sich auch über den Staat. Sie haben kein Vertrauen zu den staatlichen Programme und den Milliarden, die versprochen werden. Wir warten immer noch auf eine Autobahn zwischen Dakar und der Casamance, dafür wird woanders, im Norden des Landes, eine gebaut.“ Auch die Bewohner von Boffa fühlen sich allein gelassen: „Der Staat hat die Schule wiedereröffnet und eine NGO hat uns Blech für die Dächer der neuen Häuser gespendet. Im Fernsehen haben sie aber LKWs gezeigt mit Baumaterial. Nur angekommen sind die bei uns nie“, beklagen sie sich.
Im Norden der Casamance, um Sindian herum, muss die Regierung besonders vorsichtig vorgehen. Im Dorf Sikoutène unweit der Grenze zu Gambia tobten noch im September 2014 ein paar Stunden lang Kämpfe. Rebellen hatten die Kinder des Dorfes als Geisel genommen, um ihre Flucht abzusichern. „Ich glaube, dass damals Rebellen und Soldaten unabsichtlich aufeinander getroffen sind. Aber nach den Kämpfen haben wir Druck von beiden Seiten gespürt. Die Rebellen fragten uns, wieso wir sie nicht vor den Soldaten gewarnt hätten, ob wir für die andere Seiten arbeiten würden“, erzählt ein Dorfbewohner. Immer wieder beklagen sie in dem Dorf Viehdiebstähle, selbst Solarpanel wurden geklaut. Der Rebellenspruch „Ein Soldat darf nicht mit seiner Waffe in der Hand hungern“ klingt wie eine Warnung.
„2015 gab es den letzten Aufruf, sich der Rebellion anzuschließen“, sagt der Dorfbewohner weiter. „Es gibt immer wieder Jugendliche, die sich für die Sache der Rebellen entschließen – weil sie keine andere Perspektive haben und manchmal aus Überzeugung. Wir spüren immer noch die Überheblichkeit des Nordens“, sagt der Mann, der ein paar Jahre in Dakar gearbeitet hat. „Sie beschimpfen uns als Rebellen, sie behandeln uns wie Wilde, aber wir sprechen besser Französisch als sie.“
Der Anbau von Cannabis hat einige Dörfer im Grenzgebiet reich gemacht. Die Rebellen sind auf beiden Seiten der Grenze zu Hause, ihre Frauen leben in den Dörfern. Tief im Wald verläuft hier die „Schmuggler-Piste“ zum Fluss Gambia. Cannabis und Holz werden hinüber gebracht und Produkte wie Zucker und Speiseöl, die in Gambia billiger sind, in die Casamance geschmuggelt. „Im Norden der Casamance“, erläutert Marut „hat sich eine typische Kriegswirtschaft entwickelt, an der alle beteiligt sind. Die Folgen sind katastrophal, zum Beispiel die rasante, illegale Abholzung des Waldes. Die Regierung ist machtlos, weil sie den Dörfern kein Gegenangebot zur Kriegswirtschaft anbieten kann.“ Die Renovierung der Versorgungspiste ist in einigen Orten am Widerstand der Rebellen gescheitert, die ihre Schmuggelwege sichern wollen.
Die Rebellen fühlen sich bedrängt und sie sind weiter bewaffnet. Schnell kann die Regierung mit ihrem Entwicklungsplan also nicht vorangehen. So ist der Nationalpark der Region immer noch nicht wieder eröffnet. Die Vegetation hat alle Pfade und Einrichtungen überwuchert. Die Parkmitarbeiter wissen nicht, welche Tiere sich noch auf dem Gebiet befinden. Minen sollen herumliegen. Die Beamten trauen sich nicht hinein. Einstweilen führen sie mit den angrenzenden Dörfern Umweltschutzaktionen durch.
Autorin
Odile Jolys
ist freie Journalistin in Dakar, Senegal, und berichtet aus Westafrika, unter anderem für den Evangelischen Pressedienst und „Neues Deutschland“.Dakar will aber erreichen, dass die Casamance bis 2020 minenfrei wird. Handicap International darf nun zum ersten Mal im Norden der Casamance arbeiten: im Distrikt Kataba in der Region um Bignona, wo viele Kämpfe stattgefunden haben. Die Regierung hat seit 2013, als Minenräumer von Rebellen entführt wurden, die Entminung stark reglementiert. „Die Regierung meint es ernst. Erstmals haben wir eine Finanzierung des Staates für die Entminung bekommen“, sagt Catherine Gillet, die Direktorin von Handicap International. Dass Rebellen im Mai die Armee attackiert haben, hat für Gillet nur lokale Bedeutung. Die Entwicklungsorganisationen sind optimistisch. Man spricht sogar von einem Entwaffnungs-, Demobilisierungs- und Wiedereingliederungsprogramm für die Rebellen. Dass sie wieder zu den Waffen greifen könnten, hält auch Marut für unwahrscheinlich: Sie seien tief gespalten und geschwächt. „Es wäre für die Rebellen schon ein Sieg, wenn eine Verhandlung stattfände.“ Doch statt sie als Verhandlungspartner anzuerkennen, lässt die Regierung lieber den Konflikt langsam sterben.
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