Ken Ukaoha sah müde aus. Er habe eine kurze Nacht hinter sich, und der Jetlag stecke ihm in den Knochen, entschuldigte sich der stämmige Mann aus Nigeria. Um dann quicklebendig zu einer fulminanten Tirade gegen das sogenannte Wirtschaftliche Partnerschaftsabkommen (EPA) mit der EU anzuheben, das sein Heimatland unterzeichnen soll. Normalerweise endeten Vertragsverhandlungen damit, dass man einen für beide Seiten akzeptablen Kompromiss findet „und dann ein Glas Wein zusammen“ trinkt, sagte Ukaoha unlängst auf einer Diskussionsveranstaltung bei Brot für die Welt in Berlin. „Nicht so bei den EPAs; da wird es keinen Wein geben.“
Die Verhandlungen seien von Beginn an von Geheimgesprächen und von Druck aus Brüssel geprägt gewesen, rief Ukaoha, der es wissen muss: Der Wirtschaftsanwalt gehört zur nigerianischen Delegation für die Gespräche mit der EU. Nigeria will das Abkommen zwischen der EU und der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) nicht unterzeichnen, bis noch einige Punkte geklärt sind.
Helmut Asche, Afrikaexperte und Honorarprofessor an der Universität Leipizig, hat die EPA-Verhandlungen ebenfalls intensiv verfolgt. Er findet: Die Verhandler aus Afrika können stolz auf sich sein, denn sie hätten viele ihrer Anliegen durchsetzen können. Anders als von Brüssel ursprünglich beabsichtigt, gehe es in den Abkommen heute nur noch um den Güterhandel und nicht mehr um Fragen wie Investitionsschutz oder geistiges Eigentum. Die Afrikaner hätten zudem etliche Ausnahmen erreicht, etwa zum Schutz junger einheimischer Industrien vor ausländischer Konkurrenz.
Gefahr für ECOWAS
Die Blockade Nigerias – ebenso wie die Tansanias in Ostafrika – ganz am Ende der Verhandlungen bedeuteten einen „Mangel an Respekt gegenüber den erfolgreichen Verhandlungsführern Afrikas“, sagte Asche in Berlin. Er wies aber zugleich darauf hin, dass die Bedenken der beiden Länder „nicht völlig abwegig“ seien: Die in die EPAs aufgenommen Schutzklauseln, etwa für sensible Agrarprodukte aus Afrika, seien so formuliert, dass sie in der Praxis nur schwer anzuwenden seien.
Der EU warf Asche vor, sie ziehe sich aus der Affäre, indem sie alle Verantwortung für den Stillstand auf Nigeria und Tansania schiebe. Brüssel und Berlin müssten auf die beiden Länder zugehen: „Sonst fliegen die Ostafrikanische Gemeinschaft und die ECOWAS auseinander“, warnte Asche. Ende vergangenen Jahres hat die EU bilaterale Abkommen mit den beiden ECOWAS-Mitgliedern Ghana und Elfenbeinküste geschlossen und so einen Keil in die Gemeinschaft getrieben.
Um wessen Entwicklung geht es?
Es ist nicht zuletzt dieser Stil, der in Afrika für Zorn sorgt. „Wenn eine Region nicht unterzeichnen will, pickt sich Brüssel die starken Länder für bilaterale Abkommen heraus – nach dem Motto: Die anderen werden schon folgen“, beklagte sich Yvonne Tadang von der Bürgerrechtsorganisation ACDIC aus Kamerun. Das widerspreche der Behauptung Brüssels, mit den EPAs wolle man die regionale Integration in Afrika stärken.
Cheich Tidiane Dieye, der als ein Vertreter der Zivilgesellschaft im Senegal an den EPA-Verhandlungen teilgenommen hat, betont, die Bedenken gegen die Abkommen seien nicht ideologisch begründet. „Wir wollen Handel mit der EU“, sagte er in Berlin. „Aber er muss fair sein.“ Und das ist er nicht, findet Ken Ukaoha: Laut einer Studie würde Nigeria 400 Millionen Euro im Jahr verlieren, wenn es das Abkommen mit der EU in seiner jetzigen Form unterzeichne. Europa hingegen würde jährlich 700 Millionen Euro gewinnen. Ukaoha: „Um wessen Entwicklung geht es hier eigentlich?“
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