Pro und Kontra EPAs

Handelsabkommen
Fünfzehn Jahre wurde verhandelt, jetzt sollen sie in Kraft treten: die Wirtschaftsabkommen (Economic Partnership Agreements, EPAs) zwischen der Europäischen Union und drei regionalen Gemeinschaften in Afrika. Die Verträge stellen den Handel zwischen den beiden Kontinenten auf eine neue Grundlage: Die EU gewährt nicht mehr einseitige Vorteile, vielmehr sollen die Länder Afrikas schrittweise ihre Märkte öffnen. Eine Chance für die wirtschaftliche Entwicklung Afrikas?

Pro: Helmut Asche sagt: "Die Vorteile überwiegen."

Eins vorneweg: Die EPAs zwischen der EU und Afrika sind keine guten Abkommen, und sie sind auch nicht gut und vertrauensvoll ausgehandelt worden. Sie enthalten im Wesentlichen eine starre Agenda zur Marktliberalisierung, zustande gekommen unter viel Druck und unter Inkaufnahme erheblicher Porzellanschäden.

Doch die Frage stellt sich: Überwiegt der entwicklungspolitische Nutzen den Schaden? Meine Antwort ist: Ja – und zwar weil die Abkommen den afrikanischen Staaten wesentliche Spielräume für ihre landwirtschaftliche und industrielle Entwicklung lassen.

Anders als anfangs zu befürchten war, werden die afrikanischen Regionalgemeinschaften nicht zerlegt, sondern im Ergebnis gestärkt. In West- und Ostafrika haben die Verhandlungen mit Brüssel die Formulierung einer gemeinsamen Politik gestärkt; im südlichen Afrika schließen weitgehend jene Mitgliedsländer der Regionalgemeinschaft SADC den Vertrag mit der EU, die ohnehin bereits in einer Zollunion zusammengeschlossen sind. Nur in Zentralafrika existiert mit dem Interim-EPA mit Kamerun ein Teilabkommen, das im Gegensatz zu Geist und Buchstaben der Regionalgemeinschaften dort steht.

Anders als es die EU-Kommission ursprünglich vorhatte, haben die afrikanischen Regierungen das Abkommen auf einen Vertrag ausschließlich über den Güterhandel heruntergehandelt. Alle Themen zur sogenannten „tiefen Integration“ – etwa die Harmonisierung von nicht-technischen Standards, der Handel mit Dienstleistungen, Investitionen, die Regelung geistiger Eigentumsrechte sowie die Wettbewerbspolitik – kommen nicht mehr vor, sondern sind in eine sogenannte Rendezvous-Klausel verbannt. Das heißt, sie sollen später verhandelt werden – aber man muss ja nicht zu jedem Rendezvous erscheinen.

Die vereinbarten Zollsenkungen enthalten zum Teil sehr lange Übergangsfristen von zu bis 25 Jahren, weshalb übrigens auch die Einnahmeverluste der afrikanischen EPA-Staaten nur schwer berechnet werden können. Etwa ein Fünftel ihrer Zölle müssen die afrikanischen Länder gar nicht senken, sondern können sie gegebenenfalls sogar erhöhen – bis zum Niveau der gegenüber der Welthandelsorganisation gebundenen Zölle. Dazu zählen alle Agrarprodukte, die besonders unter den EU-Importen leiden.

In vielen Einzelpunkten haben sich die afrikanischen Verhandler gegen die EU-Kommission durchgesetzt. Neue Exportsteuern auf Rohstoffe sind möglich, um ihre Weiterverarbeitung in Afrika zu fördern. Öffentliche Aufträge können weiterhin bevorzugt an heimische Unternehmen vergeben werden. Die Meistbegünstigungsklausel ist so gefasst, dass die afrikanischen Länder der EU nicht sofort jeden Vorteil zugestehen müssen, den sie anderen Ländern des Südens einräumen. Alle drei EPAs enthalten mehr oder weniger weitgehende Klauseln für den Schutz junger Industrien. Dass diese nur zeitlich befristet möglich sind (acht bis zwölf Jahre) und dann andere Industrien in den Genuss der Förderung kommen müssen, ist kein Nachteil, sondern ein Prinzip moderner Industriepolitik. Die sogenannten Ursprungsregeln der EPAs, die festlegen, inwiefern handelsbegünstigte Güter Vorleistungen aus anderen Ländern enthalten dürfen, bedeuten einen unbestrittenen Fortschritt gegenüber der bisherigen Regelung: Sie ermöglichen den zollfreien Verkauf von Erzeugnissen, die aus verschiedenen Teilprodukten der Region zusammengesetzt sind.

In der Summe überwiegen diese Vorteile die erheblichen Nachteile, die die EPAs mit sich bringen. Den afrikanischen EPA-Staaten bleibt entscheidender Spielraum (policy space) für eine aktive Landwirtschafts-, Fischerei- und Industrieförderung. Mit den EPAs verschiebt sich damit das Zentrum der wirtschaftspolitischen Entscheidungsfindung dahin, wo es sein sollte: nach Afrika. Denn bislang kann man kaum behaupten, dass die betroffenen afrikanischen Staaten eine moderne Industriepolitik und Agrarmodernisierung betreiben, die nun durch die EPAs gefährdet wären. Jetzt bekommen sie wenigstens für die nächsten eineinhalb Jahrzehnte die Zusicherung, solche Politik konsequent machen zu können. Und sie sollten die Abkommen als Anreiz verstehen, die bislang unvollständige und erratische Handelsliberalisierung innerhalb ihrer eigenen Wirtschaftsgemeinschaften abzuschließen. Sonst behandeln sie sich am Ende gegenseitig schlechter als die Europäische Union.

 

Kontra: Francisco Marí meint: "Die EPAs folgen den Interessen der Konzerne."

Die EPAs wurden im Geist der neoliberalen EU-Freihandelsideologie entworfen und können der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Afrikas großen Schaden zufügen. Sie werden politische Instabilität, Armut, Arbeitslosigkeit und Migration fördern.

Auch wenn die afrikanischen Staaten in den vergangenen fünfzehn Jahren der EU einige handelspolitische Spielräume abringen konnten, bleibt die Bilanz negativ. Die große Mehrheit der afrikanischen Staaten, die nun ein EPA ratifizieren sollen, gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Diese erhalten bereits Zollfreiheit für ihre Exporte in die EU; das würde auch ohne EPA so bleiben. Nun aber werden sie mit den EPAs gezwungen, 80 Prozent ihrer lokalen Produktion schutzlos EU-Exporten auszuliefern.

Schlimmer wiegt noch, dass diese Länder in Zukunft auf die Erlöse aus Zöllen verzichten müssen. Das macht je nach Land zehn bis 30 Prozent der Staatseinnahmen aus. Die ohnehin schon dürftigen Sozial-, Bildungs- oder Gesundheitsprogramme werden dafür gekürzt werden müssen. Brüssel verspricht als Ausgleich Entwicklungshilfe, erhöht diese aber um keinen Cent. Auf das Geld hätten die Länder auch ohne EPAs Anspruch.

Die meisten afrikanischen Länder haben noch keine Pläne, welche Art von Industrie oder Agrarwirtschaft sie aufbauen wollen. Sie mussten sich aber jetzt schon entscheiden, welche einheimischen Güter sie vor EU-Exporten schützen wollen und was sie der überlegenen Konkurrenz aus Europa ausliefern. Wollen sie diese Entscheidung in den nächsten 20 Jahren ändern, müssen sie Brüssel um Erlaubnis fragen.

Kein Wunder, dass überall in Afrika die EPAs als der neokoloniale Rahmen gesehen werden, mit dem Afrika in Abhängigkeit der EU gehalten werden soll. Europas Konzerne wollen weiterhin freien Zugriff auf Afrikas Rohstoffe und vor allem im Agrarbereich von den wachsenden Märkten profitieren. Deswegen werden den afrikanischen Staaten mit den EPAs die Daumenschrauben angelegt, sollten sie Rohstoffe mit Exportsteuern versehen wollen, um selbst Industrien aufzubauen oder sich etwa bei Milch und Getreide vor Exporten aus Europa zu schützen. Erst recht verbittet sich die EU, dass Afrika den Schwellenländern wie Brasilien oder Indien günstigere Zölle anbietet.

Autoren

Helmut Asche

lehrt als Honorarprofessor an der Universität Mainz mit den Schwerpunkten Handels- und Industriepolitik, Regionalintegration in Afrika und Entwicklungszusammenarbeit. Zuvor hatte er eine Professur in Leipzig.

Francisco Mari

ist Referent für Agrarhandel und Fischerei bei „Brot für die Welt“.
Die EPAs zwingen Afrika zudem, nach der Ratifizierung weiter zu verhandeln: Nur sechs Monate danach wird es dann um Themen gehen, die für EU-Konzerne perspektivisch noch wichtiger sein dürften, etwa den Handel mit Dienstleistungen, Investitionen und die öffentliche Beschaffung.

Der handelspolitische Gesamtansatz der EU ist falsch. Der Glaube, dass eine vollkommene Liberalisierung von Märkten zu Wachstum und Fortschritt oder zur Reduzierung von Armut und Hunger führen, dient nur den Interessen von Konzernen und lokalen Eliten. Schon die Niedrigzoll- und Marktöffnungsstrategien der Weltbank und der Gebergemeinschaft haben Afrikas Rolle als Rohstofflieferant und Resterampe für Billigimporte aufgebaut; die EPAs zementieren sie. Nur dort, wo es vereinzelt gelungen ist, Märkte zu schützen, wie in Kenia im Milchsektor, sind Erfolge bei Armutsreduzierung und Hungerbekämpfung sichtbar. Das wäre auch im Industriebereich möglich, etwa in der Textilproduktion. Das zeigen die zollfreien Textilexporte in die USA, die in Afrika eine einheimische Textilindustrie angeschoben haben. Die USA verlangen umgekehrt übrigens keine Marktöffnung.

Die zynischste Begründung der EU für die EPAs ist der Hinweis darauf, dass 50 Jahre offene EU-Märkte für afrikanische Produkte nichts gegen die Armut bewirkt hätten. Deshalb soll nun die Öffnung der afrikanischen Märkte eine entwicklungspolitische Großtat sein? Diese absurde Idee von noch mehr falscher Medizin hat die Afrikanische Union noch rechtzeitig gekontert und begonnen, eine Alternative zu den EPAs aufzubauen: eine afrikanische Freihandelszone. Die EU sollte das Angebot annehmen und dem ganzen Kontinent Zollfreiheit gewähren, ohne weitere Bedingungen.

Afrika muss das Recht haben, die Zukunft seiner Landwirtschaft und seiner Industrie selbst zu bestimmen. Brüssel wäre gut beraten, Afrika dabei zu unterstützen und seine eigenen Wirtschaftsinteressen hintanzustellen. Davon würde die EU politisch und wirtschaftlich mehr profitieren als von der Durchsetzung der neokolonialen Handelsverträge.

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erschienen in Ausgabe 6 / 2016: Neue Chancen für die Kurden
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