Die Gruppe der 77 (G77) und die Bewegung der blockfreien Staaten stellten in den frühen 1970er Jahren die materiellen und intellektuellen Grundfesten des liberalen, kapitalistischen Systems der Nachkriegszeit in Frage. Im Rahmen der Vereinten Nationen wollten sie eine neue Weltwirtschaftsordnung schaffen. Ihr Ziel war es, die Emanzipation des globalen Südens zu vollenden und mittels verbindlicher institutioneller Rahmenbedingungen, rechtlicher Verträge und Umverteilung die im Laufe der Geschichte entstandene Ungleichheit zwischen Zentrum und Peripherie zu beseitigen. Dieser ambitionierte Vorstoß scheiterte am Widerstand der Industrieländer und an der Uneinigkeit innerhalb der Bewegung der blockfreien Staaten.
Heute sind aufstrebende Staaten des globalen Südens erfolgreicher in ihrem Bemühen, sich Gehör zu verschaffen und die internationale Hierarchie zu verändern: Sie reklamieren eine zentrale Stellung in der kapitalistischen Weltordnung, um diese von innen heraus umzubauen. Die vertikal geordnete, spätmoderne, vom Westen dominierte Weltordnung weicht allmählich einer polyzentrischen internationalen Ordnung, in der neue regionale und transnationale Verbindungen zwischen den Staaten des globalen Südens entstehen. Diese Umgestaltung fördert zwar die lang ersehnte Gleichheit auf internationaler Ebene. Doch zugleich erteilt sie dem Versprechen der Befreiung aus dem Kampf gegen den Kolonialismus eine Absage.
Südafrika gehört zu den Gründungsmitgliedern der G20, die 1999 als ein Treffen der Finanzminister begann, und ist das einzige afrikanische Mitglied der Gruppe. Berichten zufolge sollte Nigeria als zwanzigstes Mitglied dazu kommen. Doch der Zuschlag ging dann an die Europäische Union. Südafrika ist Mitglied, obwohl es nicht zu den zwanzig größten Volkswirtschaften der Welt zählt. 2014 überholte Nigeria Südafrika als größte Volkswirtschaft Afrikas, doch zwei Jahre später holte Südafrika sich den ersten Platz zurück.
Platzhalter für die Interessen des Nordens?
Südafrika ist zur Recht in der G20. Das Land sorgt dafür, dass der Kontinent in der Gruppe vertreten ist; es ist in die Weltwirtschaft und die internationalen Finanzmärkte eingebunden; und es verfügt über die Kapazitäten, an hochrangigen Debatten teilzunehmen. Dennoch hat Südafrika eine schwierige Rolle in der G20. Es steckt in der misslichen Lage, als Platzhalter für die Interessen des Nordens oder der globalisierten Wirtschaft auf dem afrikanischen Kontinent wahrgenommen zu werden.
Tatsächlich hat die südafrikanische Regierung kein offizielles Mandat, die Interessen des afrikanischen Kontinents in der G20 zu vertreten. Die Rolle Südafrikas in der G20 sehen viele in Afrika deshalb kritisch. Es gibt in Afrika einige Kritik an der G20, und der Vorwurf an Südafrika lautet, es legitimiere die Gruppe durch seine Mitgliedschaft. Kritisiert werden das Übergewicht Europas, Bedenken hinsichtlich Legitimität und Leistungsfähigkeit sowie die Einschätzung, dass mehr Schwellenländer aufgenommen werden müssten, um die internationalen Verhältnisse angemessen zu repräsentieren.
Das Engagement Südafrikas in der G20 spiegelt seine internationale Position. Das Land ist immer noch mit der Aufarbeitung der Apartheid befasst und muss noch die richtige Einstellung zu seiner wirtschaftlichen Dominanz – manche würden Hegemonie sagen – auf dem Kontinent finden. Die Regierung zeigt sich sensibel für die Kritik aus anderen afrikanischen Staaten, von denen einige Südafrika Hegemoniebestrebungen vorwerfen. Die südafrikanische Regierung bemüht sich, nicht als Sprecherin für den Kontinent aufzutreten, obwohl viele außerhalb Afrikas sie dafür halten und deshalb meinen, Afrika sei in informellen Gruppen wie der G20 vertreten. Südafrika ist sich überdies bewusst, dass ihm der Platz am „globalen Tisch“ eine gute Gelegenheit bietet, afrikanische Anliegen anzusprechen. Das hat es insbesondere im Rahmen des G20-Forums der Finanzminister getan. Dennoch: Südafrika muss einen schwierigen Balanceakt vollbringen.
Die am wenigsten entwickelten Länder (Least Developed Countries, LDC) gehören nicht zur G20 – und 34 der 54 Länder Afrikas werden zu dieser Gruppe gezählt. Eine zentrale Frage ist deshalb, ob die G20 das richtige Forum sind, die Probleme der besonders benachteiligten Länder Afrikas zu bearbeiten. Zugleich haben wirtschaftliche, finanzielle und politische Entscheidungen der G20 enormen Einfluss auf die ärmsten Länder und ihre Bevölkerung. Auf einer Konferenz der Thinktanks aus den G20-Staaten (T20) sagte ein Referent zutreffend: „Es ist besser, am Tisch zu sitzen, als auf der Speisekarte zu stehen.“
Die Agenda 2063 der Afrikanischen Union (AU) mit dem Titel „Das Afrika, das wir wollen“ ist eine Vision und gleichzeitig ein Aktionsplan für den nachhaltigen sozio-ökonomischen Wandel des Kontinents. Afrika engagiert sich außerdem nachdrücklich für die Umsetzung der Agenda 2030, die die Staats- und Regierungschefs auf dem UN-Gipfel im September 2015 beschlossen haben. Die Agenda 2063 und die Agenda 2030 sind Grundlage für die engen Beziehungen zwischen den G20 und Afrika.
Auf dem G20-Gipfel im September 2016 in Hangzhou in China verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs den G20-Aktionsplan zur Agenda 2030. Darin bekräftigen sie ihre Verpflichtung, ihre Arbeit an der Agenda 2030 auszurichten und für eine kohärentere Politik zugunsten nachhaltiger Entwicklung zu sorgen. Die deutsche G20-Präsidentschaft baut darauf auf und betont ihre Absicht, die Kooperation und die Partnerschaft der G20 mit den afrikanischen Ländern zu fördern.
Vielleicht kann Südafrika die vielschichtigen Dimensionen von Macht und Wirtschaftsdiplomatie nutzen, um eine echte Diskussion über die Verlagerung der Grenzen internationaler Wirtschaftspolitik anzustoßen. Große Volkswirtschaften und aufstrebende Mächte wie Indien, China, Brasilien, die Türkei und eben auch Südafrika haben es in den vergangenen Jahren verstanden, ihre Stimme auf der internationalen Bühne wirksamer einzusetzen. Auch wenn Südafrikas internationale Rolle derzeit angesichts einer schwachen Präsidentschaft wackelt, ist seine Stimme immer noch mächtig genug, um Einfluss auszuüben und die Dinge vorwärts zu treiben.
Autorin
Liepollo Pheko
ist politische Aktivistin und wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Forschungsinstitut Trade Collective.Moderne Wirtschaftsdiplomatie findet in einem sich rasant verändernden internationalen Umfeld statt. Bisher haben die Entwicklungsländer diese Diplomatie durch die „Nord-Süd-Brille“ betrachtet. Doch nun verschieben sich die Konturen der Weltwirtschaft. Der derzeitige Umbau der Weltwirtschaft ist geprägt von der Verlagerung der traditionellen Schwerindustrie und arbeitsintensiven Fertigungsindustrie aus den Industrienationen in eine Reihe von sich wandelnden Staaten Ostasiens – allen voran die Tigerstaaten wie Südkorea und Taiwan sowie Südostasien und China.
Die Aufgabe für die afrikanischen Länder und vor allem für Südafrika besteht darin, zu verstehen, wie sie an diesen Vorgängen teilnehmen können, ohne als Gesandte des globalen Kapitalismus gesehen zu werden. Die Entwicklungsländer müssen einschätzen, was ihnen Partnerschaften innerhalb des globalen Südens einerseits und andererseits mit gleichgesinnten Partnern aus dem Norden zu bestimmten Themen von beiderseitigem Interesse bringen. Ein Trumpf in diesem Zusammenhang ist, dass viele in Europa glauben, der Norden müsse mit dem Süden in diesen Zeiten globaler Spannungen zusammenarbeiten, um gemeinsam die globalen Spielregeln zu verändern.
Aus dem Englischen von Lucia Schüz.
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